Wilfried Eckstein, ehemaliger Direktor am Goethe-Institut Washington, spricht mit Iris Laufenberg, Intendantin am Schauspielhaus Graz, über das DRAMATIKER|INNENFESTIVAL und die Rolle der Kunst in der Politik.
WE: P3M5 ist ein Projekt, das aus der politischen Empörung über mangelnden Schutz der Privatsphäre hervorgegangen ist. Am Goethe-Institut USA haben wir uns die Frage gestellt, ob wir daraus einen kulturellen Dialog herstellen können. Wir haben ein Thema aus dem politischen in einen kulturellen Kontext übertragen. Wie stehen Sie dazu? Ist das die Aufgabe der Kunst? Wie passt ein solches Herangehen zu dem kulturellen Aufgabenbereich, den Sie verantworten und den Sie mitsteuern?
IL: Wenn die Aufgabenstellung brisant und offen genug ist, geht es auf jeden Fall. Denn man stößt nur etwas an, was eben da ist, zum Beispiel in Ungarn, wo Intendanten ausgewechselt werden um rein nationalistisches Theater zu machen. Da wo Abschottungspolitik betrieben werden und der Künstler seine „Kunst“ von der Politik diktiert bekommt, ist sofort die Bereitschaft da zu fragen, was ist privat, was ist politisch, was muss öffentlich diskutiert und gezeigt werden. Fast jeder Künstler beschäftigt sich genau mit den Themen, die gerade virulent sind, die mit Leidenschaft bearbeitet gehören, wo Politikern und der Gesellschaft der Spiegel vorgehalten wird bzw. eine andere Perspektive aufgezeigt wird. Das geht durch Theater wunderbar und hat in diesem konkreten Fall sehr gut geklappt.
WE: Die Frage, die wir an die Autoren gaben: „Was bedeutet Privatsache für dich im digitalen Zeitalter?“, ist gewissermaßen eine Intervention. Wir haben etwas vorgegeben und erwartet, dass daraus etwas wird. Das Ergebnis ist verblüffend. Aus der Frage wurde durch die Arbeit der Autoren und der Theater Kunst. Ist das eine normale Erfahrung für Sie? Wie geht normalerweise der Auftrag an Künstler?
IL: Ich glaube es hat sehr viel mit der politischen Situation zu tun, in der wir uns befinden. Früher war der Autor jemand, der alleine zu Hause sitzt und etwas verfasst. Heute sind die Autoren mehr an den Theatern verankert. Ihre Bereitschaft, sich zu vernetzen ist größer geworden. Es gibt auch eine allgemeine Ratlosigkeit, weil die Realität so heterogen geworden ist. Aktuell haben einige Theater Autoren, mit denen sie verbunden sind, die wiederum mit anderen Autoren in Verbindung stehen. Für einen Ausbau dieser Vernetzung steht auch unser jährlich stattfindendes DramatikerInnen Festival am Schauspielhaus Graz. Durch dieses Grazer Festival soll ein internationales Netzwerk noch weiter und fester gespannt werden, was wir aber auch brauchen, um über das Theater hinaus gehört zu werden. Denn auch unsere Existenz, das der freien Bühnensprache, steht auf dem Spiel und das wissen wir. Mehrere Stimmen, die zusammenkommen, sind mehr wert als ein Autor, der irgendwo veröffentlicht aber nicht gelesen wird. Das Projekt „P3M5“ war für uns die Chance, mit den Erfahrungen, die wir mit unserer Autorenarbeit am Theater über Jahre täglich machen, oder das Vertrauen, das es schon gab, mit etwas Neuem aufeinander zuzugehen. Darin liegt auch eine unheimliche Kraft, die sich da entwickelt. Das Projekt hat auch Potential in der Zukunft weiter zu wachsen.
WE: Vor einem Jahr haben wir das Projekt gemeinsam begonnen. Wir haben andere Theater angesprochen; diese Theater haben ihre Autoren ausgewählt. Gibt es im Rückblick auf das Projekt Überraschungen? Etwas womit wir überhaupt nicht gerechnet hatten, was uns für die weitere Arbeit neue Impulse gibt?
IL: Das ist der belgische Fall mit Rachida Lamrabet. Aus feministischer Sicht wird da kritisch auf ein Kleiderverbot geblickt und einem brisanten Politikum, dem Verbot von Vollverschleierung, durch die Theaterkunst, durch eine Dramatikerin eine Stimme verliehen. Die Perspektive dieser Frau, die sich ohne Burka in der Öffentlichkeit nicht sichtbar machen möchte löste einen immensen Wirbel aus. Da wurde dann die Stimme der Autorin mit der ihrer Protagonistin auf der Bühne gleichgeschaltet. In der Folge verlor die Autorin, die sowohl Künstlerin ist als auch ihren Lebensunterhalt als Rechtsanwältin bestreitet, ihre Arbeitsstelle. Das ist für mich ein Besorgnis erregender Vorfall. Schlimm für die Künstlerin, der man den Boden ihrer Existenz entzieht und eine Bedrohung für die Freiheit der Kunst. Der Vorfall zeigt jedoch auch wie wichtig es ist, weiter Theater zu machen, um auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam zu machen oder wie in diesem Fall zumindest dem Theater auch einer anderen, nicht konformen Meinung Raum und Stimme zu geben.