Rosinenpicker
Im Trüben fischen
Warum findet ein Frankfurter Zollfahnder einen Aalkopf vor seiner Tür? Und warum überlebt er tags darauf seinen Angelausflug nicht? Ein Unfall, sagt die Polizei. Die Staatsanwältin sieht das anders.
Auftritt Greta Vogelsang. Die Staatsanwältin mit dem poetischen Nachnamen arbeitet im Frankfurter Dezernat für Umweltverbrechen und Artenschutzdelikte. In
Die Spur der Aale schickt der Romanautor Florian Wacker sie zum ersten Mal ins Rennen gegen das Böse. Und Greta stürzt sich geradezu in den Fall – auch weil sie von ihrem schlechten Gewissen getrieben wird. Hatte doch der Zollfahnder Matthissen noch kurz zuvor versucht, sie zu erreichen und angekündigt, er sei etwas Großem auf der Spur. Und jetzt wird in der erbarmungslosen Hitze des Frankfurter Sommers seine Leiche aus dem Fluss gezogen – mit Kampfspuren.
Der Krimi muss nun zweierlei vollbringen: Zum einen muss er mit unablässigem Spannungsbogen die Geschehnisse rund um den toten Zollfahnder weiterverfolgen. Dass es sich tatsächlich um ein Verbrechen und nicht um einen simplen Unfall handelt, wie von der Polizei zunächst gemutmaßt wird, stellt sich Seite für Seite immer deutlicher heraus. Zum anderen müssen die Protagonistin und ihr privates und berufliches Umfeld eingeführt werden – denn dieser Krimi ist ein Anfang. Auf der letzten Seite des Buches heißt es „Staatsanwältin Greta Vogelsang ermittelt weiter“: Ihr nächster Fall wartet demnach schon auf Aufklärung.
Spezielle Schmuggelware
Zurück zu den Aalen, genauer: den Glasaalen – so heißen die Jungtiere dieser Fischart. Wenn man verrät, dass der Plot sich tatsächlich um den großangelegten, extrem lukrativen Schmuggel dieser besonderen Wasserwesen – der Aal steht auf der Roten Liste der bedrohten Tierarten – von Europa nach Asien dreht, hat man nicht die Spannung ruiniert, das steht sogar schon im Klappentext des Krimis.Interessant ist, wer alles auf welche Weise in das Wildtierverbrechen verwickelt ist und wie die ermittelnden Behörden dem nach und nach auf die Spur kommen. Dazu wechselt Florian Wacker immer wieder die Erzählperspektive – und bereitet beispielsweise dem wenig lebenstüchtigen Paul aus dem französischen Nantes eine Bühne, der aus Unbedachtheit und dem dringenden Wunsch, endlich etwas auf die Reihe zu bekommen und seiner Freundin imponieren zu können, ins Schmuggelnetzwerk hineingerät. Und wir lernen Mian kennen, eine junge Frau aus Hongkong, die es auf der Suche nach einem besseren Leben in ein zwielichtiges Restaurant am Frankfurter Flughafen verschlagen hat und die auf übelste Weise von der Verbrecherbande unter Druck gesetzt wird. Diese und andere zusätzliche Figuren sind ein Gewinn für die Geschichte, erhöhen die Spannung, und Empathie empfindet man sowieso. Gibt es ein gutes Ende für sie? Das will man von Anfang an wissen.
Die Ermittlungen kommen nur schleppend und mit diversen, bürokratisch-hierarchisch bedingten Verzögerungen in Gang – fast wie im richtigen Leben. Aber gleichzeitig ist es, bezogen auf den Unterhaltungsfaktor, sehr angenehm, es einmal nicht mit grausamen Serienkillern, fortwährender Action, alkoholsüchtigen Macho-Kommissaren oder einem Verbrechen in der kalten Welt der Hochfinanz zu tun zu haben – letzteres läge beim Schauplatz Frankfurt ja nahe, ist aber als Motiv doch längst auserzählt.
Unterwegs in Frankfurt
Frankfurt bekommt hier ein anderes Gesicht verpasst: eine Stadt, in der man radeln und in flussnahen Kneipen abhängen kann, die einen großen Bio- und Erzeugermarkt auf der Konstabler Wache hat und lauschige Apfelweinwirtschaften. Überall dort tummelt sich Staatsanwältin Greta Vogelsang, wenn sie sich vom Ermitteln erholt oder über rätselhafte Tatbestände nachdenken muss. Sie ist nicht wie so viele Krimi-Protagonist*innen beziehungsgestört, sondern hat einen verständnisvollen Partner und Eltern, deren langsamer Verfall sie bekümmert. Zwei Katzen sind da noch, deren Namen „Marx“ und „Engels“ auf Gretas Affinität zu linkem Gedankengut hinweisen. Ihre Teilnahme an einer Demo von Globalisierungskritiker*innen anlässlich des G8-Gipfels 2001 in Genua scheint ein traumatisches Erlebnis gewesen zu sein, aber es wird (noch) nicht erklärt, weshalb – wie auch manche von Gretas Mitarbeiter*innen und Vorgesetzten ein Geheimnis oder Unausgesprochenes mit sich herumtragen, ohne dass der Autor es hier und jetzt enthüllt. Aber die handelnden Personen aus Polizei und Staatsanwaltschaft sind lebensnah und charaktervoll gezeichnet – vielleicht offenbaren sie sich im nächsten Band schon ein bisschen mehr.Profitstreben
Und wie ist Florian Wacker auf diesen zunächst abseitig klingenden Plot seines ersten Krimis gekommen? Indem er sich an der Wirklichkeit bedient hat. Tatsächlich gab es 2018 den (vereitelten) Versuch, ungefähr 100.000 Glasaale über den Frankfurter Flughafen nach Asien zu bringen. Das Angler-Fachorgan Blinker.de, in dem all dies nachzulesen ist, fasst die Motive für das verbrecherische Tun zusammen: „In Asien gelten Glasaale als Delikatesse und man sagt ihnen eine potenzsteigernde Wirkung nach. Da der Bestand immer geringer wird, steigen dementsprechend auch die Schwarzmarktpreise.“ Und es wird weiter geschmuggelt, Artenschutz hin oder her – stattdessen: Angebot und Nachfrage, man kennt das.Im realen Fall von 2018 gab es glücklicherweise keine Toten. In Florian Wackers Krimi doch, was aber fast folgerichtig ist, hält man sich vor Augen, worüber sich Greta Vogelsang recht lakonisch mit ihrem Kollegen Uwe austauscht:
„Und wenn ich dir sage, dass die mit den Glasaalen ähnliche Gewinnmargen erzielen wie im Waffen- und Drogenhandel?“
„Ich würde sagen: Oha!“
„Genau, mein Lieber.“
Ein Krimi, der gut unterhält und aus dem man aufgeklärter herausgeht, als man hineingegangen ist – da hat sich die Lektüre doch gelohnt! Also: Mach bitte weiter, Greta Vogelsang.
Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2023. 240 S.
ISBN: 978-3-462-00345-1