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Anni Albers in den USA
Von Weimar zum Black Mountain – das zweite Leben der Bauhaus-Textilien

Anni Albers wickelt eine Spule auf, am Black Mountain College, 1941
Foto mit freundlicher Genehmigung von Claude Stoller

Die Künstlerin Anni Albers verließ 1933  Deutschland und wanderte in die USA aus, wo sie als Dozentin an das Black Mountain College in North Carolina eingeladen wurde. Begleitet wurde sie von ihrem Mann, dem Künstler Josef Albers, den sie 1922 am Bauhaus kennengelernt hatte. Die Albers‘ gehörten zu einer Gruppe von europäischen Einwanderern, die zuvor der von den Nazis aufgelösten deutschen Kunst- und Designschule angehört hatten.

Von Jordan Troeller

Bald darauf kamen auch die ehemaligen Bauhaus-Mitglieder Xanti Schawinsky, Howard Dearstyne, Marli Ehrman, Lyonel Feininger, Walter Gropius und Margarite Wildenhain an die kleine, liberale Kunstschule. Diese Künstlerinnen und Künstler waren nur einige von vielen ehemaligen Bauhäuslern, die im ganzen Land Lehrtätigkeiten gefunden hatten – etwa an der Harvard University, dem New Bauhaus in Chicago oder der Pond Farm in Northern California, wo der Keramiker Wildenhain als Pionier seines Fachs eine internationalen Handwerkergemeinschaft anführte, bei der es sich „nicht um eine Schule“ handelte, sondern „um eine Lebenseinstellung“.
 
Trotz ihrer Unterschiede in Sachen Status und Renommé standen alle diese emigrierten Künstlerinnen und Künstler vor der selben Herausforderung: Sie wollten in einer zunehmend von Massenmedien und Konsumkultur geprägten Umgebung ihres neuen Heimatlandes eine handwerklich orientierte Bildung etablieren.

Handwerklich ausgerichtete Bildung in modernen Zeiten

Dies war besonders für Anni Albers eine enorme Herausforderung, denn sie hatte erkannt, dass die Webkunst, eine jahrhundertealte Handwerkskunst, die in ihrer industriell gefertigten Variante in eine Art Dornröschenschlaf verfallen war, von Grund auf modernisiert werden musste. In der Webereiwerkstatt des Bauhauses war Albers eine zentrale Figur gewesen, die erstmals Textilien als funktionale Objekte eingesetzt hatte – etwa als Möbelstück, Wandbehang, Vorhang oder Raumteiler.
 
Im Gegensatz zu der damals vorherrschenden Meinung, dass Textilien, wie Annis Kollegin und Werkstattleiterin Gunta Stölzl es ausdrückte, „Bilder aus Wolle” waren, setzten die Weberinnen und Weber im Bauhaus auf die dynamische Sprache der Abstraktion, die sie mit einer neuen Sensibilität in Bezug auf Faserverlauf und Technik paarten. Um dies zu erreichen, erforschten sie systematisch die Möglichkeiten neuer Fäden, natürlicher und synthetischer Pigmente, Färbemethoden und Bindetechniken. Dabei versuchten sie stets, ganz einfache Mittel und Materialien zu nutzen und daraus etwas komplett Neues zu erschaffen – indem sie etwa mit den überraschenden Effekten von Umkehrung, Wiederholung und Spiegelung arbeiteten. Um gute Textilien herzustellen, so glaubten sie, müsste man weniger versuchen, ein Bild zu gestalten, sondern vielmehr „auf das Material hören“, wie Albers später einmal schrieb.

Anerkennung für eine Künstlerin

Anders als viele andere Künstlerinnen des Bauhauses, die nach Amerika emigriert waren, erfuhr Albers hier sehr viel Wertschätzung. Obwohl sie in Deutschland eine angesehene Position in der Weberei hatte und 1929 hier sogar Stölzl während einer Abwesenheit vertreten hatte, wurde sie dort nie in den Kreis der männlich-dominierten Abteilung berufen. Am Black Mountain College dagegen wurde sie als Assistenzprofessorin für Weberei eingestellt, und sie leitete eigenhändisch den Weberei-Workshop, der bei Studierenden sehr beliebt war.
 
In dieser Position umging Albers geschickt den Materialmangel nach der Depression und dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs: Sie entwarf Designs, die mit einfachen vorhandenen Materialien umzusetzen waren, darunter auch das tragbare Gurtwebgerät, das Albers 1939 während einer Mexikoreise gekauft und erlernt hatte. Durch Essays, die Albers in zeitgenössischen Design- und Architekturmedien veröffentlichte sowie kleine Ausstellungen ihrer Webarbeiten konnte sie das Interesse an ihren Werken langsam, aber stetig steigern. In ihrem letzten Jahr am Black Mountain College bereitete sie eine große Retrospektive im Museum Of Modern Art in New York vor – die erste Ausstellung in der Geschichte des Museums, die sich einer zeitgenössischen Textilkünstlerin widmete.

Die Verlockung Lateinamerikas

Anders als andere ausgewanderte Bauhaus-Vertreterinnen und Vertretern, die nach Lateinamerika reisten (darunter auch der ehemalige Bauhaus-Direktor Hannes Meyer, der sich dem revolutionären mexikanischen Künstlerbund El Taller De Gráfica Popular anschloss) ließ sich Anni Albers bei ihrer Arbeit deutlicher von alten Kulturen und Zivilisationen beeinflussen. Gemeinsam mit ihrem Mann reiste Albers regelmäßig über die Grenze nach Süden, zunächst 1934 nach Kuba und in den folgenden beiden Jahrzehnten dann nach Mexiko, Peru und Chile. Meist waren die beiden mit dem Auto unterwegs, da Josef Albers nicht gerne flog.
 
Anni Albers, die in Berlin aufgewachsen war und dort viele ethnografische Sammlungen besucht hatte, war bereits mit antiken amerikanischen Textilien vertraut. Ihre Kenntnisse über prä-kolumbianische Webmethoden konnte sie jedoch erst durch diese echte Begegnung mit Lateinamerika vertiefen. Sie war fasziniert von der Raffinesse, mit der in diesen alten Kulturen Textilien gefertigt wurden: Das Material galt hier als Kommunikationsmittel, und die angewendeten Techniken galten selbst zu Albers‘ Zeiten noch als extrem kompliziert.

Kunst für den Alltag

Die alten Weber von Peru nannte Anni Albers in ihrem Buch On Weaving „ihre großen Lehrmeister”, und die Begegnung mit ihnen führte zu ihrer ungewöhnlich weit gefassten Definition von Modernismus im Amerika der Mitte des Jahrhunderts. In der peruanischen Weberei und in der zapotekischen Architektur, die sie bei Besuchen von (oftmals gerade erst entdeckten oder zugänglich gemachten) archäologischen Stätten kennenlernte, sah sie die antiken Wurzeln des modernen Webens. Was sie dabei am meisten faszinierte, war die Art und Weise, in der diese Zivilisationen Kunst in ihren Alltag integrierten, um das Gefühl von Kollektivität und Gemeinschaft zu stärken. Auf diese Weise konnten diese Kulturen wahre Meisterleistungen der Konstruktion erschaffen, figurenunabhängige Designs entwickeln und mit Hilfe von Faser und Faden ein komplexes Kommunikationsmedium ersinnen.
 
Was sie hier gesehen hatte, ließ Albers fortan in ihre eigene Web- und Lehrtätigkeit einfließen – manchmal benannte sie ihre Werke sogar nach ihrem Ursprung, wie etwa Monte Albán, dessen Titel eine Anspielung auf die archäologische Stätte in Oaxaca, Mexiko, ist. Albers benutzte simple, aber visuell beeindruckenden Techniken, drehte etwa kleine Fadenbündel in regelmäßigen Abständen oder ließ mit schwebendem Schuss geometrische Designs entstehen. So kreierte sie nicht nur bemerkenswerte abstrakte Wandteppiche, sondern erfand auch gleichsam die Textilie neu, indem sie diese als wesentliches Element im architektonischen Raum betrachtete – statt lediglich als dekoratives Beiwerk. Obwohl genau diese Einstellung (neben ihrer Sensibilität fürs Material, das ebenfalls in allen ihren Webarbeiten deutlich zu erkennen ist) auch das Kernprinzip des Bauhauses war, machte Anni Albers diese Haltung in Amerika – und besonders in Lateinamerika, wo sie sehr davon beeindruckt war, wie sich bereits in den ältesten Kulturen Anzeichen der Moderne finden lassen – zu ihrem eigenen Markenzeichen.  
 

Quellen / Weiterführende Literatur

Jeffrey Saletnik, „Bauhaus in America,“ in Leap Before You Look: Black Mountain College 1933–1957, hrsg. von Helen Molesworth mit Ruth Erickson, Ausstellungskatallog, Institute of Contemporary Arts, Boston (New Haven: Yale University Press, 2015).

Marguerite Wildenhain, The Invisible Core: A Potter’s Life and Thoughts (Tokyo: Kondansha International, 1973), 145; zitiert in Jenni Sorkin, „Pond Farm and the Summer Craft Experience,“ in West of Center Art and the Counterculture Experiment in America, 1965–1977, hrsg. von Elissa Auther und Adam Lerner (Minneapolis: University of Minnesota Press, 2012).

Für weitere Informationen über den Bauhaus-Textilworkshop siehe T’ai Smith, Bauhaus Weaving Theory: From Feminine Craft to Mode of Design (Minneapolis: University of Minnesota, 2014).

Abgesehen von einer Vielzahl von Artikeln verfasste Anni Albers auch zwei Bücher über Textilien und Design: On Designing (1959) und On Weaving (1965), die beide mehrmals neuaufgelegt wurden.

Karoline Noack, „The ‘Workshop for Popular Graphic Art’ in Mexico: Bauhaus Travels to America,“ Journal of bauhaus imaginista, Edition 1: Leading von, http://www.bauhaus-imaginista.org/articles/2444/the-workshop-for-popular-graphic-art-in-mexico-bauhaus-travels-to-america?0bbf55ceffc3073699d40c945ada9faf=48ullugb8s44dmh8cniakip0g0 (im Februar 2019 online).

Brenda Danilowitz, „‘We Are Not Alone’: Anni and Josef Albers in Latin America,“ in Anni and Josef Albers: Latin American Journeys, hrsg. von Brenda Danilowitz und Heinz Liesbrock (Hatje Cantz, 2007).

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