Bauhaus-Hype im Jubiläumsjahr
„Bauhaus gehört verstanden – und nicht unkritisch bejubelt“
Arne Winkelmann, Architektur-Experte aus Frankfurt am Main, plädiert für eine stärkere inhaltliche Auseinandersetzung mit der Kunstrichtung Bauhaus. Ein Interview.
Von Romy König
Herr Winkelmann, Sie sind studierter Architekt, forschen zum Bauhaus, geben Workshops und halten Vorträge, die sich mit dieser Kunstrichtung der Weimarer Republik beschäftigen. Braucht Deutschland all die Feierlichkeiten im Jubiläumsjahr, um an das Bauhaus erinnert zu werden?
Erinnert werden muss Deutschland sicher nicht: Es wurde schon immer viel angeboten, viel geforscht, die Bibliotheken sind voll von Material. Bauhaus muss man heute kaum einem mehr erklären, es ist gesetzt. Und doch merke ich gerade in meinen Workshops mit Schülern: Hier ist wieder Vermittlungsarbeit nötig. Die kennen vielleicht die Wagenfeld-Lampe und das Bauhaus-Gebäude, manche auch noch den Wassily-Chair. Aber sie empfinden den Stil als schmucklos, langweilig und als „nicht schön“. Denen erkläre ich dann, dass Bauhaus auch heute noch aktuell ist – auch wenn es schon hundert Jahre alt ist.
Architekturhistoriker Arne Winkelmann
| Foto: © Arne Winkelmann
Mit welchen Argumenten vermitteln Sie das den jungen Leuten?
Oft am Beispiel eines Sitzmöbels. Wenn ich einen Stuhl entwerfe, muss ich mir überlegen, was er leisten muss: Wie hoch ist die Sitzfläche, wie groß muss sie sein, und in welchem Winkel steht die Lehne? Drei Parameter, die die Grundfunktion des Stuhls abdecken muss. Um das Aussehen oder das Material geht es erst später. So vorzugehen ist nach wie vor eine gültige, sogar eine moderne Designstrategie: Immer erst vollständig die Aufgabenstellung zu hinterfragen, bis man zum Ausgangspunkt der Aufgabe kommt, statt mit einer formalen Gestaltungsidee zu starten.
Sie schulen auch Kunstlehrer zum Thema Bauhaus. Können die noch Neues lernen?
Sicher, das Interessante ist nämlich: Vieles in der Kunstpädagogik basiert auf Bauhaus. Die elementare Auseinandersetzung an Farben und Formen, der Farbkreis nach Johannes Itten, Materialstudien, die Kunsttechnik der Frottage, die häufig im Kunstunterricht vorkommt – all das ist im Bauhaus entwickelt worden. Das ist vielen Kunstlehrern nicht bewusst.
Bei all Ihrer Faszination für die Kunstrichtung: Es ist doch auch einiges schief gelaufen. Man denke an die Architektur der Sechziger- und Siebzigerjahre.
Sie sprechen den sozialen Wohnungsbau in diesen Jahrzehnten an – eine Unarchitektur: Großsiedlungen, Wohnhochhäuser. Tatsächlich war das eine logische Weiterentwicklung des sozialen Wohnungsbaus der 1920er Jahre: Man wollte Licht, Luft und Sonne für die Menschen schaffen, eine Stadtlandschaft, die sozialen, funktionalen und hygienischen Ansprüchen genügte. Das waren prinzipiell gut gemeinte Ansätze.
Die dann aber doch gescheitert sind.
Man hat, und das war der Fehler, zu sehr die städtischen Zusammenhänge aufgelöst. In den Projekten wie der Gropiusstadt in Berlin oder der Neuen Vahr in Bremen wurden Wohnstätte und Gewerbe voneinander entkoppelt. Kieze und Nachbarschaften, die über Jahrhunderte gewachsen waren, sind quasi über Nacht ausgelöscht worden. Fairerweise muss man aber sagen, dass dies kaum den Bauhäuslern zur Last gelegt werden darf, sondern deren Erben geschuldet ist.
Aber das Bauhaus haben sie durchaus in Misskredit gebracht.
Nicht das Bauhaus, die Architektur der Moderne. Diese Großsiedlungen haben vielmehr das Image der Architektur nachhaltig beschädigt. Jahrzehntelang waren Wohnhochhäuser im Städtebau fast tabu, weil sie sofort mit sozialen Problemen assoziiert wurden. Das ändert sich nun langsam wieder.
Wassily-Chair im Treppenhaus des Dessauer Bauhaus.
| Foto: © picture alliance/Bildarchiv Monheim
Was sind die größten Errungenschaften vom Bauhaus?
Drei wesentliche Punkte: Es brachte eine neue versachlichte Formsprache, die funktionalen Gesichtspunkten folgt. Außerdem prägte Bauhaus eine neue Pädagogik: Studenten wurden in Vorkursen auf Null gesetzt, sollten alles vergessen, was sie bisher über Kunst, Gestaltung und Stil gesehen und gelernt hatten. Diese propädeutische Phase und die handwerkliche Ausbildung waren die große Stärke von Bauhaus. Außerdem war das Studium offen für Frauen, für alle Religionen und alle Nationalitäten. So wurde Bauhaus zum Schmelztiegel hoch kreativer Köpfe aus ganz Europa, der ganzen Welt. Das sind Punkte, die hoffentlich im Hype des Jubiläumsjahres nicht untergehen.
Der aktuelle Hype müsste Sie als Bauhaus-Fan doch freuen.
Ich sehe ihn skeptisch. Da wird schon heute so viel Aufmerksamkeit generiert, hoffentlich führt das am Ende nicht zu einer Übersättigung. Die ersten Workshops und Ausstellungen laufen ja bereits. Wie soll 2019, dem eigentlichen Bauhaus-Jahr, noch eine Steigerung kommen? Ich kann mir vorstellen, dass die Leute sagen werden: „Bauhaus? Das kann ich nicht mehr hören!“
Dann gestatten Sie eine Frage an den Kurator, der Sie ja auch, wenn auch in anderem Umfeld, sind: Angenommen, Sie dürften das Programm des Jubiläumsjahres kuratieren oder verändern, was würden Sie anbieten? Worauf würden Sie den Blick des Publikums lenken wollen?
Mir wäre daran gelegen, dass die Menschen Bauhaus inhaltlich verstehen, seine Herangehensweisen und Lösungen, und den Bauhaus-Stil nicht unkritisch als klassischen Kanon bejubeln. Mich würden beispielsweise auch die Beweggründe, ans Bauhaus zu gehen, interessieren. Woher und warum kamen junge Menschen ans Bauhaus, und wie haben sie diese Ideen nach ihrem Studium weitergetragen?
Eine Bauhaus-Diaspora nachzeichnen also?
Das hätte ich spannend gefunden, ja. Eine weltweite Wirkungsgeschichte des Bauhauses: Zu Tel Aviv, der „weißen Stadt“, gibt es schon einiges, aber auch über Bauhaus in Japan oder China, den USA, in der Türkei könnten die Menschen mehr erfahren. Auch ein Überblick über die direkten Erben wie das New Bauhaus in Chicago oder die Hochschule für Gestaltung Ulm wäre reizvoll gewesen.
Das Bild „Gelmeroda IX“ des Bauhaus-Meisters Lyonel Feininger zeigt die Kirche in Gelmeroda, eine Dorfkirche im Weimarer Land.
| Foto: © picture alliance/artcolor
Ihre Prognose: Werden wir in Kunst oder Architektur jemals wieder eine Strömung in der Größe von Bauhaus erleben?
Die Architektur, Gestaltung, Kunst und Design sowie deren Ausbildungswege an Hochschulen sind eigentlich sehr frei und undogmatisch, sodass man sich nicht in einem revolutionären Akt von einem Akademismus befreien müsste. Eigentlich kann ich mir ohne eine ähnlich tiefgreifende politische Zeitenwende, wie beim Übergang vom Kaiserreich zur Demokratie 1919, keine ähnlich umwälzende Schule vorstellen.
Arne Winkelmann ist Architekturhistoriker aus Frankfurt am Main. Der promovierte Architekt hat an der Bauhaus-Universität in Weimar sowie in Krakau studiert und arbeitet heute als Ausstellungskurator und Publizist zu Themen wie Architektur, Fotografie und Kunst.