Flexitarismus
Klimaschutz auf dem Speiseplan
Mehr als die Hälfte der Deutschen, rund 55 Prozent, bezeichnen sich einer Umfrage im Auftrag des Bundesernährungsministeriums zufolge als „Flexitarier*innen“. Was steckt hinter diesem Begriff, was essen diese Menschen und kann Essen politisch sein?
Von Petra Schönhöfer
Der Durchschnittsdeutsche, so heißt es oftmals, liebe seine Bratwurst. Entsprechend kommt er im Schnitt auf etwa 800 Gramm Fleisch pro Woche. Das ist nicht nur ungesund – die medizinisch empfohlene Menge liegt zwischen 300 und 600 Gramm – sondern auch klimaschädlich. Denn zusammen mit Milch und Milchprodukten verursacht er damit laut aktuellen Schätzungen rund 70 Prozent der ernährungsbedingten Treibhausgasemissionen. Der Anteil der Vegetarier*innen, also jener Menschen, die sich fleischlos ernähren, liegt in Deutschland bei nur etwa fünf Prozent, und nur ein Prozent der Deutschen ernähren sich vegan, also komplett pflanzlich.
Doch bereits mit einer Reduzierung des Fleischkonsums lässt sich viel bewirken. Und hier kommen die Flexitarier*innen ins Spiel: Zwar sind sie Omnivoren, aber in ihrer Ernährung spielt Fleisch eine untergeordnete Rolle. Etwa 470 Gramm davon landen bei ihnen durchschnittlich pro Woche in Pfanne oder Kochtopf. Das entspricht etwa zwei Buletten und zwei Bratwürsten. Viele Flexitarier*innen geben zudem an, sich bewusst nur für qualitativ hochwertiges oder Bio-Fleisch zu entscheiden.
Gut fürs Klima
Menschen, die bewusst wenig Fleisch essen, halten die Welt eher im ökologischen Gleichgewicht als Fleisch-Fans. Das ist das Ergebnis einer Studie, die der WWF Deutschland im Frühjahr 2021 gemeinsam mit der corsus – corporate sustainability GmbH durchgeführt hat. Halbiere sich der Fleischkonsum aller Deutschen, sehe die Öko-Bilanz wesentlich besser aus: Die ernährungsbedingten Treibhausgasemissionen von derzeit rund 210 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten pro Jahr könnten um 27 Prozent (56 Millionen Tonnen) reduziert werden. Zusätzlich senke die fleischarme Kost auch Deutschlands derzeitigen ernährungsbedingten Flächenbedarf um fast drei Millionen Hektar. Das entspricht in etwa der Größe Brandenburgs. Zwar ist der Fleischkonsum in Deutschland bereits gesunken – 2016 konsumierten die Deutschen laut der Umweltorganisation WWF noch über ein Kilo Fleisch pro Kopf und Woche –, aber mehr wäre nötig.
Der WWF plädiert deshalb für ein generelles Umdenken. Beim Catering für Veranstaltungen oder auf Reisen solle es automatisch ein vegetarisches Menü geben, sagt Tanja Dräger de Teran, Referentin für Ernährung und Landwirtschaft beim WWF Deutschland. „Wer Fleisch möchte, kreuzt das extra an.“ Wünschenswert seien auch verbindliche Mindestkriterien für die Verpflegung in öffentlichen Einrichtungen wie Schulen.
Weil die Studierenden es sich so wünschen: An den Berliner Hochschulen werden Fleisch und Fisch in Zukunft nur noch vier Prozent des Speiseplans ausmachen. (Symbolbild) | Foto (Detail): © Adobe
POLITISCHE ESSER
Ein Ansatz, der in der Realität Widerhall findet: So machen an den Berliner Hochschulen ab dem Wintersemester 2021-2022 Fleisch und Fisch nur noch vier Prozent des Speiseplans aus. Das restliche Angebot ist vegetarisch oder vegan, auf vielfachen Wunsch der Studierenden. Junge Menschen unterscheiden sich in ihrem Ernährungsverhalten von der älteren Generation besonders stark beim Fleischkonsum – dies hat die Studie „Jugendreport zur Zukunft nachhaltiger Ernährung“ ergeben, die Wissenschaftler*innen der Georg-August-Universität Göttingen gemeinsam mit der Agentur Zühlsdorf Partner veröffentlicht haben. In der Altersgruppe der 15- bis 29-Jährigen hinterfragen 40 Prozent ihren Fleischkonsum. 12,3 Prozent von ihnen sind Vegetarier*innen oder Veganer*innen und 23,8 Prozent geben an, Flexitarier*innen zu sein. Die meisten von ihnen sind „politicised eater“: Für zwei Drittel aller befragten Jugendlichen ist es eine menschliche Überlebensfrage, den Klimawandel zu stoppen – auch über das Essverhalten. Hinzu kommen eine kritische Einstellung gegenüber der Fleischwirtschaft und der heutigen Tierhaltung als weitere Motive für den Fleischverzicht. Politicised Eating“ ist das Schlagwort unter den 15- bis 29-Jährigen: Viele junge Menschen reduzieren ihren Fleischkonsum aus Klimaschutzgründen oder aus Protest gegen die Massentierhaltung. | Photo (Detail): © Adobe Von den 60- bis 75-Jährigen bezeichnen sich nur fünf Prozent als Vegetarier*innen, Veganer*innen spielen hier statistisch gar keine Rolle. Dafür wird mit fortgeschrittenem Alter der Flexitarismus beliebter: Der Anteil bei den 60- bis 75-Jährigen ist auf 55 Prozent angestiegen. Denn eine Ernährung mit Vollkornprodukten, Hülsenfrüchten, Obst und Gemüse, bei der häufig auf Fleisch verzichtet wird, ist natürlich auch gesund. Doch nicht nur in Bezug auf Altersgruppen, auch zwischen den Geschlechtern lassen sich Unterschiede beobachten, wie die Veggie-Studie der PHW-Gruppe von 2021 zeigt: Frauen ernähren sich zu 63 Prozent zumindest manchmal fleischlos, während 43 Prozent der Männer dies tun.
Probierfreudige Allesesser
Aber was kommt auf den Tisch, wenn es kein Fleisch gibt? Am beliebtesten sind bei Flexitarier*innen Kartoffeln, Nüsse und Kerne, Reis und Erbsen. Greifen Flexitarier*innen dann doch zum Fleisch, bevorzugen sie Geflügelprodukte. Dahinter folgen Fisch und Rindfleisch, möglichst aus kontrollierter ökologischer Landwirtschaft. Aus der Vermehrung von tierischen Zellen hergestelltes Fleisch ist übrigens für eine Mehrheit der Deutschen eine Alternative zum Töten von Tieren, probieren würde es aber nur rund ein Viertel. Ekel ist hier die stärkste Barriere. Die größte Probierbereitschaft beweisen hier, wie sollte es auch anders sein: die Flexitarier*innen. Der flexitarische Speiseplan: Viel Gemüse, Nüsse, Nudeln – und ein wenig Fleisch. | Foto (Detail): © Adobe