Ein „Denkmal“ in Neuengland
Das Gropius Haus in Lincoln, Massachusetts
Nachdem der deutsche Architekt Walter Gropius (1883-1969), Gründer der deutschen unter dem Namen Bauhaus bekannten Ideenschule, an der Harvard Graduate School Of Design In Architecture eine Tätigkeit als Dozent erhalten hatte, erbaute er 1938 in Lincoln, Massachusetts das Gropius-Haus, das zum Wohnsitz der Familie werden sollte.
Von Wendy Hubbard
Als Walter Gropius mit seiner Frau Ise und deren Adoptivtochter Ati in den USA ankamen, hatten sie nicht viel mehr dabei als ihre im Bauhaus-Stil entworfenen Möbel, ein paar Bücher und andere persönliche Gegenstände. Sie fanden ein Haus im Kolonialstil in der Sandy Pond Road in Lincoln, Massachusetts, über das Ise später schrieb: „Unsere Bauhaus-Möbel sahen in den winzigen Zimmern dieses adretten im Kolonialstil gehaltenen Häuschens sehr sonderbar aus.“
Dank neugefundener sozialen Kontakte bot sich der Familie jedoch bald eine andere Möglichkeit: Henry Shepley, ein befreundeter Architekt, erzählte Helen Storrow, ihres Zeichens Kunstmäzenin und Menschenfreundin, dass „der neue Professor aus Deutschland” an der Harvard School Of Design „unbedingt ein eigenes Haus bauen möchte, aber leider nicht die finanziellen Mittel dazu hat“. Mrs. Storrow war der Meinung, dass neue Einwanderer stets eine Chance bekommen sollten und bot Gropius ein Grundstück an, auf dem er sein Haus bauen konnte. Mit den nötigen Geldern stattete sie ihn gleich mit aus, denn sie war überzeugt: „Wenn es gut ist, dann wird es Bestand haben“. Gropius entschied sich für ein rund 16.000 Quadratmeter großes Grundstück, das auf einem kleinen Hügel inmitten von Mrs. Storrows Apfelplantage lag.
Tradition und Innovation kombiniert
Für seinen Hausentwurf vereinte Gropius traditionelle Elemente der Architektur Neuenglands mit neuen, innovativen Materialien. Das Design des Gropius-Hauses folgt der Bauhaus-Philosophie, die auf Schlichtheit, Funktionalität, Wirtschaftlichkeit, Geometrie und eine Ästhetik setzte, die durch das gewählte Material und nicht durch üppige Verzierung entstehen sollte.Am Fachbereich Bauhaus konnte Gropius bald viele andere renommierte Künstler vereinen, darunter Josef Albers, Wassily Kandinsky, Paul Klee, Laszlo Moholy-Nagy, Herbert Bayer, Anni Albers, Marianne Brandt, Alexander Schawinsky, Gunta Stolzl und Marcel Breuer. Im Wohnhaus der Familie Gropius in Lincoln gingen nicht nur Kollegen der Bauhaus-Bewegung und befreundete Einwanderer ein und aus, sondern auch viele berühmte Namen des 20. Jahrhunderts: Alexander Calder, Joan Miro, Igor Stravinsky, Henry Moore, Demetri Hadzi, Frank Lloyd Wright und viele andere zählten hier zu den regelmäßigen Gästen.
Die Einträge ins Gästebuch, die inzwischen zusammen mit einer Sammlung handgefertigter künstlerisch gestalteter Karten digital eingescannt wurden, sind ausgesprochen charmant, persönlich und filigran. Die Papierarbeiten sind einer der Höhepunkte der interaktiven Ausstellung zu Ehren des 100-jährigen Bauhaus-Jubiläums im Gropius-Haus. Walter und Ise Gropius förderten moderne Architektur und die Regeln des Bauhauses auch dadurch, dass sie ihr Wohnhaus als Anschauungsobjekt zur Verfügung stellten.
Ein wichtiger Teil des Architektur-Kontinuums in Neuengland
Seinen letzten Wunsch formulierte Walter Gropius folgendermaßen: „Es wäre großartig, wenn alle meine Freunde von früher und von heute gemeinsam ein kleines Bauhaus-Fest feiern würden, frei nach dem Motto: Trinken, Lachen, Lieben. Dann bin ich gerne bei euch. Das ist doch sinnvoller als jedwede Friedhofs-Rhetorik. Liebe ist die Grundlage aller Dinge. Ise, die ich von allen Menschen am meisten geliebt habe, bitte ordne und verwalte mein geistiges Erbe. Was dieses Grundstück betrifft, so tue damit das, was du für richtig erachtest. Und denke auch an meine ebenfalls geliebte Ati.“Als Gropius im Juli 1969 starb, entsprach seine Frau dessen Wünschen und vermachte sowohl dem Bauhaus- als auch dem Harvard-Archiv die entsprechenden Materialien. Darüber hinaus schenkte sie dem Harvard Art Museum und dem Bauhaus-Archiv in Berlin diverse Werke. Ise Gropius beschloss 1979 außerdem, das Haus und sämtlichen persönlichen Besitz der Society For The Preservation Of New England Antiquities („Gesellschaft zur Denkmalbewahrung in Neuengland“) , dem jetzigen Historic New England, zu vermachen, lebte aber noch bis zu ihrem Tod im Jahr 1983 selbst in dem Gebäude.
Sie hatte erkannt, dass das Gropius-Haus ein Stück Neuengland und ein wichtiger Teil des dortigen Architektur-Kontinuums war, was es auch heute noch ist. Man erzählt sich die charmante Anekdote, dass es Ise Gropius immer sehr viel Freude bereitet hat, wenn das Gropius-Haus als eine „Denkmal“ Neuenglands bezeichnet wurde. Heute sorgt die Denkmalschutzorganisation Historic New England dafür, dass der Vision der Familie Gropius, Dinge zu bewahren und der Nachwelt zu Bildungszwecken zu erhalten, auch in Zukunft Rechnung getragen wird.
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