Maria Schubert
Solidarität! Angela Davis und die DDR
„Angela Davis – in die waren wir ja alle verliebt!“ So hörte ich es neulich bei einer Diskussion über die Kontakte afroamerikanischer Bürgerrechtler*innen zur DDR. In der Tat kam an der Ikone der Black Power-Bewegung in der DDR der 1970er Jahre keiner vorbei. Der ostdeutsche Staat rief eine Kampagne für die Aktivistin ins Leben, die ihresgleichen suchte. Wer kann sich nicht daran erinnern, in der Schule eine Postkarte für die inhaftierte Davis geschrieben zu haben? Hunderttausende von Schreiben gingen in den USA ein; DDR-Presse, -Rundfunk und -Fernsehen waren voll von Berichten über Davis; in den Schulen und Arbeiter*innenkollektiven gehörte das Unterschriftensammeln für ihre Freilassung zum Alltag. So erstaunt es kaum, dass Angela Davis Teil der kollektiven Erinnerung all jener Jahrgänge geworden ist, die sich an diese Zeit aktiv erinnern können. Und noch heute bewegt und erregt Angela Davis die Gemüter, so bezeugt es diese Ausstellung. Im Folgenden wird der historische Kontext, in dem sich die Beziehungen der DDR zu Davis bewegten, dargestellt. Zunächst geht es dabei um die Einbettung der Kampagne in die Politik der SED und die Reaktionen auf Davis innerhalb der Bevölkerung. Abschließend ist zu fragen, in welche internationalen Zusammenhänge ihr Engagement einzuordnen ist.
Von Maria Schubert
Johanna zu retten,
beteten Gläubige einer Nation;
so starb sie.
Angela zu retten,
kämpften Menschliche in aller Welt;
so blieb sie am Leben.
Gruß für Angela, Gruß
allen, die kämpften! [1]Helmut Preißler: „Gedanken zur Befreiung von Angela Davis“ in Angela Davis: Lieder – Texte – Noten (Berlin: VEB Lied der Zeit, 1972), 1.
Die DDR und das „andere Amerika“
Die Entscheidung der SED eine Solidaritätskampagne für Davis ins Leben zu rufen, hatte ideologische wie auch innen- und außenpolitische Gründe. Seit ihrer Gründung pflegte der innere Machtzirkel der DDR Kontakte zu kommunistischen Parteien im Ausland, zu den herrschenden Parteien in Osteuropa, aber auch zu westeuropäischen kommunistischen Organisationen sowie zur Kommunistischen Partei der USA (CPUSA). Nachdem Davis bereits in verschiedenen Bürgerrechtsorganisationen aktiv gewesen war, trat sie 1968 aus tiefer Überzeugung der CPUSA bei, wie sie in ihrer Autobiografie beschreibt: „I needed to become a part of a serious revolutionary party. I wanted an anchor, a base, a mooring. I needed comrades with whom I could share a common ideology.” „I needed to become a part of a serious revolutionary party. I wanted an anchor, a base, a mooring. I needed comrades with whom I could share a common ideology.” [2]Als Kommunistin galt sie in der DDR als Vertreterin des sogenannten „anderen Amerikas“ – jenes Teils der US-amerikanischen Bevölkerung, der jetzt noch unterdrückt, aber aus dem später die erhoffte Revolution hervorgehen würde, so die marxistisch-leninistische Ideologie.
Doch Davis stellte nicht nur als Kommunistin eine ideale Kooperationspartnerin für die SED dar. Sie war zudem Teil der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung, der sich die DDR besonders verbunden fühlte. [3] Die Schwarze Bevölkerung wurde in der sozialistischen Welt als Teil des „anderen Amerikas“ angesehen. Rassismus galt als Instrument der kapitalistischen Elite, die damit eine Zusammenarbeit der weißen und afroamerikanischen Arbeiterschaft für eine kommunistische Revolution unterdrückte. Auf der Grundlage dieser Ideologie 57 pflegte die Sowjetunion bereits in den 1930er Jahren Kontakte zu afroamerikanischen Aktivist*innen. [4] Die SED folgte diesem Beispiel, nahm Verbindungen zur afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung auf und unterstützte deren Kampf für Gleichberechtigung. Die junge Republik wollte damit demonstrieren, dass der Rassismus durch die sozialistische Staatsordnung auf ostdeutschem Boden besiegt worden sei. Außerdem erhoffte sich die DDR durch die Solidaritätsbekundungen und Beziehungspflege eine Verbesserung ihres Ansehens im Ausland. In den frühen 1970er Jahren kämpfte der ostdeutsche Staat intensiv um internationale diplomatische Anerkennung im Westen und beabsichtige afroamerikanische Bürgerrechtler*innen als Fürsprecher*innen für seine Positionen zu gewinnen.
So lud die SED bekannte Aktivist*innen zu Besuchen ein, verlegte Bücher afroamerikanischer Autor*innen und veröffentlichte eine Reihe von Schallplatten Schwarzer Musiker*innen und Künstler*innen, deren Musik als „progressiv“ galt. Bereits 1958 besuchte W.E.B. DuBois, einer der bedeutendsten afroamerikanischen Intellektuellen und Aktivisten des 20. Jahrhunderts, den ostdeutschen Staat. 1960 machten sich der berühmte Sänger und Bürgerrechtler Paul Robeson und seine Frau Eslanda Goode Robeson auf den Weg in die DDR. 1964 verbrachte Martin Luther King Jr. einen Abend in Ostberlin und predigte in der Marienkirche. King war nicht von staatlicher Seite zu diesem Besuch geladen worden, sondern kirchliche Vertreter hatten ihn überzeugen können. Da King dem Kommunismus gegenüber kritisch eingestellt war, hatte die SED ihre Schwierigkeiten mit ihm. Obwohl er als Führer der Bürgerrechtsbewegung galt, wurde er medial nicht in gleicher Weise hofiert wie Robeson oder Davis. Erst nach seinem Tod entdeckte die SED King für sich und verkündete ihre Verbundenheit mit ihm. Kings Nachfolger Ralph David Abernathy besuchte 1971 die DDR und war noch mehrmals mit seiner Familie zu Gast in Ostdeutschland. Die Kampagne für Angela Davis baute demnach bereits auf einer etablierten Tradition der Verbindungen der DDR zum „anderen Amerika“ auf, die sich bis zum Ende des ostdeutschen Staats 1989/90 hinzog. Die Kampagne ist als Höhepunkt dieser Beziehungen anzusehen, stellte in ihrer Intensität und ihren Spezifika gleichzeitig aber auch etwas Neues dar.
Die Solidaritätskampagne
Seit Januar 1971 verging kaum ein Tag, an dem die DDR-Medien nicht über die inhaftierte Davis berichteten. Die Jugendzeitung der FDJ junge Welt steigerte die Aufmerksamkeit für die Aktivistin noch einmal, indem sie die Aktion „Eine MillionRosen für Angela Davis“ ins Leben rief. [5] Sie druckte eine Postkartenvorlage ab, die die Jugendlichen ausschneiden und in die USA senden konnten. Zu Davis’ Geburtstag am 26. Januar sollten die Inhaftierte Tausende von Karten erreichen.
Dies war jedoch bei weitem nicht die einzige Aktion der groß aufgezogenen Kampagne. Arbeiter*innenkollektive sammelten Unterschriften, Wissenschaftler*innen reichten Petitionen bei der US-Regierung ein und Orchester veranstalteten Solidaritätskonzerte. In den Schulen sprachen Lehrer*innen mit ihren Klassen über die Aktivistin und bei den Jungen Pionieren und in der FDJ galt Davis als Vorbild.
Journalist*innen der Staatspresse beschrieben die Aktivistin sowohl als Kommunistin als auch als Bürgerrechtlerin, die aufgrund ihrer politischen Gesinnung und ihres Kampfes gegen den Rassismus Opfer der amerikanischen Justiz geworden sei. [6] Die Berichterstattung betonte immer wieder, wie mutig Davis für ihre Ziele stritt, wie sehr sie in den USA unter den Haftbedingungen litt und dass die DDR-Bürger*innen an ihrer Seite stünden. Die Protestschreiber*innen übernahmen dieses ideologische Vokabular in ihre Solidaritätsbekundungen. So wird Angela Davis immer wieder als „eine von uns“ angesprochen und das Mitleiden und Mitkämpfen mit ihren Zielen betont. [7] Die Schreiber*innen kritisierten ihre harten Haftbedingungen und forderten ihre sofortige Freilassung. Den Menschen, die an Davis schrieben, waren in ihren Zuschriften enge Grenzen gesetzt, kontrollierten 58 doch meist Vorgesetzte, Lehrer*innen oder SED-Personal die Briefe. Dennoch stellen die vielen, zum Teil aufwendig formulierten und gestalteten Solidaritätsadressen ein Indiz dafür dar, dass Davis’ Schicksal viele Menschen in der DDR persönlich bewegte. Mit den Schreiben war die Hoffnung verbunden, einen kleinen Teil zu ihrer Freilassung beitragen zu können. Auffällig ist sowohl in der medialen Berichterstattung wie auch in den Solidaritätsadressen, dass Davis immer wieder als „junge Frau“ bezeichnet wird. Die bisherigen Bürgerrechtler, die die DDR besuchten, waren Männer gewesen (mit Ausnahme von Eslanda Goode Robeson, die jedoch in der Berichterstattung hinter ihrem Mann zurückstand). Auch die meisten sozialistischen Arbeiterhelden und -vorbilder waren Männer und wenige so jung wie Davis. Sie stach somit aus diesem Pool der sozialistischen Helden gleich dreifach hervor – als junge Frau, als Amerikanerin und als Schwarze.
Besuche in der DDR
Am 4. Juni 1972 sprach die Jury in Kalifornien Davis von allen Anklagepunkten frei. Der staatsnahe Dichter Helmut Preißler beschrieb die Befreiung von Davis im zu Anfang zitierten Gedicht als Sieg des Kampfes der „Menschlichen in aller Welt“. Die Parteizeitung der SED Neues Deutschland titelte am 5. Juni: „Protest und Solidarität der Millionen führten zum Erfolg.“ [8] Viele, die sich an der Solidaritätskampagne beteiligt hatten, jubelten und beurteilten den Freispruch als Sieg derinternationalen Solidarität. Davis selbst sah die nationale und internationale Aufmerksamkeit für ihren Fall als essentiell für den Ausgang des Prozesses an. Als Dank für die Unterstützung reiste sie im September 1972 durch Länder, die sich besonders stark an der Kampagne beteiligt hatten, darunter auch in die DDR. Als Davis auf dem Flughafen Berlin-Schönefeld landete, begrüßten sie dort 50.000 Menschen. [9] Tosender Jubel umsäumte die befreite Bürgerrechtlerin und ihre Begleiter*innen Kendra und Franklin Alexander von der CPUSA. Derweilen hatten die Sicherheitskräfte alle Hände voll zu tun, um die drängelnden Jugendlichen im Zaum zu halten. 500 Junge Pioniere, die geordnet um die Gangway positioniert werden sollten, rannten ihrem Idol entgegen sobald sie aus dem Flugzeug stieg. Die Staatssicherheit resümierte, dass die Koordination und die Absperrmaßnahmen nicht ausgereicht hätten und in Zukunft noch besser organisiert werden müsse. [10] Davis traf sich während ihres Aufenthalts mit der Politprominenz der DDR – allen voran mit Erich Honecker und sogar mit dem kurz zuvor abgesetzten Walter Ulbricht. [11] Sie absolvierte mehrere Großveranstaltungen, darunter im Friedrichstadtpalast in Berlin, wo sie in FDJ-Bluse die jungen Zuhörer*innen adressierte. Der Andrang der Menschen war erneut riesig, was die Ordnungswut der Staatssicherheit ins Wanken brachte. [12] In den nächsten Tagen besuchte Davis außerdem Magdeburg und Leipzig und wurde auch dort bestürmt und bejubelt. In Leipzig verlieh ihr die Karl-Marx-Universität die Ehrendoktorwürde. Diese war zuvor bereits den Bürgerrechtlern DuBois und Robeson verliehen worden und zeigt die Kontinuitäten in den Verbindungen der DDR zur afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Davis äußerte sich während ihres Aufenthalts begeistert über den sozialistischen Staat und war voll des Lobes für seine Regierung, wie z. B. in ihrer Rede im Friedrichstadt-Palast: „Wir sehen, was es bedeutet, wenn die Arbeiterklasse die Macht in den Händen hält. […] Es lebe die DDR! Es lebe der proletarische Internationalismus!“ [13] In den 1970er Jahren war Davis noch mehrfach zu Gast in der DDR, unter anderem zu den Jugendweltfestspielen 1973.Davis und ihre Zeit
Davis gehörte zu einer neuen Generation innerhalb der Bürgerrechtsbewegung, die mit ihrem Ruf nach Black Power auf die weiße Mehrheitsgesellschaft eine radikale Ausstrahlung hatte. Die Bewegung adressierte die Polizeigewalt gegen Schwarze und berief sich auf das Recht auf Selbstverteidigung. Nachdem die legalen Barrieren der Segregation unter der Führung von Martin Luther King Jr. zum Einsturz gebracht worden waren, kämpften Black Power-Vertreter*innen verstärkt für die ökonomische und soziale Gleichstellung der afroamerikanischen Bevölkerung. Neben Angela Davis sahen einige dieser Bürgerrechtler*innen im Sozialismus eine Inspirationsquelle und manche sogar ein potentielles Zukunftsmodell, um ein Ende des Rassismus herbeizuführen. Verschiedene afroamerikanische Aktivist*innen nahmen die sozialistischen Staaten als Verbündete wahr und kritisierten die Machtverhältnisse in ihrem eigenen Land, indem sie auf die Errungenschaften des Sozialismus verwiesen. [14] In diesen international agierenden Teil der Bürgerrechtsbewegung ist Angela Davis zu verorten. [15]Sowohl der große Zuspruch zur Solidaritätskampagne der SED als auch der enorme Andrang und die Begeisterung, die Davis an allen Orten ihrer Reise durch die DDR entgegenschlugen, zeigen, dass sie jenseits der staatlichen Inszenierung in der Bevölkerung verehrt und bewundert wurde. Zwar waren manche der redundanten Berichterstattung und der ständigen Solidaritätsbekundungen leid, häufig sind solche Beispiele aber eher als Kritik an der staatlich geführten Kampagne und nicht an der Person Davis zu werten.
Zu diesem Davis-Rausch trugen mehrere Faktoren bei. Im SED-Politbüro hatte im Mai 1971 ein Führungswechsel stattgefunden: Der greise Walter Ulbricht war durch Erich Honecker abgelöst worden. Mit Honecker verbanden viele die Hoffnung auf einen Politikwechsel und auf eine offenere Gesellschaft. Und in der Tat lockerte die SED zunächst ihre Kulturpolitik – ein frischer Wind schien durch die DDR zu wehen. Davis passte in dieses moderne, internationale Flair, das sich der ostdeutsche Staat in dieser Zeit zu geben versuchte. [16]
Davis vertrat klare kommunistische Positionen und konnte nur dadurch zu solcher Berühmtheit im SED-kontrollierten Staat aufsteigen. Ihre Wirkung innerhalb der DDR-Bevölkerung ist damit jedoch noch nicht hinreichend erklärt. Davis war vielmehr Teil einer globalen linken Bewegung, die in Ost und West Niederschlag fand. Sie transportierte die Nachricht des Aufbegehrens – gegen grassierendes Unrecht, gegen etablierte Machthierarchien, gegen die alte, weiße und männliche Elite. Die afroamerikanische Aktivistin war Projektionsfläche vieler Aspekte der westlichen Gegenkultur – all jener, die sich gegen den Vietnamkrieg aussprachen, für die Frauenrechte und sexuelle Befreiung demonstrierten, gegen Rassismus und Krieg eintraten; die nach Woodstock pilgerten, gegen die eigenen Eltern rebellierten und nach Flowerpower riefen. Ostdeutsche Jugendliche partizipierten an dieser Protestbewegung, indem sie Davis bejubelten und zum Teil sogar ihr Erscheinungsbild nachahmten, wie z. B. den Afro. Durch die Solidarität mit Davis schwamm die DDR damit auf dem Lebensgefühl vieler Jugendlicher mit. [17] Ob dies längerfristig zu einer verstärkten Zustimmung der Bevölkerung zum SED-Staat beigetragen hat, sei dahingestellt. [18] Denn Davis verkörperte nicht so sehr den von vielen als muffig empfundenen Staatssozialismus, sondern den Geist der linken Rebellion gegen die herrschenden Verhältnisse. [19]
Autorin
Maria Schubert ist Historikerin und promovierte an der Eberhard Karls Universität in Tübingen. Dort erhielt sie mehrere Lehraufträge zu Themen der US-amerikanischen Geschichte und der DDR-Geschichte. Sie veröffentlichte ihre Dissertation mit dem Titel „We Shall Overcome“: die DDR und die amerikanische Bürgerrechtsbewegung im Jahr 2018 im Verlag Ferdinand Schöningh. Seit 2020 ist sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Ruhr-Universität Bochum tätig.