Französische Schafzüchter und Woll-Handwerker bündeln ihre Kräfte, um einem alten Wirtschaftszweig neue Struktur zu geben.
Im Département Gard haben im Frühjahr 2015 etwa 20 Züchter der vom Aussterben bedrohten Schafrasse Raïole die lokale Woll-Initiative Raïolaine ins Leben gerufen [„laine“ ist im Französischen die Wolle]. Sie organisieren kollektive Arbeitseinsätze zum Scheren und Sortieren, um wieder zu erlernen, mit Wolle sorgsam umzugehen und ihre verschiedenen Qualitäten mit Blick auf ihre Weiternutzung zu unterscheiden – für Bettwaren, als Faden, zum Filzen oder Weben. Und Raïolaine ist kein Einzelfall.
Noch vor einigen Jahren galten Schafsfelle in Frankreich nur als Abfall. Mittlerweile aber entstehen überall in Frankreich Initiativen, um den nachwachsenden Rohstoff Wolle wieder aufzuwerten. „Mehr und mehr Leute hinterfragen die Verschwendung, die langen Transportwege, die Fabrikationsweise von Produkten, die Nutzung natürlicher Ressourcen“, sagt Marie-Thérèse Chaupin, Gründerin des Vereins Atelier Laines d’Europe, in dem etwa 250 Akteure der Branche vertreten sind. „Es gibt ein Streben nach mehr lokaler Entwicklung“, so Marie-Thérèse weiter.
Das Atelier Laines d’Europe wurde 1989 mit dem Ziel gegründet, die lokalen, vom Verschwinden bedrohten Schafsrassen bekannt zu machen und somit die Texilbranche zu stärken. Gleichzeitig hat sich innerhalb des Ateliers ein Netzwerk von kleinen Unternehmen entwickelt, welches den Züchtern ermöglicht, ihre eigenen Rohstoffe zu Fertigprodukten verarbeiten zu können. Aufgrund der Vielzahl und Vielfältigkeit der Kompetenzen der Mitglieder werden des Weiteren regelmäßig Fortbildungen für Interessierte und Neugierige angeboten. Von grundlegenden Wollkenntnissen über Kategorisierung und Sortieren des Fells, bis hin zur Schur und Herstellung der Modelle ist alles vertreten. Das Atelier unterstützt seine Mitglieder aber auch bei der Vermarktung ihrer Produkte. Mit der Kennzeichnung „ATELIER“ wird der Ursprung der genutzten Materialen garantiert.
Konkurrenz mit synthetischen Textilien
Doch Strukturprobleme machen es der französischen Wollbranche schwer, die steigende Nachfrage nach lokalen Erzeugnissen zu bedienen. Jahrtausendelang war die Wolle die Haupteinnahmequelle der Schafzüchter und hatte noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein einen entscheidenden Platz im Alltagsgebrauch. Nach dem Krieg aber setzten sich allmählich synthetische Textilfasern wie Nylon durch, die heute mehr als 60 Prozent des Textilmarktes ausmachen. Der Verkauf der Wolle an Händler ist unrentabel geworden und deckt nicht einmal die Kosten für die Schur von durchschnittlich einem Euro pro Tier.
Zudem werden nur zehn Prozent der französischen Wolle auch in Frankreich verarbeitet. Der Rest wird exportiert, vor allem nach Asien. „Der größte Teil der in Kleidern verwendeten Wolle kommt aus Australien und Neuseeland, wird in China gewaschen und gesponnen, und manchmal in Europa gewebt oder gestrickt, in den wenigen Fabriken, die es noch gibt“, erklärt Marie-Thérèse Chaupin.
Früher wurde die Wolle vor allem von kleinen Betrieben verarbeitet – Spinnereien, Webereien, Wäschereien und Produktionsstätten für Matratzen. Nur diejenigen, die sich modernisierten, konnten ihre Aktivität fortsetzen – wie die Spinnerei filature Terrade in Felletin in der französischen Region Creuse. Es gibt sie seit 1910. Der kleine Betrieb mit sechs Angestellten ist einer der letzten in Frankreich, der das Vlies zu Fäden verarbeitet. Aktuell ist die Schwachstelle der heimischen Branche das Waschen der Wolle, sagt Marie-Thérèse Chaupin. „Wenn dieses Glied verschwindet, bricht die ganze Branche zusammen.“
Konzentration der Produktionskette
Um die lokale Wirtschaft anzukurbeln, arbeiten die Schafzüchter von Raïolaine mit handwerklichen Unternehmen in der nächsten Umgebung zusammen. Nach der Schur geht ihre Wolle zum Waschen an Laurent Laine, einen Betrieb in der Haute-Loire, der außerdem Wolle zu Matratzen, Bettdecken und Kissen verarbeitet. Ein anderer Teil der gewaschenen Wolle wird in das Département Tarn gebracht, um dort gesponnen, gewebt oder gestrickt zu werden. Im Ardèche ist es Ardelaine, einer 1982 gegründeten Genossenschaft, sogar gelungen, 14 Wollhandwerke in einem Betrieb zusammenzubringen, von der Schur, übers Kardieren zum Filzen, Spinnen und Stricken.
In anderen Départements gibt es überhaupt keine Strukturen mehr zum Waschen und Spinnen – in den maritimen Alpen etwa. Dort haben sich Tierzüchter im Verein zur Förderung des Schafhirtentums (Appam) organisiert. Sie müssen die Wolle ihrer Brigasquer Schafe in Sardinien verarbeiten lassen. Die Wolle dieser Schafrasse, die in den Alpen und im italienischen Piemont verbreitet, aber vom Aussterben bedroht ist, eignet sich für die Teppichproduktion. Die Tierhalter sortieren die Wolle, der Verein kümmert sich um die Verarbeitung. Als Gegenleistung verpflichtet sich der Schäfer, die Teppiche zu verkaufen, wobei er einen Anteil für sich einbehält. Dank Mund-zu-Mund-Propaganda strömen die Bestellungen auf den Jahr- und Wochenmärkten nur so ein.
Ein neues Image für den Beruf
Auch anderswo baut sich der Wirtschaftszweig wieder auf. So haben sich 15 Tierzüchter in den Regionen PACA und Rhône-Alpes im Verein Mérilainos zusammengeschlossen. Und im Gebiet Champagne-Ardenne haben sich erst Ende September 2016 einige Akteure der regionalen Wollbranche zu einem Austausch getroffen. Das wiederaufgeblühte Interesse an Wolle hat bereits zahlreiche positive Auswirkungen. So hat die Verarbeitung zu Fertigwaren dazu geführt, dass der Preis für Rohwolle angestiegen ist (60 bis 90 Cent für ein Kilo weißer Wolle im Vergleich zu 30 Cent in der Vergangenheit). „Die Tatsache, dass die Tierzüchter die Waren sehen können, die aus ihrer Wolle hergestellt werden, hat die Mentalitäten verändert“, beobachtet Marie Diemert, Angestellte des Vereins Appam. „Sie sind sich des Wertes und des Potentials der Wolle bewusst geworden.“ Olivier Bel vom Verein Mérilainos sieht einen Imagewandel seines Berufes: „Es ist ein Mittel, um der Industrialisierung der Landwirtschaft – der Spezialisierung, die die Landwirtschaftspolitik uns auferlegen will – zu widerstehen.“
Sicher ist: Trotz der Schwierigkeiten interessieren sich die Schafzüchter wieder mehr für Wolle, die Konsumenten erwarten lokale Produkte aus nachwachsenden Rohstoffen. So entstehen Synergien, um eine Branche im regionalen Maßstab wiederaufzubauen.