Wieso ein Projekt zur Privatsphäre und warum im Medium des Theaters? Auf der Jahreskonferenz der Theatre Communications Group (TCG), die 700 amerikanische Theater vereint, stellte Wilfried Eckstein, Leiter des Goethe-Instituts Washington, P3M5 vor.
Was man heute unter „Privatsphäre“ versteht, ist nicht das gleiche wie früher. Die Digitalisierung verändert zunehmend, was wir als Privatsphäre bezeichnen. Die Digitalisierung ist in allem enthalten, was wir machen, die Bezahlung mit der Kreditkarte eines Kaffees, einer Tankfüllung oder einer neuen Hose oder unsere Bestellung in einem Onlineshop oder unser Chat oder ein Foto, das wir auf den sozialen Medien posten. Egal was wir machen, sobald wir uns exponieren, werden wir ein Teil der digitalen Welt. Ob wir spazieren gehen oder auf der Autobahn fahren und unseren GPS oder andere Ortserkennungsdienste anhaben, nehmen wir an dem elektronischen Verkehr teil und hinterlassen Datenschatten, über die wir keine Kontrolle mehr haben. Wir können das virtuelle Realität nennen, aber diese Wirklichkeit ist sehr real.
Die Digitalisierung verändert unsere Welt. Alles ist im Wandel begriffen, von der frühkindlichen Erziehung, zu Freundschaftsanfragen, zu Produktion und Vertrieb von Nachrichten aus aller Welt und nicht zuletzt unsere Privatsphäre selbst. Dabei werden Geschwindigkeit und Ausmaß dieses Wandels unterschiedlich wahrgenommen. Manche Leute schenken dem keine Beachtung. Andere sind bereit, Privatsphäre für das Versprechen auf Sicherheit aufzugeben. Wieder andere begrüßen es, wenn ihnen Big Data neue Freunde, neue Bücher oder neue Kleider vorschlagen.
All dies beinhaltet eine Neuformatierung der Privatsphäre, und zwar nicht als abstrakter Rechtsbegriff, sondern als Basis unserer informationellen Selbstbestimmung, was wir für uns behalten wollen, und was wir wann mit wem teilen möchten.
Erinnern wir uns an Edward Snowden, der die Geheimnisse der NSA –Spionagepraktiken enthüllt hat. Die europäischen Spannungen rund um den sogenannten NSA-Skandal machten deutlich, dass der naive Glaube an einen universellen Begriff von Privatsphäre eine Quelle von Missverständnissen werden kann.
Ein paar Monate später bestätigte der Europäische Gerichtshof das Recht auf Vergessenwerden. Die Idee dahinter ist, dass Menschen die Entwicklung ihres Lebens autonom bestimmen können. Das Urteil bedeutet praktisch, dass sie von Social-Media-Unternehmen verlangen können, bestimmte Dinge über sich zu löschen. Das hat auf amerikanischer Seite für Verwunderung gesorgt. Man befürchtet, dass ein solches Recht der Zensur eine Hintertür öffnet und lehnt es deshalb als Beeinträchtigung der Meinungsfreiheit ab. Es gibt viele weitere Beispiele für unterschiedliche Interpretationen von Privatsphäre. Daraus lernen wir, dass es gravierende unterschiedliche Ansätze bei der Bestimmung von Privatsphäre geben kann.
Die transatlantischen Diskrepanzen über Privatsphäre und Datenschutz halten an. Es werden Unstimmigkeiten auf einem Gebiet deutlich, das wir gemeinhin eher als Fundament gemeinsamer sozialer und politischer Ideale der westlichen Demokratien ansehen. Wenn wir aber unsere Gewohnheiten und Traditionen, wie sie in sozialen Normen und Regeln der Interaktion zum Ausdruck kommen, mit einander vergleichen, entdecken wir, dass Werte von Land zu Land variieren. Diese Vielfalt gilt auch für die Vorstellung von Privatsphäre. Deshalb haben wir das „Plurality of Privacy Project [P3]“ entwickelt und laden Sie ein mitzumachen. Wir wollen eine Vielfalt von Standpunkten zum Wert des Privaten in unserer globalisierten Welt entdecken.
Wir gehen von der Annahme aus, dass es nicht nur einen Begriff von Privatsphäre gibt sondern viele Vorstellungen und Nuancen. Wir gehen davon aus, dass ein Konzept wie Privatsphäre die jeweilige Kultur eines Landes oder einer spezifischen kulturellen Identität zum Ausdruck bringt.
Hier kommt die Kunst ins Spiel. Das menschliche Interesse an Autonomie und Sicherheit wird durch die Kultur geformt, die uns als Individuen in einer bestimmten Gesellschaft prägt. Die Kunst ist das Medium, in dem kulturelle Identität zum Ausdruck kommt. Kunst eröffnet Raum zu Selbstreflexion und Selbstbestimmung. Das Theater bietet den Raum, wo wir uns in einem öffentlichen Raum existentielle Fragen stellen, wo wir nach Sinn fragen und gesellschaftliche Beziehungen ordnen. Deshalb erproben wir unseren Ansatz auf der Bühne. Hier können wir vielfältige Anschauungen entfalten und einem besonnenen Publikum gegenübertreten. Hier finden verschiedene Sichtweisen unserer Autoren Raum zur Entfaltung und zur Begegnung. Fünf Amerikanische und zehn europäische Dramatiker haben kurze Bühnenstücke von 5 Minuten Länge für Sie und Ihr Theater vorbereitet [M5]. Wir freuen uns mit den Autorinnen und Autoren auf spannende transatlantische Begegnungen in P3M5.