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Restitutionsdebatte um Benin-Bronzen
Der gesetzeswidrige Wunsch nach Rückgabe

Restitution – Nahaufnahme von Benin-Tafeln im British Museum in London
Das British Museum in London besitzt die weltweit größte Sammlung von Benin-Bronzen. Das Museum begründet seine Unfähigkeit, die Bronzen zurückzugeben, mit dem British Museum Act von 1963. | Foto (Detail): David Cliff © picture alliance / ZUMAPRESS.com

Benin-Bronzen werden in Museen in aller Welt ausgestellt, doch die größte Sammlung befindet sich im British Museum. Während Deutschland die Rückgabe der in seinem Besitz befindlichen Bronzen angekündigt hat, berufen sich einige nationale Institutionen in England auf gesetzliche Vorgaben, die ihnen eine solche Restitution untersagen. Inwiefern beeinflusst die Regierung die Möglichkeiten britischer Museen, die Objekte zurückzugeben?
 

Von Barnaby Phillips

Am selben Tag, an dem die deutsche Regierung ihren Plan verkündete, mit ersten Rückgaben von Benin‑Bronzen an Nigeria im Verlauf des Jahres 2022 zu beginnen, sprach ich mit einer Kontaktperson im British Museum. Die deutsche Entscheidung, so stimmte mir diese Person zu, sei „in höchstem Maße richtungsweisend“. Denn wenn sich Deutschland, wie es die deutsche Kulturstaatsministerin Monika Grütters formulierte, damit seiner „moralischen Verantwortung“ stellte, was bedeutete diese Haltung dann für Großbritannien? Immerhin waren es britische Truppen, die im Jahre 1897 Benin‑Stadt geplündert und die Benin‑Bronzen nach Europa gebracht hatten. Im British Museum befindet sich mit mehr als 900 Objekten die weltweit größte Sammlung von Benin‑Bronzen. Für Professor Abba Tijani, Generaldirektor der Nigerianischen National Commission for Museums and Monuments (NCMM), liegen die Folgen auf der Hand. In einem Gespräch merkte er an, dass sich Deutschlands Entscheidung ganz wesentlich auf die britische Haltung auswirken werde. „Großbritannien kann nicht länger bestreiten, dass diese Artefakte gestohlen wurden.“

  • Restitution – Der Vorplatz des British Museum in London Foto: David Cliff © picture alliance / NurPhoto | David Cliff
    Besucher*innen auf dem Vorplatz des British Museum in London, in dem sich mehr 900 Benin-Bronzen befinden.
  • Restitution – Besucher*innen vor der Ausstellung von Benin-Bronzen in London Foto: David Cliff © picture alliance / NurPhoto
    Ein Teil der Ausstellung von Benin-Bronzen im British Museum, das jährlich üblicherweise sechs Millionen Besucher*innen empfängt.
  • Restitution – Die Bronzestatue in Form eines Hahns wird „Okukor“ genannt. Foto: Joe Giddens © picture alliance / empics
    Archivar Robert Athol mit der Bronzestatue eines Hahns namens „Okukor“, einer der Benin-Bronzen, im Jesus College der Universität Cambridge. Die Statue wird nach dreijährigen Gesprächen an den Hof von Benin im Süden Nigerias zurückgegeben.
  • Restitution – Zwei Messingplaketten aus Benin, Nigera Foto: © picture alliance / United Archives/WHA
    Britische Truppen plünderten 1897 die Stadt Benin und brachten die Benin-Bronzen nach Europa.
Doch wenn sich Professor Tijani nun einen sofortigen Strategiewechsel aufseiten des British Museum erhofft, dann wird er vermutlich enttäuscht. Dem British Museum sind durch ein Gesetz, den British Museum Act aus dem Jahre 1963, die Hände gebunden. Dieses Gesetz macht es dem Museum mit einigen wenigen Ausnahmen unmöglich, Objekte dauerhaft aus seiner Sammlung zu entfernen. Wenn der Direktor oder das Board of Trustees des British Museum die Benin‑Bronzen tatsächlich nach Nigeria zurückführen wollen, müssen sie das britische Parlament um eine Änderung dieses Gesetzes ersuchen. „Wir befinden und befanden uns schon immer in einer schwierigen Lage und unsere Arbeit unterliegt äußerst strengen Vorgaben“, bemerkte eine Leitungsperson aus dem Museum zur Frage der Zukunft der Benin‑Bronzen.

„Ein Relikt aus dem Empire und der Kolonialzeit“

Die Kritiker*innen des British Museum, und es sind nicht wenige, werfen den Verantwortlichen vor, sich hinter dem Gesetz von 1963 zu verstecken, um sich nicht ihrer moralischen Verantwortung stellen zu müssen. Nach Ansicht von Professor Tijani ist der angeführte Rechtsgrund „eine Ausrede. Wenn das British Museum der Regierung eine Handlungsempfehlung erteilte, würde die Regierung diesem Wunsch auch nachkommen.“ Allerdings bilden die 25 Mitglieder des Board of Trustees am British Museum, die in der Mehrzahl vom Premierminister und in einem Fall von der Krone ernannt werden, traditionell ein konservatives Lager. Als die ägyptische Schriftstellerin Ahdaf Soueif 2019 aus dem Ausschuss austrat, nannte sie neben anderen Gründen auch die Verweigerungshaltung des Museums gegenüber einer Restitutionsdebatte. Sie beklagte, dass ein Museum, das „im Imperium und in der kolonialen Praxis geboren und aufgewachsen ist, … kaum spricht“. Ein Mitglied des Board of Trustees sowie Kurator*innen vertrauten mir an, dass ihnen der Umgang mit dem Raubgut aus der Zeit des Empire Unbehagen bereite. Doch auch zwei Jahre nach Soueifs Rücktritt und trotz einer intensiven öffentlichen Debatte über das koloniale Erbe sind die Stellungnahmen aus der Presseabteilung des British Museum so vage und zurückhaltend wie eh und je.

„Großbritannien kann nicht länger bestreiten, dass diese Artefakte gestohlen wurden.“

Großbritanniens konservative Regierung, die sich im Parlament einer komfortablen Mehrheit erfreut und erst 2024 wieder zur Wahl stellen muss, kann sich aus ideologischer Sicht nur schwer mit der Idee einer Wiedergutmachung von Schäden aus der Vergangenheit anfreunden, wenn zu diesem Zweck die Sammlungen nationaler Museen aufgelöst werden müssten. Der bisherige Kulturminister Oliver Dowden, der sich darüber beschwert hatte, dass eine „noisy woke brigade“, eine lautstarke Gruppe von Anhänger*innen der Wokeness‑Bewegung, die britische Geschichte neu schreiben wolle, teilte den nationalen Museen 2020 mit, dass er gegen die Entfernung von Objekten mit „schwierigen und umstrittenen“ Biografien sei. Seine im September 2021 ernannte Nachfolgerin, Nadine Dorries, fand in diesem Zusammenhang ähnliche, wenngleich auch deutlich schärfere Worte.

Doch selbst wenn das British Museum bereit gewesen wäre, sich in der Frage der Benin‑Bronzen mit der aktuellen Regierung auseinanderzusetzen, befindet es sich nach der Coronavirus‑Pandemie in einer geschwächten Position. Normalerweise zählt das Museum jährlich sechs Millionen Besucher*innen. Doch in den Jahren 2020 und 2021 musste es seine Tore lange Zeit schließen und konnte nur 160.000 Menschen empfangen, von denen gerade mal 3.000 aus dem Ausland kamen. Das Museum kämpfte mit Einnahmeverlusten aus Eintrittsgeldern und anderen Quellen von 93 beziehungsweise 97 Prozent. Die Regierung glich diese Verluste mit einer Nothilfe aus. Als Oliver Dowden den Museen in einem Schreiben nahelegte, sich nicht an politischen und anderen Aktionen zu beteiligen, rief er ihnen darin auch ihre finanzielle Abhängigkeit von seiner Regierung in Erinnerung. Viele Kurator*innen werteten dies als unverhohlene Drohung. Vor diesem Hintergrund wäre es eine Überraschung, wenn das British Museum das Interesse an politischen Kämpfen mit der Regierung nicht verloren hätte.

Der gesetzeswidrige Wunsch nach einer Rückgabe von Objekten

Im Oktober 2021 übernahm George Osborne den Vorsitz im Board of Trustees des British Museum. Obwohl Mister Osborne in einer früheren konservativen Regierung das Amt des Schatzkanzlers (Finanzministers) bekleidete, vertritt er in kulturellen Fragen vermutlich eine deutlich liberalere Haltung als die meisten Minister*innen der aktuellen Regierung. Noch ist nicht ersichtlich, wie und ob sich seine Ernennung auf die Situation auswirken wird. In der Zwischenzeit ist nicht davon auszugehen, dass das British Museum seine Haltung zum Umgang mit den Benin‑Bronzen ändert, auch wenn es sich dadurch in der Benin Dialogue Group von den europäischen Museen und nigerianischen Institutionen zunehmend isoliert. Aus Museumskreisen ist zu hören, dass die Errichtung eines neuen Museums in Benin‑Stadt ausdrücklich unterstützt wird, man grundsätzlich bereit sei, eine nicht näher bestimmte Anzahl von Bronzen als Leihgabe bereitzustellen, und sich darüber hinaus zurzeit mit ähnlichen archäologischen Projekten befasse. Zudem wolle man sich durch eine Beteiligung am Projekt Digital Benin um mehr Transparenz für die eigene Sammlung von Benin‑Bronzen bemühen.

„Großbritanniens konservative Regierung [ ...] kann sich aus ideologischer Sicht nur schwer mit der Idee einer Wiedergutmachung von Schäden aus der Vergangenheit anfreunden, wenn zu diesem Zweck die Sammlungen nationaler Museen aufgelöst werden müssten.“

Allerdings verteilen sich die Benin‑Bronzen in Großbritannien auf etwa 40 Museen. Und deren Kurator*innen und Treuhänder*innen verfügen wiederum über unterschiedliche Befugnisse, um eine Restitution in Gang zu setzen. „In Deutschland gab es eine einheitliche, gemeinsame Strategie“, so der Direktor eines Museums mit einer großen Sammlung von Benin‑Bronzen. „Ein solches Vorgehen ist im Vereinigten Königreich undenkbar, in dem unterschiedliche Regulierungsstrukturen derartige Maßnahmen nicht zulassen.“

Beispielsweise unterliegen Museen in Schottland nicht denselben Gesetzen wie nationale Institutionen in England. Das Horniman Museum in London (das über 50, im Jahre 1897 entwendete Benin‑Objekte verfügt), das Cambridge Museum of Archaeology and Anthropology (etwa 160 Objekte) und das Pitt Rivers Museum in Oxford (etwa 105 Objekte) erklärten ebenso wie Museen in Newcastle und Bristol ihre Bereitschaft zu einem Restitutionsdialog. Doch staatlich finanzierte Museen wie das Horniman unterliegen einem starken politischen Druck. Der Kurator eines dieser Museen, der für eine umfangreiche Sammlung von Benin‑Bronzen zuständig ist, beschrieb dies in einem Gespräch als ein Gefühl des Gefangenseins zwischen dem Wunsch, das Richtige zu tun, und der Notwendigkeit, die Regierung nicht zu provozieren. Das Aberdeen University Museum und das Jesus College an der Cambridge University konnten dank einer größeren Unabhängigkeit die Rückgabe einzelner Objekte an das NCMM beschließen.

„Ein Gefühl des Gefangenseins zwischen dem Wunsch, das Richtige zu tun, und der Notwendigkeit, die Regierung nicht zu provozieren.“

Natürlich hat sich die hitzige Debatte über die Zukunft der Benin‑Bronzen inzwischen nicht nur in Großbritannien zu einem großen Politikum entwickelt. Britische Museumskurator*innen haben – wie auch ihre Kolleg*innen in Museen in Europa und den USA – erkannt, dass ihnen das nötige Rüstzeug fehlt, um die Feinheiten des politischen Systems in Nigeria zu durchdringen, in dem der Oba von Benin, die Regierung des Bundestaats Edo und die nigerianische Bundesregierung jeweils eigene Positionen verfolgen, die nicht immer miteinander übereinstimmen. Professor Nicholas Thomas, Direktor des Cambridge Museum of Archaeology and Anthropology, sagt dazu: „Vom politischen Kontext geht ein moralischer Druck aus. Doch wir müssen die Angelegenheit in Ordnung bringen, ohne uns dabei unter Druck setzen zu lassen.“ Seiner Meinung nach sei zwar völlig klar, wohin die Reise gehe, doch man dürfe den Weg zu diesem Ziel nicht unterschätzen. Tatsächlich sei es, wie die Bundesregierung und die Museen in Deutschland gerade am eigenen Leib erfahren, eine Sache, die Rückgabe der Benin‑Bronzen anzukündigen. Die praktischen und politischen Feinheiten ihrer tatsächlichen Übergabe an Nigeria stünden dagegen auf einem ganz anderen Blatt.

 

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