Peter McMahon
Ein Zufluchtsort für neue Ideen
Während der Great Depression waren viele Ortschaften im ländlichen Neuengland abgelegen und dünn besiedelt, insbesondere am äußeren Cape Cod. Fotografien von Truro aus den 1930er Jahren zeigen kleine, kastige Häuser, provisorische Außenposten in einem baumlosen, trostlosen Moor. Doch die Küste Neuenglands sollte sich bald als fruchtbarer Boden für neue Ideen von jenseits des Atlantiks erweisen.
Nachdem ihm 1937 eine Stelle an der Harvard-Universität angeboten wurde, verließ Bauhaus-Gründer Walter Gropius ein turbulentes Europa, um den Sommer an einem Strand am Cape Cod mit Mitgliedern seines engsten Kreises zu verbringen, darunter Marcel Breuer, László Moholy-Nagy, Xanti Schawinsky und Herbert Bayer. Von Anfang an standen Sonnenbaden und viel Bewegung im Freien im Mittelpunkt der Bauhauskultur.
Mit der Gründung des Bauhauses hatte Gropius versucht, scheinbaren Gegensätze zu vereinen: das Kontinuum des traditionellen Handwerks aus Holz, Textilien, Metall, bildender und darstellender Kunst mit den Strömungen radikaler ästhetischer Theorien und den neuen Materialien und Methoden des Maschinenzeitalters. Obwohl die Schule unter dem unablässigen Druck feindlich gesonnener Beamter und dem allgemeinen Chaos in Deutschland zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg stand, war sie bemerkenswert erfolgreich. Aus ihr entstanden ikonische Werke in all diesen Bereichen sowie zahlreiche Patente für neue Möbelherstellungs- und Webverfahren. Noch wichtiger ist, dass sie einen Ansatz für den Design-Unterricht entwickelte, der sich auf die Ergründung der wesentlichen Natur von Materialien und Methoden stützte und sich als sowohl langlebig als auch exportierbar erwies.
Private Residence, Six Moon Hill, Lexington, MA, Designed by The Architects Collaborative, 1950
| © Mark Römisch
Nach ihrem Aufenthalt in Cape Cod verschwendeten Gropius und Konsorten wenig Zeit und leiteten die Zusammenarbeit mit bestehenden Kultureinrichtungen wie dem Museum of Modern Art ein. Zusätzlich wirkten sie an der Gründung neuer Institutionen wie der Harvard Graduate School of Design, dem Chicago New Bauhaus, dem Black Mountain College und dem Aspen Institute mit. Der Einfluss dieser Flüchtlinge auf das Leben in den USA, von der Stadtplanung bis hin zu den Schriftarten, die in Briefköpfen für Geschäftskorrespondenz verwendet werden, ist kaum zu überschätzen.
An der Harvard-Universität engagierten sich Gropius und Breuer als wegweisende Mentoren für eine Generation von Schlüsselfiguren der amerikanischen Architektur in der Nachkriegszeit, darunter Paul Rudolph, Phillip Johnson, I.M. Pei, Eliot Noyes, Edward Larrabee Barnes und viele andere.
In den mageren Zeiten vor dem Zweiten Weltkrieg bildeten die beiden außerdem eine architektonische Partnerschaft. Zu den wichtigsten Produkten dieser Zusammenarbeit zählte eine Reihe von Häusern rund um Boston, bei denen die kubischen, weißen, mehrstöckigen Formen der von ihnen in Europa errichteten Villen beibehalten, aber anstelle von Stuckmauerwerk die ortsübliche Holzverkleidung verwendet wurde. Sowohl Gropius als auch Breuer schrieben von ihrer Bewunderung für den schlichten Funktionalismus der Yankees, den sie in kolonialen Bauernhäusern erkannten.
Bald nach ihrer Ankunft errichteten die beiden nebeneinanderliegende Häuser für sich selbst in der ländlichen Gemeinde Lincoln (unweit der Stadt Cambridge). Beide Gebäude können als Gebäude im Stil Neuenglands aus kubistischer Sicht betrachtet werden. Das hölzerne Tragwerk, die gestrichene Holzverkleidung (hier vertikal angebracht), die Feldsteinwände und der gemauerte Schornstein passen stilistisch zu den historischen Häusern in der Umgebung, dabei wurden jedoch die wesentlichen Bestandteile der Häuser auf dramatische Weise neu interpretiert und neu kombiniert.
Vom länglichen, kastenförmigen Gropius-Haus wurden Teile des Außenvolumens abgezogen, um eine hölzerne Dachterrasse und eine minimalistische Kolonnade einzubinden. Ein überdachter Eingang und eine geschlossene Veranda ragen über die kastige Form hinaus. Neben herkömmlichen Materialien wurden für das Haus Elemente verwendet, die zuvor als „industriell“ gegolten hatten, wie Stahlrohrsäulen, Flügelfenster, Glasbausteine und Korkböden. Das Haus bietet nicht nur eine verteidigungsfähige Zuflucht, sondern auch zahlreiche geschützte Bereiche, von denen aus sich die Natur genießen lässt: die Dachterrasse, die Veranda und das Wohn-/Esszimmer mit seinen großen stählernen Schiebeflügelfenstern, die auf die Pinienwälder und das freie Feld blicken.
Mitte der 1940er Jahre, etwa um die Zeit, zu der Breuer sich löste und ein eigenes Büro gründete, rief Gropius mit einer Gruppe junger Partner The Architects Collaborative (TAC) ins Leben. Die Gruppe legte zusammen, um 8 Hektar Land im nahegelegenen Ort Lexington zu kaufen und dort eine Reihe moderner Häuser mit gemeinsam genutzten Einrichtungen als kollektivistische Gemeinschaft zu gründen, die auf den progressiven sozialen und ästhetischen Idealen der Bauhaus-Bewegung fußte. Ihre neue Gemeinde nannten sie Six Moon Hill. Die Lage der Häuser wurde sorgfältig gewählt, um möglichst ungestörtes Wohnen zu ermöglichen. Fensterbänder zeigen zur Straße, während auf der Hofseite ganze Wände verglast sind, wie auf S. 60 zu sehen ist. Dieser tiefe Fokusbereich projiziert den Betrachter hinaus in die aufstrebende Landschaft.
Etwa zur selben Zeit fanden Gropius, Breuer und Schawinsky mit Familie, Freunden und Gleichgesinnten ihren Weg zurück nach Cape Cod und bauten dort schließlich zahlreiche avantgardistische Sommerhäuser um abgeschiedene Teiche und Talmulden. Im Gegensatz zu den Häusern in Six Moon Hill, die ganzjährig bewohnbar waren, handelte es sich hierbei größtenteils um kleine, unbeheizte, bescheidene Häuser, die jedoch häufig das unverwässerte Designkonzept der Erbauer verkörperten.
Mark Römischs Fotografien zeigen einige selten abgebildeten Aspekte dieser Sommerhäuser und ihrer Umgebung. Der inhärente Widerspruch zwischen der ruhigen, samtenen Luft am Cape Cod und seinen Süßwasserteichen einerseits und den heftigen Stürmen und tosenden Fluten andererseits, die unablässig an die Küste prallen, spiegelt sich in der ambivalenten Haltung dieser experimentellen Sommerhäuser gegenüber der dualen Natur des Cape Cod wieder, darin, dass sie mit dem ungezähmten Gelände eins zu werden und dennoch von ihm getrennt zu bleiben suchen.
Breuer House, Wellfleet, MA, Designed by Marcel Breuer, 1944 | © Mark Römisch In der Nähe des Ortes, an dem das Bauhaus ursprünglich in den USA landete, standen einige der modernen Sommerhäuser am Cape Cod jahrzehntelang leer und verfielen. Die von Menschenhand erschaffenen Elemente wichen dabei der Kraft des Wetters und der Zeit. Für mich war es eine Berufung, mehrere dieser Gebäude wieder in ihren ursprünglichen Zustand zu versetzen, und es ist mir eine große Freude, sie in den Fotografien von Mark Römisch so behutsam dargestellt zu sehen.
Peter McMahon
Peter McMahon ist der Gründer und Direktor des Cape Cod Modern House Trust. Der Trust wurde 2007 gegründet, um die herausragende moderne Architektur des Outer Cape und die damit verbundene kreative Kultur zu archivieren, wiederherzustellen und zu feiern. Er ist zusammen mit Christine Cipriani Co-Autor von Cape Cod Modern, Mid-Century Architektur und Gemeinschaft am Äußeren Kap, 2014, Metropolis Books. Sein Designbüro in South Wellfleet konzentriert sich auf nachhaltige, moderne Architektur und die Restaurierung von Gebäuden der Mitte des 20. Jahrhunderts.