Schnelleinstieg:

Direkt zum Inhalt springen (Alt 1) Direkt zur Hauptnavigation springen (Alt 2)

Zeit der Kannibalen
Kapitalismus grotesk

„Zeit der Kannibalen“, Regie: Johannes Naber, 2014
Foto (Ausschnitt) © studio.tv.film

Mit rasiermesserscharfen Dialogen sezieren drei deutsche Unternehmensberater die „Human Resources“ des Kapitalismus in einem globalen Kammerspiel – und zerlegen sich dabei auf absurd komische Weise selbst.

Von Urs Spörri

Bianca (hört Maschinengewehrsalven): „Da draußen ist Krieg.“
Niederländer: „Wenn es was Ernstes wäre, dann hätten sie uns längst rausgeholt.“
Bianca: „Wer? Die deutsche Botschaft, oder was?“
Öllers (sarkastisch): „Nee, das Goethe-Institut, Bianca ...“

Zeit der Kannibalen ist angebrochen: Niederländer und Öllers (sie reden sich nur mit den Nachnamen an) sind seit Jahren ein Team von Unternehmensberatern für „die Company“. Gemeinsam reisen sie von Krisenland zu Krisenland, um zu optimieren und Gewinne einzufahren. Ohne Rücksicht auf (menschliche) Verluste. Dabei verlassen sie nie ihre – immer gleich aussehenden – Hotelzimmer. Als die Chefetage ihrer „Company“ einen neuen Partner sucht, müssen sie plötzlich auch gegeneinander kämpfen: Wer wird aufsteigen? Und dann bekommen die beiden auch noch die aufstrebende Idealistin Bianca vor die Nase gesetzt, die einen Bericht über sie verfassen soll. Zu dritt müssen sie zusehen, wie der Kapitalismus sie schließlich selbst aufzufressen droht.

Satirisches Kleinod mit schwarzem Humor

Regisseur Johannes Naber ist mit Zeit der Kannibalen ein satirisch überhöhtes Kleinod gelungen, das im deutschen Gegenwartskino nahezu einzigartig erscheint. Brillante Dialoge aus der Feder von Drehbuchautor Stefan Weigl bringen auf schwarzhumorige Weise diese kapitalistische Welt näher, die uns Konsumenten ansonsten verborgen bleibt. Als Werbetexter und Kreativdirektor hatte Weigl zuvor zwölf Jahre lang Typen wie Niederländer und Öllers studieren können, die im Film durch ihre Vielschichtigkeit beeindrucken und nicht bloße Karikaturen sind. Bissiger Sarkasmus zerstört bei ihnen sofort jeden Anflug von Anteilnahme: „Der Kapitalismus soll die Welt retten?“, fragt Bianca bei einem Disput mit Öllers. „Der Kapitalismus soll diese Welt da draußen zerstören!“, antwortet Öllers voller Überzeugung, woraufhin Bianca ihn spöttisch als Romantiker bezeichnet.

Es pocht und pulsiert

„People are crazy here.“ Egal, wo sich das Trio befindet: Die drei Unternehmensberater verlassen nie das Hotel. Von Indien bis Nigeria, überall sieht es im Film erschreckend gleich aus. Schließlich leben sie ja immer in derselben (komplett fiktiven und bis ins letzte Detail perfekt gestalteten) chinesischen Hotelkette, wo die Räume wie ein Ei dem anderen gleichen. Niederländers Hobby ist gar, unabhängig vom Ort des Geschehens im Dunkeln den Koffer auf Zeit möglichst schnell packen zu können, um bei einer Evakuierung nie ohne seine Siebensachen dazustehen. Überhaupt ist alles ein Wettbewerb bei dem Zyniker der Truppe: Auf dem Hometrainer-Fahrrad sitzt Niederländer wahlweise im gepunkteten Bergtrikot oder im gelben Trikot des Führenden der Tour de France. Vor ihm steht aber immer nur der Laptop, der eine idyllische Straße offenbart. Dabei ist der Blick aus dem Fenster der hermetisch abgeschlossenen Hotelzimmer von Regisseur Naber ein bewusster Bruch mit der Realität: Draußen wächst nichts außer zahllosen Stein-Stelen, die offensichtlich aus Pappmaschee gestaltet wurden und in ihren unterschiedlichen Höhen und Ausprägungen an das Holocaust-Mahnmal in Berlin erinnern sollen. Welch ein Signal: Die deutschen Unternehmensberater hinterlassen Wunden, und draußen erwächst an jedem Ort das gleiche Mahnmal der Vernichtung. Die pochend-pulsierende atonale Musik von Komponist Cornelius Schwehr verstärkt dieses Gefühl der Verlorenheit und Beklemmung nur noch weiter – freilich ohne jemals den feinen schwarzen Humor dieser Wirtschaftsgroteske zu zerstören.

Herausragendes Schauspielensemble

Zeit der Kannibalen inszeniert drei Kontrollfreaks, die einen bis ins letzte Detail zelebrierten Kontrollverlust erleiden müssen. In erster Linie ist dies natürlich der Verdienst des herausragenden Schauspielensembles um Devid Striesow (Öllers), Sebastian Blomberg (Niederländer) und Katharina Schüttler (Bianca), die in diesem Kammerspiel mit ungeheurer Präzision den schmalen Grat zwischen den unerbittlichen Kapitalisten und deren persönlichen Bedürfnissen und Idealen beschreiten. Striesow etwa, der in Christian Petzolds YELLA bereits eine ähnliche Figur spielte, bietet beim großen Finale Schauspielkunst der Extraklasse. Johannes Nabers Regieanweisung lautete: „ Du bist mit 80 km/h gegen einen Baum gefahren, steigst aus und denkst, dir sei gar nichts passiert. Dann kommen Leute, die dich darauf ansprechen – und plötzlich merkst du, dass deine Körperfunktionen aussetzen.“ Öllers ist in Zeit der Kannibalen gedanklich gegen diesen Baum gefahren. Und mit ihm die gesamte Welt des Kapitalismus.
 

Diesem absurden Zustand [des entfesselten Kapitalismus] kann man nur mit einem absurden Film begegnen.

Johannes Naber, Regisseur von Zeit der Kannibalen

 

autor

Urs Spörri © Urs Spörri Urs Spörri ist Kulturmanager beim Deutschen Filminstitut. Als Experte für das aktuelle deutsche Kinogeschehen moderiert er Veranstaltungen vom Filmfest München bis zum Saarbrücker Filmfest Max Ophüls Preis und tourt mit seinem Vortrag „Donald Trump, der Schauspieler“ über die 25 Film- und Serienauftritte des US-Präsidenten durch die Welt. Daneben ist Spörri Gutachter bei der Deutschen Film- und Medienbewertung und Kolumnist für kino-zeit.de

Top