Rosinenpicker
Wofür es keine Worte gibt

16 Jahre nach dem letzten Band der Tintenwelt-Reihe begibt sich die Autorin und Illustratorin Cornelia Funke wieder in die Welt von Meggie, Staubfinger und Co. Und sie schafft eine bezaubernde Forterzählung – in der diesmal nicht das geschriebene Wort im Fokus steht.

Funke: Die Farbe der Rache (Buchcover) © Dressler

Was ist mächtiger – Worte oder Bilder? Das ist die zentrale Frage, die über dem vierten Band der Tintenherz-Reihe Die Farbe der Rache steht. 16 Jahre nach Tintentod, das lange als Abschluss einer Trilogie geglaubt wurde, entführt Cornelia Funke wieder in die Welt hinter Druckerschwärze und Papier. Doch im Gegensatz zu den ersten drei Büchern, in dem einige Wenige das Talent beherrschen, Menschen in Bücher hinein und herauszulesen, sind es hier die Bilder, die im Mittelpunkt stehen.

Vertrautes Personal

Wir treffen altbekannte Figuren aus der Tintenwelt wieder: Meggie und Mortimer, Elinor, Resa, Farid, der Schwarze Prinz, Staubfinger. Und Orpheus, der schon in den vorherigen Geschichten durch Betrug und Manipulation glänzte. Er war bereits als Kind ein Fan von Tintenherz, dem namensgebenden Roman, der im Mittelpunkt des ersten Bandes der Reihe steht. Und von den Figuren darin, den Bösewichten Capricorn und Basta und vor allem Staubfinger, dem Feuerspucker, der von Mortimer im ersten Teil in die „echte“ Welt versetzt wurde. Jahrelang hat er einen Weg zurück in sein Buch gesucht, und als der Vorleser Orpheus ihn dann in die Tintenwelt zurücklas, erwartete dieser Dankbarkeit von seiner Lieblingsfigur – vergeblich. Aus Wut und Enttäuschung nimmt er daher im neuesten Teil Kontakt zu einer Schattenleserin auf, die einen grauen Zauber spricht. Orpheus lässt alle ihm unlieben Charaktere – und damit eigentlich alle, die den Leser*innen der Reihe aus den ersten drei Bänden ans Herz gewachsen sind – von einem Illustrator auf Papier bannen und mit spezieller grauer Farbe übermalen, so dass sie verschwinden.

Staubfinger, dessen geliebte Frau und Tochter nun nur noch graue Bilder in einem Buch sind, versucht, sie zu retten. Doch das misslingt, und er muss selbst einen Zauber über sich ergehen lassen. Bis endlich der Schwarze Prinz mit Hilfe von einigen anderen, beispielsweise Lilia, einer Pflanzenflüsterin, zur Hilfe eilt, um Orpheus zu bekämpfen und die Verschwundenen zurückzubringen.

Eine neue alte Geschichte

Nach mehr als einem Jahrzehnt eine beliebte Jugendbuch-Reihe fortzusetzen, kann man wohl als gewagt bezeichnen. Cornelia Funke knüpft mit Die Farbe der Rache jedoch fast nahtlos, lediglich fünf Jahre später, an die Vorgeschichte an. Um zu erklären, was sie bewegte, überhaupt noch einmal in die Tintenwelt zurückzukehren, ist im Buch ein Interview mit ihr abgedruckt. Dort sagt sie, sie könne nie vorhersagen, ob eine Geschichte wirklich abgeschlossen ist. Was sie außerdem hätte zu diesem Weitererzählung gebracht hätte: „ … die Tatsache, dass Orpheus damals entkam, obwohl ich ihm eigentlich ein finsteres Ende schreiben wollte. Meine Arbeit als Illustratorin und die Frage ob Bilder mächtiger sind als Worte, und meine Liebe zum Schwarzen Prinzen.“

Nach wenigen Seiten der Geschichte, fühlt man sich als Leser*in schnell zurück in die Tintenwelt versetzt, mit ihren Glasmännern und Feuerelfen und der mittelalterlichen Atmosphäre. Die Hauptfiguren sind andere, Bekannte und Unbekannte, doch das öffnet die Geschichte nur noch weiter. Nebenbei adressiert die Autorin gesellschaftliche Themen wie Rassismus oder Queerness, ohne dass es künstlich oder aufgezwängt wirkt. Als Hauptcharaktere erfahren Leser*innen nun auch erstmals die Namen von Staubfinger und dem Schwarzen Prinzen, Nardo und Nyame. Mit Lilia taucht eine neue Figur auf, die durch ihren Mut und einer neuen und lebendigen Art von Pflanzenmagie zu einer der Heldinnen der Erzählung wird.

Immer noch atemberaubend

So schafft Cornelia Funke zwar trotz des anderen Fokus keine völlig neue Logik der beliebten Tintenherz-Reihe, auch wenn Die Farbe der Rache sich bereits vom Buchtitel her von den anderen Werken absetzt. Für Fans der Reihe ist es jedoch eine schöne Rückkehr in die atemberaubende Welt, die zudem im Vergleich zum sehr langen dritten Teil recht kurzweilig ist.

Die Antwort darauf, ob Worte oder Bilder stärker sind, müssen sich die Lesenden vor dem Hintergrund aller vier Bände wohl selbst geben. Ayesha, eine junge Frau, die von der bösen Schattenleserin gefangen gehalten wurde und sich dann Staubfingers Freunden anschließt, verkündet am Ende: „Bilder sagen mehr als Worte, denkt ihr nicht? Denn sie wissen auch von den Dingen, für die es keine Worte gibt.“
 
Cornelia Funke: Die Farbe der Rache (Tintenwelt 4)
Hamburg: Dressler, 2023. 352 S.
ISBN: 978-3-7513-0007-0 (ab 14 Jahren)
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