Raumakustik in Konzertsälen
Berg trifft Schachtel
Man hört viel. Vielleicht nicht ganz so brillant, wie Yasuhisa Toyota versprochen hatte, aber immer noch genug, um das Fachpublikum zu begeistern. Als Beispiel moderner Konzertsaalarchitektur hat sich die Hamburger Elbphilharmonie daher vorerst akustisch bewährt. Doch die Diskussion um den idealen Klang geht weiter.
Konzertsäle liegen im Trend. Innerhalb von zwölf Monaten wurden in Bochum, Hamburg, Berlin, Dresden, Künzelsau neue Häuser eröffnet und auch in München wurde im Herbst eine Entscheidung getroffen. Dabei geht es einerseits um touristische Aspekte wie etwa die Wirkung von sogenannten Signature Buildings, im Idealfall aber vorrangig um die Klangwirkung eines Saales. „Die Menschen müssen verstehen: Entscheidend ist, was im Konzertsaal passieren wird“, meint der Chefdirigent des BR-Sinfonieorchesters Mariss Jansons, einer der treibenden Kräfte hinter den Neubauplänen in München im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. „Die Wahl des richtigen Akustikers ist ein sehr wichtiger Moment für das Gelingen“. Denn es gibt viele Alternativen auf der Suche nach einem ausgewogenen Klangbild, das präzise die von den Instrumenten erzeugten Geräusche wiedergibt und mit der richtigen Prise Räumlichkeit abbildet.
Drei Akustiken
Konzertsäle haben nicht eine Raumakustik, sondern drei. Die gängigste Perspektive ist die des Publikums: Das wahrgenommene Klangbild des Konzertsaals dient dazu, das künstlerische Erlebnis abzurunden und den richtigen Rahmen zu setzen. Eine zweite Raumakustik klingt im Ohr des Dirigenten. Er steht direkt vor den Musikern und nimmt daher ein viel stärkeres, lauteres und kraftvolleres Klangbild als das Publikum auf. In direkter Nähe zum Orchester wirken sich die unterschiedlichen Entfernungen zu verschiedenen Instrumentengruppen stärker aus, daher ist das Mischungsverhältnis der einzelnen Instrumente untereinander am Platz des Dirigenten ein anderes als im Publikum. Die besondere Aufgabe des Dirigenten ist es, diesen Unterschied mitzuhören, mitzudenken und mitzudirigieren, so dass der Klang nicht am Pult, sondern im Publikum optimal ist.Die dritte akustische Charakteristik eines Konzertsaals betrifft die Musiker untereinander. Hier geht es nicht so sehr um ästhetische, als eher um technische Anforderungen. Um das Zusammenspiel zu synchronisieren, ist eine präzise Hörbarkeit aller Instrumentengruppen untereinander erforderlich. Wegen gegenseitiger Verdeckung und Überlagerung von Klängen sind dafür unterstützende Reflexionen der Podiumsbegrenzungen und der Decke unerlässlich. Das Zusammenspiel zwischen Klangkörper und Raum entwickelt sich in Konzertsälen mit eher trockener, nüchterner Charakteristik anders als in einem Ambiente mit musikalisch vollem Klangbild. Das kann bedeuten, dass sich insbesondere in neuen Sälen ein optimales Zusammenspiel von Raum, Dirigent und Klangkörper erst nach einer Eingewöhnungsphase sowohl des Publikums als auch der Musiker ergibt.
Schuhschachtel oder Weinberg?
Ursprünglich wurden Räume nicht speziell unter akustischen Aspekten geplant, sondern nach funktionalen Anforderungen und Erfahrungswerten errichtet. Beispiele mit einem guten Klang wurden häufiger kopiert als solche mit schlechtem. Somit ergab sich über die Jahre das Leitbild einer Akustikplanung, das überwiegend auf Ähnlichkeiten zu erfolgreich ausgeführten Räumen beruhte. Die klassischen Konzertsäle waren von rechteckigem Grundriss, wobei einerseits die Größe und andererseits die Seitenverhältnisse wesentlich für den akustischen Charakter sind. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde von Hans Scharoun und Lothar Cremer bei der Planung der Berliner Philharmonie das „Weinbergkonzept" entwickelt. Die fließend versetzte Anordnung der Publikumsflächen stand der Namensgebung Pate, treffender ist aber die Bezeichnung Amphitheater. Die Spielflächen befinden sich im unteren zentralen Bereich des Aufführungsraumes und die Publikumsflächen steigen allseitig an. Attraktiv ist dieses Konzept für die Hausbetreiber, da sich so deutlich mehr Publikumsplätze unterbringen lassen. Auch unter gesellschaftspolitischen Aspekten wurde dieser Ansatz begrüßt, da das herkömmliche System der Preis- und Güteklassen der Plätze aufgelöst und der Musikgenuss quasi demokratisiert wurde.In akustischer Hinsicht ergeben sich jedoch Schwierigkeiten, die kompensiert werden müssen. So tragen die in Rechtecksälen auftretenden Schallrückwürfe an den Seitenwänden erheblich zum Klangbild bei und erzeugen beim Publikum den Eindruck einer einhüllenden Räumlichkeit. In Weinbergsälen existieren kaum einheitliche Wandflächen, weshalb die unterstützenden Schallreflexionen durch zusätzlich angeordnete Reflexionsflächen wie etwa Brüstungsflächen aus Marmor hinzugefügt werden müssen. Wegen der unsymmetrischen Struktur der Räume gelingt dies nicht in alle Richtungen gleich, an unterschiedlichen Plätzen kann sich ein deutlich abweichendes Klangbild ergeben. Hinzu kommt, dass bei Weinbergsälen der Punkt größter Deckenhöhe ähnlich wie bei einem Zelt in der Mitte über dem Orchester liegt. Gerade dort wäre aber eine niedrige Decke für die gegenseitige Hörbarkeit der Musiker erforderlich.
Als Notlösung wird deshalb die Grundform des Raumes durchbrochen und – wie beispielsweise in der Berliner Philharmonie, dem Münchner Gasteig oder der Elbphilharmonie – die erforderliche Reflexion über dem Orchester durch zusätzliche Deckensegel oder Ähnliches hergestellt. Der Wettstreit der Konzepte ist bislang offen. Obwohl die herausragenden Neubauten der letzten Jahrzehnte überwiegend im Weinbergkonzept errichtet wurden, zählen klassische Schuhschachteln wie der Wiener Musikvereinssaal nach wie vor zu den besten Konzertsälen der Welt. Soweit überhaupt verallgemeinert werden kann, ergibt sich für Rechtecksäle ein etwas eingeschwungeneres, musikalisch volleres Klangbild als für die tendenziell eher durchsichtig und klar klingenden Weinbergsäle.
Beispiel Elbphilharmonie
Die Elbphilharmonie etwa folgt dem Weinbergkonzept und entwickelt die Ansätze der Berliner Philharmonie weiter. Verglichen mit dem Vorbild in der Hauptstadt finden sich noch weniger große Flächen für Schallrückwürfe. Dafür wurde mit der aufwendigen Gestaltung der sogenannten „weißen Haut" aus Gipsfaserbeton mit 10.287 eigens gestalteten, wabenähnlichen Einzelteilen deutlich mehr Wert auf eine gleichmäßige Durchmischung des Schallfeldes im kleineren Maßstab gelegt. Wie in Berlin erreichen auch in Hamburg die Schallreflexionen an der hohen Saaldecke die Musiker zu spät, um eine präzise Synchronisation zu erlauben. Wo in der Hauptstadt nach einigen Jahren Deckensegel nachgerüstet werden mussten, konnte an der Elbe schon in der Planung ein pilzförmiger Deckenreflektor einbezogen werden, der dem Orchester ein präzises Zusammenspiel mit überwiegend durchsichtiger und analytischer Klangwirkung ermöglicht.Elbphilharmonie, Großer Saal | Foto © Michael Zapf
Der Pierre-Boulez-Saal
Der Pierre-Boulez-Saal in der Berliner Barenboim-Said-Akademie gehört als Kammermusiksaal einem besonderen Raumtyp an und ist für kleinere Klangkörper optimiert. Die ebenfalls von Yasuhisha Toyota betreute Gestaltung ist einzigartig: Der Raum sticht besonders durch die fast elliptische Grundform mit der Orchesterfläche in der Mitte und ringsum ansteigenden Publikumsflächen hervor. Wegen der sich so ergebenden Brennpunktwirkung des an den Raumwänden reflektierten Schalls ergeben sich mit dieser Grundform üblicherweise erhebliche Probleme mit dem Klangbild, die im vorliegenden Fall jedoch durch die geschickte Optimierung der Raumdimensionen und die gezielte Herstellung von Schallstreuung unterbunden wurde.Pierre-Boulez-Saal | Foto © Volker Kreidler