Korallenriffe sind für die Gesundheit unseres Planeten unentbehrlich, aber sie liegen im Sterben. In Fidschi versucht ein Korallengärtner, die Welt Riff für Riff zu retten.
Dr Austin Bowden-Kerby ist nicht mehr der Jüngste. Aber er strotzt nur so vor jugendlicher Energie und Leidenschaft. „Wow! Sehen Sie sich diese Koralle an!“ Ich schwimme hinüber. „Das ist eine Geweihkoralle. Die sind hier sehr selten“, schwärmt er. Wir sind auf Erkundungstour in den Gewässern vor dem Beach House, einem kleinen Refugium an Fidschis berühmter Korallenküste. Kurz darauf ein weiterer Ruf: „Ich habe Nemo gefunden!“ Ein schüchterner Clownfisch huscht in sein Versteck. Später beißt Austin genüsslich in eine vorbeitreibende essbare Alge. „Sie gelten als hervorragendes Aphrodisiakum“, zwinkert er.
Sein Enthusiasmus für das Leben am Riff ist ansteckend, dahinter verbirgt sich jedoch eine ernste Sorge – nämlich dass es seine geliebten Riffe in nur ein paar Jahrzehnten vielleicht nicht mehr geben wird. „Die meisten Prognosen sagen, dass die Korallenriffe im Jahr 2050 verschwunden sein werden.“ Aber Austin hat einen Plan. Er will die Welt retten und damit bei den Korallen anfangen.
Wer die Korallenriffe rettet, rettet den Planeten
„Die Erde leidet an einem Fieber, das Klimawandel heißt.“ Austin – ein in Amerika geborener Meeresbiologe, der heute auf Fidschi lebt – spricht unverblümt über die Herausforderung, der wir gegenüberstehen. „Wir alle wissen, dass unser Heimatplanet in großen Schwierigkeiten steckt… wir sind aus dem Gleichgewicht geraten.“ Aber warum der Fokus auf Korallen?
Korallenriffe bieten einer Milliarde Menschen weltweit Nahrung, Lebensunterhalt und Küstenschutz. Sie machen weniger als ein Prozent der Fläche des Ozeans aus, beherbergen aber ein Viertel aller Meereslebewesen. Austin zufolge sind Korallenriffe die empfindlichsten unserer Umweltsysteme. Sie stehen im Kampf gegen den Klimawandel an vorderster Front. „Wenn wir dieses System retten können, können wir auch den Planeten retten.“
Um ein Riff zu retten, bedarf es eines Gärtners
Aber wie rettet man ein Korallenriff? Zum Beispiel so: kultivieren, abernten, neu wachsen lassen. Gärtnern! Austin Bowden-Kerby ist Korallengärtner. Das Meer ist bereits seit mehr als 40 Jahren sein Arbeitsplatz. Die Idee des Korallengärtnerns entspross – wortwörtlich – an den von Dynamit zerstörten Riffen Mikronesiens. „Ich habe versucht, Korallen abzubrechen – Korallenäste – und sie fallen zu lassen. Und aus diesen abgebrochenen Teilen bildete sich sofort ein Riff!“ Natürlich nicht ganz sofort – die Korallenäste, die Austin auf die Trümmer toter Riffe legte, benötigten mindestens sechs Monate, um sich voll auszubilden. Aber sie wuchsen, und das machte Austin Mut. Viel Arbeit und einen Doktortitel später ist Austin zuversichtlich, dass Korallengärtnern der richtige Weg zur Rettung der Riffe dieser Erde ist.
Jahrzehnte später hat Austin mithilfe seiner Korallengärtner-Methoden damit begonnen, Riffe auf der ganzen Welt wiederherzustellen, und hat anderen beigebracht, dasselbe zu tun. Aber er betont, dass es sich nicht um eine Sofortlösung handelt. „Ich behaupte nicht, dass ich ganze Riffe neu zu pflanzen versuche. Das ist nicht machbar.“ Dagegen kann man durchaus eine Stelle neu bepflanzen und so „einen gesunden Grundstock“ schaffen, der von selbst wächst und sich ausbreitet.
Und wie funktioniert das genau? Zunächst muss man eine geeignete Stelle finden, die über alles verfügt, was ein Garten braucht – Sonnenlicht, Platz, Schutz vor Witterungseinflüssen. Dann richtet man eine Pflanzschule ein, in der die Korallen wachsen. Später erntet man die Korallen und verpflanzt sie wieder ins Riff, wo sie anwachsen, sich fortpflanzen und ausbreiten.
Und das Beste daran? Mit ein bisschen Training und Sachkenntnis kann jeder mitmachen. „Das ist etwas, das jeder tun kann. Es kann im kleinen Maßstab durchgeführt und immer wieder wiederholt werden und so große Auswirkungen haben.“
Das Riff mit ‚Superkorallen‘ retten
Aber das Korallengärtnern hat sich verändert, seit Austin damit begonnen hat. Anfang 2016 stiegen die Wassertemperaturen weltweit dramatisch an. Überall auf der Welt wurden Riffe beschädigt. Einst florierende Standorte, an denen Austin gearbeitet hatte, blichen vollständig aus und starben. Diese plötzlichen Temperaturanstiege werden von nun an wahrscheinlich die Norm sein. Austin möchte daher nur Korallen pflanzen, von denen er weiß, dass sie wärmerem Wasser ohne Ausbleichen standhalten können. Er nennt sie ‚Superkorallen‘.
Die Gewässer vor dem Beach House stiegen Anfang 2016 auf bis zu 34 Grad Celsius. Das sind drei oder vier Grad mehr als die Bleichtemperatur der meisten Korallen der Erde. Was bedeutet, dass alles, was hier überlebt hat, wohl zu den hitzeresistentesten Korallen der Welt gehört.
Ich folge Austin, während er nach überlebenden Superkorallen sucht. Aber es gibt nicht viel zu finden. Als er auf eine kleine Kolonie trifft, ist er euphorisch. Er löst die Koralle vorsichtig vom Gestein ab und transportiert sie zurück zur Pflanzschule.
Sinn und Zweck unseres Ausflugs ist es, herauszufinden, welche dieser Korallen in einer Zukunft mit wärmerem Wasser überleben werden. „Wenn wir nicht genau wissen, dass das, was wir anpflanzen, auch in Zukunft überleben wird, warum dann überhaupt etwas pflanzen?“Austin sucht für die Superkorallen-Pflanzschule nach so vielen verschiedenen Korallenspezies und -genotypen wie möglich. Manche werden den Sommer vielleicht nicht überleben, aber diejenigen, die es schaffen, gehören dann zu den strapazierfähigsten Korallen der Welt. Perfekt, um ein hitzeresistentes Riff wiedererstehen zu lassen.
In etwa einem Jahr werden diese Superkorallen beschnitten und die Korallen der zweiten Generation wieder am Riff angesiedelt werden. Ab da liegt alles in der Hand von Mutter Natur. Die Korallen werden wachsen und schließlich ablaichen und dabei ihre Nachkommen ins Wasser abgeben, die dann neue Kolonien hitzeresistenter Korallen bilden werden, so weit die Gezeiten sie tragen.
Aber warum diese ‚Superkorallen' nicht einfach lassen, wo sie sind?
Unglücklicherweise sind steigende Wassertemperaturen nicht die einzige Bedrohung für die Korallen. Da ihre natürlichen Fressfeinde überfischt wurden, breiten sich die korallenfressenden Dornenkronenseesterne ungehemmt auf Fidschis Riffen aus. Sie fressen jeden Tag eine faustgroße Koralle. „Jede bleicheresistente Kolonie, die wir in die Pflanzschule bringen, hat unter Pflege eine wesentlich bessere Überlebenschance als in freier Wildbahn“, erklärt Austin.
Die größeren Zusammenhänge sehen
Austin wünscht sich in ganz Fidschi Korallengärtner. Und er möchte sie in seiner Methode unterrichten, damit sie ihr lokales Riff pflegen und rehabilitieren können. Darüber hinaus plant er, mit Resorts zusammenzuarbeiten. Mehrere Resorts haben bereits ausgebildete Korallengärtner eingestellt. Die Dörfer brauchen das Riff für ihre Nahrung. Die Resorts brauchen das Riff für ihr Geschäft. So gewinnen alle.
Aber Austin weiß auch, dass Korallengärtnern alleine nicht genug ist. Wenn Fische ins Riff zurückkehren sollen, brauchen sie Schutz vor Überfischung. Daher sind lokal verwaltete Meeresabschnitte und sogenannte ‚No Take‘-Zonen entscheidend. Aber wenn man die Dorfbewohner bittet, keine Fische zu fangen, wo sollen sie dann ihr Eiweiß herbekommen? Austin arbeitet auch daran – sein Projekt ‚Happy Chickens for Healthy Reefs‘ (‚Glückliche Hühner für gesunde Riffe‘) bringt den Menschen die Hühnerzucht bei. Bis jetzt wurden über 15.000 Küken ausgebrütet und verteilt.
Austin denkt im großen Maßstab – es geht nicht nur darum, das Riff zu retten. Austins Hauptziel ist es, Hoffnung zu vermitteln. Den Menschen zu zeigen, dass man etwas tun kann. Sie zu inspirieren. „Korallen begeistern die Menschen. Sie sorgen dafür, dass die Leute sich engagieren. Das ist ein echter Hoffnungsschimmer in dieser sehr dunklen Zeit. Wir brauchen diese Hoffnung.“