Lücken in der Lebensmittelversorgung schließt in Washington D.C. der mobile Markt Arcadia. Fehlen zur Ernährungssicherheit nur ein paar Busse?
Michael Babin, Gastronom des Jahres der Stadt Washington und Miteigentümer der Neighborhood Restaurant Group, fand vor vier Jahren die Lösung für ein Problem, das ihn bereits geraume Zeit plagte: die permanenten Schwierigkeiten bei der Versorgung seiner Restaurants mit regionalen und nachhaltigen Produkten. Und so gründete er das Arcadia Center for Sustainable Food & Agriculture (Zentrum für nachhaltige Lebensmittel und Landwirtschaft), um Erzeugnisse aus der Region vom Bauernhof direkt zu den Kunden zu bringen. Doch wie sich herausstellte, war Arcadia nicht nur die Antwort auf die Beschaffungsprobleme eines Gastronomen, sondern schloss eine ganz andere Versorgungslücke. Mithilfe des Arcadia Mobile Markets konnten auch Engpässe in Supermärkten ausgeglichen werden.
Das gemeinnützige Arcadia Center liegt im historischen Woodlawn Estate in Alexandria, Virginia. Der dazugehörige Lehrbauernhof mit nachhaltiger Landwirtschaft liefert größtenteils das Gemüse für den Verkauf. Der Arcadia Mobile Market – im buchstäblichen Sinn ein Lebensmittelgeschäft auf Rädern – soll der erstaunlich verbreiteten angespannten Versorgungslage in der US-amerikanischen Hauptstadt etwas entgegensetzen. Gegenüber der Washington Post erklärte Babin dazu, er habe kein reines Versorgungszentrum für Luxusrestaurants schaffen wollen, sondern eines, das weit in die „Food Deserts“ hineinreiche.
Das Landwirtschaftsministerium der Vereinigten Staaten definiert „Food Desert“ (Lebensmittelwüste) als einkommensschwaches Gebiet, in dem eine beträchtliche Anzahl oder ein hoher Prozentsatz von Einwohnern nur eingeschränkten Zugang zu einem Supermarkt oder großen Lebensmittelladen hat. Der Mangel an Lebensmittelläden in Gemeinden mit niedrigem Einkommen erschwert es den Bewohnern, ihre Familien mit nährstoffreichen Lebensmitteln zu versorgen. Häufig stammen die Mahlzeiten aus kleinen Läden mit einem geringen Angebot an gesunden und frischen Erzeugnissen. So kommt in den Wahlbezirken 7 und 8 in Southeast Washington nur ein Lebensmittelladen auf 2.585 Einwohner. Hier springen Unternehmungen wie Arcadia Mobile Market in die Bresche.
Eine Quelle der Gemeinschaft
Der 2012 gegründete mobile Markt ist Babins Strategie gegen die ungleiche Lebensmittelverteilung in Washington. „Es kostete ihn einige Anstrengung, Produkte aus der Region für sein Restaurant zu beziehen. Und er fragte sich, wie es schlechter gestellten Menschen wohl ergeht, wenn es für jemanden mit seiner Kaufkraft schon so schwierig ist“, erzählt Benjamin Bartley, Food Access Director bei Arcadia. Bartley ist Absolvent der Gastronomenschule Culinary Institute of America und Mitglied der Nichtregierungsorganisation Freedom House. Bei der Leitung des mobilen Marktes kann er seine gastronomische Ausbildung mit der Erfahrung in der gemeinnützigen Arbeit verbinden. „Arcadia hatte zunächst nur einen Schulbus erworben, den ich nach meinem Beitritt zum Unternehmen zu einem Marktstand auf Rädern umfunktionierte. Das war vor etwa drei Jahren, und nun liegt die Hälfte der dritten Saison hinter uns, und wir verfügen über zwei Marktfahrzeuge.“
Ein lindgrüner, umgerüsteter Schulbus von achteinhalb Metern Länge beherbergt den mobilen Markt und ist von Mai bis Oktober im Einsatz. Er macht an fünf Tagen der Woche häufig zweimal täglich in den von Versorgungsengpässen betroffenen Wahlbezirken 1, 5, 7 und 8 und an einem Ort in Virginia Halt. Dank der Kooperation mit Martha’s Table, einer gemeinnützigen Initiative in Washington, die unschätzbare Dienste im Kampf gegen Armut und Unterversorgung leistet, konnte die Route im Juli 2014 um acht Verkaufsstellen erweitert werden.
Mit dem Arcadia Mobile Market soll „der Zugang zu gesunden, bezahlbaren Lebensmitteln unabhängig von Einkommen und Wohnort verbessert werden“, so Bartley. Doch der Schulbus ist viel mehr als nur ein fahrbarer Supermarkt. Er ist ein gemeinnütziges Bildungs- und Gesundheitszentrum für die Bewohner Washingtons, die am schlimmsten von den Versorgungslücken betroffen sind. Neben den verkauften Waren wird eine Reihe von Dienstleistungen angeboten. Die Mitarbeiter von Arcadia versorgen die Kunden mit Rezepten und Kochvorführungen für die saisonalen, zuweilen unvertrauten Obst- und Gemüsesorten im Angebot. Zudem besucht der Markt Schulen in Washington und Northern Virginia und nutzt damit seinen Einfluss, um Kinder früh an Lebensmittelkunde heranzuführen und sie über die Folgen verschiedener Nahrungsmittelsysteme für Gesundheit, Umwelt und Wirtschaft aufzuklären.
Obst auf Rezept
Der Markt beliefert auch verschiedene Kliniken der Stadt. Die Zusammenarbeit mit Gesundheitseinrichtungen hat sich als wichtig erwiesen für Arcadias Projekt „Wholesome Wave“ (Welle der Gesundheit). Das Programm ermöglicht es Gesundheitsdienstleistern, Kindern verbilligtes Obst und Gemüse zu verschreiben, um damit eine Ernährungsumstellung, den Kampf gegen Übergewicht und die Verbesserung der Gesundheit zu unterstützen. „Wir empfangen die kleinen Patienten hauptsächlich donnerstags, wenn wir das Parkside Health Center anfahren“, führt Bartley aus. „Dort erhalten sie ein Rezept, mit dem sie dann zu uns nach draußen kommen und die Ware in Empfang nehmen können. Damit entfallen sämtliche Transport- und Zeithindernisse.“
Arcadias „Bonus-Bucks“-Programm (Bonusdollar-Programm) verdoppelt nicht nur die Kaufkraft von Menschen, die Zuschüsse zu Lebensmitteln erhalten, sondern macht den mobilen Markt auch attraktiver. Die Kunden können sich Produkte leisten, die anderenfalls zu teuer für sie wären, wie nachhaltig angebautes Obst und Gemüse, Eier, Fleisch, Molkereiprodukte sowie Honig und Getreideflocken aus der Region. „In den vergangenen beiden Jahren haben wir etwa 40 Prozent unserer Waren an Haushalte verkauft, die Lebensmittelhilfe beziehen“, berichtet Bartley. Arcadia darf derzeit Lebensmittelgutscheine aus drei Hilfsprogrammen annehmen.
Der wöchentlich am Mittwoch stattfindende Verkauf am LeDroit Park ist ein gutes Beispiel für die integrative Natur des mobilen Marktes und für das, was Arcadia in Washington erreichen will. Der Bus parkt vor einem Graffiti mit der Aufschrift „So leben wir“ und illustriert damit die Wichtigkeit der Arbeit von Arcadia. „Mir gefällt der Ort, denn unser Markt fungiert hier als zentraler Treffpunkt der Nachbarschaft. Wir kommen seit drei Jahren hierher und haben mittlerweile einen sehr guten Kundenstamm. Menschen aller Einkommensschichten kaufen bei uns ein“, sagt Bartley.
Arcadia Mobile Market hat es sich zum Ziel gesetzt, für eine größere Gerechtigkeit bei der Verteilung von Lebensmitteln in Washington zu sorgen. Obwohl sich damit vielleicht nicht die Versorgungsprobleme in allen Wahlbezirken unmittelbar lösen lassen, ist der aktuelle und potentielle Nutzen der Initiative für die Gemeinschaft unumstritten. Arcadia legt nicht nur Wert auf regionale, nachhaltige Landwirtschaft (alle Produkte stammen von einem Dutzend Bauernhöfen in einem Umkreis von 200 Kilometern), sondern auch darauf, dass ihre Produkte einfach zugänglich sind. Für außerhalb der industriellen Landwirtschaft produzierte Güter einen Vertriebsweg zu finden, ist ein wichtiger Schritt, die verschiedenen Bereiche eines fortschrittlichen Ernährungssytems miteinander zu verbinden. Für die Kunden von Arcadia mögen jedoch die wirtschaftlichen und gesundheitlichen Vorteile oberste Priorität haben. Der Verkauf subventionierter, gesunder Erzeugnisse hat das Potential, den Kundenkreis aus kleinen Läden anzulocken und damit ernährungsbedingte Krankheiten zu reduzieren, die auf industriell gefertigte, nährstoffarme Kost zurückgehen. Dadurch wird der mobile Markt zu mehr als einem Laden auf Rädern. Er ist eine vorstellbare, replizierbare Lösung für Versorgungslücken.
Und tatsächlich unterstützt Arcadia interessierte Organisationen beratend dabei, das Modell des mobilen Marktes auf andere Landesteile zu übertragen. Der kontinuierliche Ausbau und Einfluss von Unternehmungen wie Arcadia könnten dazu führen, dass bald in allen Lebensmittelwüsten der Nation mobile Verkaufsstände entstehen. Möglicherweise ist ein alter, umgerüsteter Schulbus ja ein Schritt in Richtung Ernährungssicherheit.