DFFB-Direktor Ben Gibson
Mut zum Scheitern
Experimentierfreude sei ihm immens wichtig, erklärt Ben Gibson, Direktor der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin, im Interview mit Goethe.de. Im Februar 2017 ist er seit einem Jahr im Amt. Grund genug, zurück und nach vorne zu blicken.
Herr Gibson, im September 2016 und damit im ersten Jahr Ihrer Amtszeit feierte die Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB) ihr 50. Jubiläum. Welches war der erste DFFB-Film, den Sie gesehen haben?
In den 1980er-Jahren war ich Filmverleiher in England, als sich kaum jemand für das deutsche Kino interessierte. Wolfgang Petersen, einer der ersten DFFB-Alumni, arbeitete bereits in Hollywood. Ich hatte mich auf dokumentarische und experimentelle Filme spezialisiert, erwarb etwa die Rechte für die Arbeiten von Harun Farocki, oder Alexander Kluges Die Patriotin (1979). Wir verfolgten mit großem Interesse den Werdegang von Regisseuren des Filmverlags der Autoren – Rainer Werner Fassbinder, Wim Wenders und weiteren Filmemachern des Neuen Deutschen Films. Später verfolgte ich die Arbeiten von Regisseurinnen und Regisseuren wie Christian Petzold, Angela Schanelec und Thomas Arslan, die zur sogenannten Berliner Schule gehören, oder auch Wolfgang Becker. Aber ich habe das nie als spezifische Filme der DFFB oder der Münchner Filmhochschule betrachtet – ich war auf der Suche nach aufregenden neuen deutschen Filmen für den englischen Markt.
Rainer Werner Fassbinder, der einer der berühmtesten deutschen Regisseure wurde, hat sich 1966, im ersten Jahr ihres Bestehens, bei der DFFB beworben und wurde abgelehnt. Welche Maßstäbe legen Sie selbst an, um ein Talent zu entdecken?
Natürlich hätte er angenommen werden müssen! Ich glaube, er wurde sogar zweimal abgelehnt. Ein Problem von Filmhochschulen ist die Tendenz, Studenten aufzunehmen, die ein großes kulturelles Potenzial haben, aber nicht gut im Entwickeln, Teilen und in der Zusammenarbeit sind. Ich wünsche mir Studenten mit dem Mut zum Scheitern, die teilen und lernen wollen, mit anderen und durch andere Menschen zu denken. Zusammenarbeit ist mir immens wichtig. Wir sagen unser Projekt, nicht mein Film. Natürlich ist es immer noch eine individuelle Arbeit, aber eine Arbeit, die durch einen gemeinschaftlichen Prozess entstanden ist. Politisches Engagement ist mir wichtig, ein Verständnis der Welt, und die Energie für viel harte Arbeit.
Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin
| Foto (Ausschnitt): © Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin
Die DFFB hat eine turbulente Geschichte. Während der Studentenunruhen 1968 sollte die Kamera als Brennglas und „Waffe“ eingesetzt werden. Auch darüber hinaus war die DFFB aufgrund der besonderen Situation Berlins die politischste Filmhochschule Deutschlands – und ist es immer noch. Wollen Sie diese Tradition fortsetzen?
Unbedingt. Ich kann mich an keine Zeit erinnern, die wichtiger wäre im Hinblick darauf, was Film für die Welt bedeutet, als unsere gegenwärtige politische und soziale Situation. Aber Filme zu machen, die eine echte Verbindung zu unseren Erfahrungen und Erlebnissen darstellen, ist ein komplizierter Prozess. Deswegen sollten wir Filme politisch machen – und nicht so sehr politische Filme machen. Wir müssen uns daran erinnern, dass alle Inhalte politisch sind – auch wenn du einen Film über das Frühstück mit deiner Freundin drehst, bist du in die Politik des täglichen Lebens verstrickt. Heute kann jeder CNN und BBC sehen, und man glaubt zu wissen, wie es in der Welt aussieht. Aber es ist schwerer als vor 20 Jahren, Solidarität mit anderen Menschen auf der Welt zu entwickeln. In reichen Ländern denken viele: Ich bin nur ein Zuschauer aus der Mittelschicht, während die Menschen in den Flüchtlingscamps das echte Leben, echte Politik verkörpern. Ich schaue ihnen aus der Entfernung wie durch ein Teleobjektiv zu und versuche, Empathie und Verständnis zu empfinden. Doch manchmal ist alles, was man dabei fühlt, der Exotismus einer solchen Beziehung. Reife beim Filmemachen bedeutet aber, selbst Verantwortung dafür zu übernehmen, wie ich als Filmemacher Politik und Gesellschaft verstehe.
Im Februar 2017 sind Sie ein Jahr lang Direktor der DFFB – was sind Ihre Visionen für die Zukunft?
Wir versuchen, eine Institution aufzubauen, die sich selbst, ihre Strukturen und ihre Ideologie hinterfragt, und zwar permanent. Manchmal erschrecke ich, wenn Studenten oder Mitarbeiter von „Traditionen“ sprechen – mich interessiert die nicht-traditionelle Tradition. Aber jeder hier trägt die Schule in seinem Herzen und übernimmt Verantwortung dafür, was sie darstellt. Ich möchte, dass wir zusammen daran arbeiten, den Bereich des Filmhandwerks weiter auszubauen. Dass wir Folgeprogramme nach dem Abschluss entwickeln – also noch mehr Aufmerksamkeit auf die nächsten Schritte der Studenten richten, mit Networking-Projekten, Sales-Marketing, Verleih, Co-Produktionen wie etwa zwischen Ost- und Zentraleuropa, in Zusammenarbeit mit dortigen Filmschulen und Festivals. Aufgabe der DFFB ist es auch, ihre große Flexibilität zu nutzen und daran zu erinnern, dass eine Filmschule und ihre Mitglieder ein Katalysator sein können, der Einfluss auf die ganze Filmkultur haben kann.
Seit Februar 2016 ist Filmproduzent Ben Gibson, geboren 1958 in London, Direktor der DFFB in Berlin. Von 2001 bis 2014 leitete er die London Film School. Gibson arbeitete auch als Produzent beim British Film Institute (BFI) und hat die Gibson Londoner Kinogruppe Metro Cinema gegründet.