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Ein Neuanfang
Walter Gropius und „The Architects Collaborative“

Ausschnitt eines Gruppenbilds von TAC-Mitgliedern auf der Skulptur von Richard Lippolt, Graduate Center, Harvard University (um 1950)
Gruppenbild von TAC-Mitgliedern (Ausschnitt); mit freundlicher Genehmigung des Bauhaus-Archivs Berlin

Nach seiner Emigration 1937 hatte Walter Gropius (1883-1969) eine zweite große Karriere in den USA mit zahlreichen Schülern der zweiten und dritten Generation erleben dürfen. Tätig bis ins hohe Alter betrieb er in Boston/Cambridge mit „The Architects Collaborative“ – kurz TAC genannt – ein auch international sehr erfolgreiches Architekturbüro.

Von Arnold Körte

Er hinterließ ein eigenständiges Werk, das längst vom Bauhaus unabhängig war, auch wenn es teilweise auf den dort gemachten Erfahrungen beruhte. Dabei ist das anstehende Jubiläumsjahr 2019 mit den Feiern „100 Jahre Bauhaus“ nur ein indirekter, wenn auch naheliegender Anlass, den späten Gropius jetzt einmal von der anderen, der transatlantischen Seite aus in den Blick zu nehmen.
 
Aus dieser Perspektive werden die gestalterischen und auch ethischen Wurzeln eines Stils wie Cambridge Modern deutlich, die zu einem Gutteil auf die besondere Arbeits- und Organisationsform von TAC zurückgehen. In einer Architekturepoche, die man im Nachhinein mit „New Brutalism“ betitelte, trat ein produktiver Generationenkonflikt zutage, ohne dass man sich intern bei TAC etwa eines besonderen Brutalismus der Formensprache bewusst gewesen wäre. Den Boden dazu hatte nicht zuletzt die legendäre Lehrtätigkeit von Gropius bereitet, der schon seit 1938 – also lange vor Gründung von TAC 1945 – als Leiter der Architekturabteilung der Harvard Graduate School of Design (GSD) die Ausbildung reformiert hatte.

Ein ferner Einfluss von Bauhaus in Harvard

Hier konnte er im offenen, diskursiven Modell nach angelsächsischem Muster eine eigene Entwurfslehre entwickeln. Die ‚juries‘ der studentischen Abschlußarbeiten in Harvard und Yale boten sprühende intellektuelle Auseinandersetzung von großem Unterhaltungs-wert, voller Respekt ausgetragen, aber auch mit harten Bandagen. Man spürte einen fernen Einfluss des Bauhauses, das sich über Personen wie Gropius und seine jungen Kollegen nicht nur vermittelte, sondern im kulturellen Umfeld der USA bzw. unter den fruchtbaren Bedingungen einer Elitehochschule zu etwas ganz Neuem entfalten konnte.
  
Auf diesem didaktischen Unterbau wuchs das kollektive Arbeitsmodell von TAC zu einem Sammelbecken hochbegabter Architekten aus aller Welt. Einem verbreiteten Gründungsmythos widersprechend, war es aber nicht Gropius, der sich etwa seine sieben Partner zur Mitarbeit selbst ausgesucht hätte. Es war eher umgekehrt, indem vier der späteren Partner schon vorher durch ein Netz persönlicher und beruflicher Beziehungen miteinander verbun-den waren. Dieses Netz hatte sich im Klima eines sozialen und architektonischen Optimismus nach dem Zweiten Weltkrieg in den USA geformt. 

Ein weltweites Kollaborativ

Norman C. „Fletch“ Fletcher (1917-2007), Louis A. McMillen (1916-1998), Robert S. McMillan (1916-2001) und Benjamin C.  Thompson (1918-2002) waren Studienkollegen in Yale gewesen, wo sie bereits ein „World Collaborative“ planten, „ein ideales Büro“, das Malerei, Bildhauerei und Architektur vereinen sollte. John „Chip“ Harkness (1916-2016) und Fletcher waren beide ‚conscientious objectors‘, also Kriegsdienstverweigerer gewesen; Jean B. Fletcher (1915-1965) und Sarah „Sally“ P. Harkness (1914-2013) hatten an der Cambridge School of Architecture and Landscape Architecture studiert, der ersten ‚degree-granting‘ Design-Hochschule für Frauen in den USA. Chip und Sally heirateten 1941, Jean und Norman 1945.
 
Die fast gleichaltrige Freundesgruppe war also bereits zur gemeinschaftlich organisierten Zusammenarbeit entschlossen und wollte einen erfahrenen ‚senior practicioner‘ hinzugewinnen, der ihr auf dem Berufsweg helfen und dem jungen Büro Status geben könnte. Und so kam Gropius ins Boot als ein kongenialer Mitstreiter, dessen Einstellung zur Teamarbeit sich mit den Überzeugungen der anderen deckte. Das Ziel der acht Gründer war nicht niedriger gesteckt, als, in den Worten von Sally Harkness, „die Welt neu zu erschaffen“.

Eine liberale, ungezwungene und freie Atmpsphäre

Aus heutiger Sicht stellen sich Fragen zum tatsächlichen Funktionieren dieser Bürogemeinschaft, die nach zögerlichem Beginn schließlich zu einem global agierenden Unternehmen mit Zweigbüros in Rom, Kuwait und San Francisco aufstieg. Der Arbeitsstil bei TAC unterschied sich von anderen Architekturbüros schon dadurch, dass sehr viel Zeit in die Entwurfsphase investiert wurde, mit immer neuen Varianten und Alternativen. Dabei war die Atelieratmosphäre lässig-liberal, ungezwungen und frei. Die für die jeweiligen Projekte zuständigen Partner führten die Mitarbeiter an der langen Leine, was angenehm TAC-typisch, ja selbstverständlich war; bis später der lockere Umgang – bei fast 400 Mitarbeitern zur Glanzzeit der 1960er Jahre – allmählich auf Kosten von Übersicht und Effizienz ging. Zudem war mit dem Tod von Gropius 1969 dessen einigende Kraft verloren gegangen.
  
Das TAC-Modell des anonymen, aber schöpferischen Kollektivs hat ein glanzvolles Oeuvre hinterlassen, das zu Recht auch international gefeiert wurde. Zumal die wegweisenden Schul- und Campusbauten Neuenglands haben bleibende Spuren gelegt. Das Büro hatte aber – seiner Struktur nach eher auf Erkenntnis- als auch Geldgewinn ausgelegt – langfristig keinen goldenen Boden. Als dann in der Spätphase mit dem Irak-Krieg Honorare in Millionenhöhe ausblieben, war das Ende 1995 nicht mehr fern. Trotzdem bleibt es das Verdienst von Gropius und seinen Mitstreitern, mit TAC über 50 Jahre hinweg ein zukunftsweisendes Arbeitsmodell von „Demokratie im Kleinen“ verwirklicht zu haben.   

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