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Ausgesprochen ... integriert
Reisen in der Sardinenbüchse

Zwei Fahrzeugschlangen stehen auf einer Autobahn. Einige Personen haben ihre Autos beim Warten verlassen. Im Hintergrund sind Berge.
Zahlreiche Autos stehen am Ostermontag in einem Autostau auf der Autobahn A13 in der Nähe vom San-Bernardino-Pass. Einige Fahrer haben sogar aufgrund der Wartezeit ihre Fahrzeuge verlassen. | Foto (Detail): Jörg Carstensen © picture alliance / Jörg Carstensen

In Deutschland beginnen bald vielerorts die Sommerferien. Für so manche Familien mit ausländischen Wurzeln, so Sineb El Masrar, bedeutet das teils lange, unbequeme Reisen in die Herkunftsländer.

Im Jahr 1975 fragte trällernd Rudi Carrell, ein niederländischer Entertainer, der den Großteil seines Erwachsenenlebens in Deutschland wohnte, „Wann wird’s mal wieder richtig Sommer, ein Sommer wie er früher war? Ja, mit Sonnenschein von Juni bis September, Und nicht so nass und so sibirisch, wie im letzten Jahr“. Das war in den 1970er Jahren und meine Generation Y stimmt heute in diese Zeilen genauso ein, wie einst schon die Boomer Generation. Wir sind in Deutschland mit all unseren Hintergründen also weit weniger gespalten, als wir glauben. Beim Thema Sommer und Wetter können wir mehrheitlich wunderbar gemeinsam meckern.

Wo der Sommer ist, ist das Verreisen nicht weit und übers Reisen können wir in diesen Breitengraden auch herrlich motzen. Aktuell hockt meine Freundin über den Zeugnissen ihrer Schüler*innen, deren Noten sie von ihren Kolleg*innen einsammeln muss. Da sich auch unter den Lehrkörpern Prokrastinationsweltmeister*innen befinden, kann das bisweilen eine kleine Herausforderung sein. Aber nach der Vergabe der Zeugnisse gilt auch für sie sechs Wochen Urlaub. Wobei eigentlich nur fünf und warum jetzt ausgerechnet Lehrer*innen in ihrem Beruf bei all den Ferien erschöpft sein sollten, erkläre ich vielleicht in einer zukünftigen Kolumne. Hier soll es um das Reisen gehen und was Sommerferien für fast alle Kinder und Erwachsenen verheißungsvoll bedeutet.

Vergangene Erinnerungen erwecken

Für die einen geht es auch nach der Hochphase der Coronapandemie in ferne Länder, für andere ist es ein Ausflug in die benachbarten Berge oder an die Seen. Andere wiederum verschlägt es in die Herkunftsländer ihrer Familien. Das war lange die Reiserealität von sogenannten Gastarbeiter*innen und anderen Einwander*innengruppen; zumeist innerhalb von (Ost)Europa, der Türkei oder (Nord)Afrika. Die Reise fand vorrangig mit dem Wagen statt und je nach Kinderanzahl mit mehr oder weniger Neun-Euro-Ticket-Gefühl. Seit Einführung des temporär vergünstigten Monatstickets ist das Reisen im Regionalzug für manche ein Reisen in der Sardinenbüchse. Feucht, warm und sehr eng. Während es für die einen eine neue Erfahrung darstellt, weckt sie bei anderen vergangene Erinnerungen.

Das Motzen über das Reisen ist eine sehr deutsche Eigenart. Aber es überträgt sich auch auf jene, die Reisen aufgrund ihrer Eltern als weniger komfortabel erlebt haben. Es mindestens ein Jahrzehnt nicht anders kannten, weil ihre Eltern im Alles-für-die-Heimat-sparen-Modus waren und ihre eigenen Kinder einfach selbst wie Sardinenfabrikanten im Blech auf vier Reifen von A nach B und wieder zurück transportierten.

Gelassenheit will gelernt sein

Heute, egal ob mit Zug oder mit dem Flieger in die Türkei, Marokko, Italien oder Libanon, die Bewohner*innen aus Deutschland mit Wurzeln in den jeweiligen Ländern stehen oder sitzen stets motzend vor oder hinter einem. Sie ärgern sich über den Service, die (Nicht)Verspätung, Landung, Abfertigung oder den Zoll. Vielleicht weil sie feststellen, dass es ein gutes Ventil gegen ihre Reisenervosität und Reiseangst ist. Eigentlich ist die Freude groß, die Reiseangst aber größer. Und Nervosität und Angst kennen bekanntlich wie Dummheit und Ignoranz keine Herkunft.

Gelassenheit will hingegen gelernt sein und vielleicht leben wir alle an einem Fleckchen Erde, wo Gelassenheit noch etwas geübt werden muss. Denn sich aufregen macht nur schlechte Laune und die überträgt sich leider allzu oft auf andere.

Während ich diese Zeilen beende, verdunkelt sich der Himmel. Es wird regnen. Und ich liebe es, dieses wechselhafte Wetter in Deutschland. Einfach ein Sommer, wie er früher schon einmal war.

 

„Ausgesprochen …“

In unserer Kolumnenreihe „Ausgesprochen …“ schreiben im wöchentlichen Wechsel Sineb El Masrar, Susi Bumms, Maximilian Buddenbohm und Marie Leão. Sineb El Masrar schreibt über Einwanderung und die Multi‑Kulti‑Gesellschaft in Deutschland: Was fällt ihr auf, was ist fremd, wo ergeben sich interessante Einsichten?

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