Spenden
Wohin mit all dem Geld
Für die Bewegung der „Effektiven Altruisten“ ist beim Spenden besonders wichtig, dass sie messbare Erfolge bringen. Beim richtigen Einsatz kann man so auch mit wenig Geld viel erreichen. Doch das Konzept stößt auch auf Kritik.
Von Wolfgang Mulke
Mit Not und Elend in vielen Ländern mochte sich Sebastian Schwiecker noch nie abfinden. „Ich habe ein Weltverbesserer-Gen in mir“, sagt der Mitgründer der Spendenplattform „effektiv-spenden.org“. Hunger und Krankheiten, Armut, Massentierhaltung und Klimawandel sind seine Gegner. Doch einfach nur Geld zu sammeln und an Hilfsorganisationen weiterzuleiten, entspricht nicht seinen Vorstellungen. Denn der Volkswirt mit Erfahrung als Banker und sozialer Gründer will vor allem möglichst große Wirkung erzielen: Schwiecker gehört der Bewegung der „Effektiven Altruisten“ an.
Die Spender*innen wollen zwar Leid lindern und die Welt verbessern, aber nicht um jeden Preis. Das Geld oder andere Ressourcen wie Arbeitskraft sollen dort eingesetzt werden, wo sie die größte Wirkung erzielen. Das illustriert Schwiecker gern anhand einer Forschungsarbeit der Nobelpreisträger Abhijid Banerjee, Esther Duflo und Michael Kremer zur Armutsbekämpfung in Kenia. Untersucht wurde die Wirkung verschiedener Methoden, um den Bildungsstand von Kindern zu verbessern. Die Autor*innen ermittelten den Effekt, den ein Aufwand von 100 Dollar auf die Häufigkeit von Schulbesuchen hat.
Wie ermöglicht man mit gleichem Budget möglichst viel Schulbesuch? Dieser Frage ging eine Studie zur Armutsbekämpfung in Kenia nach – und lieferte erstaunlich eindeutige Ergebnisse.
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Pillen statt Uniform
Das Ergebnis ist erstaunlich. Wird das Geld für Stipendien eingesetzt, erhalten die Kinder rund 100 Tage mehr Unterricht. Eine Spende für Schuluniformen ermöglicht 260 Tage mehr Schule, ein Gesundheitsprogramm zur Vorbeugung von Wurmkrankheiten dagegen 5.000 Tage zusätzlicher Bildung. Effektive Altruisten setzen ihr Geld aufgrund solcher Erkenntnisse dort ein, wo es am meisten bewirkt.
Der Effektive Altruismus folgt demnach einer eher betriebswirtschaftlich anmutenden Kosten-Nutzen-Rechnung. Nicht das Ziel, einzelne Notlagen zu mildern, steht im Vordergrund, sondern die Frage, wo mit dem vorhandenen Budget am meisten geholfen werden kann. Gerade Großspender*innen, die Teile ihres privaten Vermögens für eine bessere Welt bereitstellen, legen Wert auf eine effiziente Verwendung. Gemeinhin setzen sie sich das Ziel, analog zum biblischen Zehnten – einem Gebot aus dem alten Testament, demzufolge Gläubige zehn Prozent ihres Einkommens an die Kirche geben sollten – zehn Prozent ihres Einkommens zu spenden.
Der Einzelfall zählt nicht
Bei diesem Konzept bleiben andere Aspekte des Spendens auf der Strecke. Bestünde beispielsweise die Wahl, mit einem bestimmten Betrag die Medizin für ein krankes Kind zu bezahlen oder damit ein Projekt zu finanzieren, das vielen Kinder auf andere Weise hilft, ginge das einzelne Kind leer aus.
Die Analyse ersetzt auf diese Weise das individuelle Mitleid. Als Vordenker gilt der australische Philosoph Peter Singer, der den Wert eines Individuums hinter den des Großen und Ganzen stellt. Die Bewegung hat sich zunächst in Großbritannien und den USA ausgebreitet. Für die Spender*innen werden Daten gesammelt und ausgewertet, Organisationen und ihre Arbeit hinsichtlich ihres Wirkungsgrades hin geprüft. Eine der großen Rating-Organisationen ist GiveWell aus den USA, die zum Beispiel eine Liste der Top-Spendenmöglichkeiten unter Effizienzaspekten veröffentlicht. Die fundierte Analyse der möglichen und notwendigen Hilfen ist der zentrale Ansatzpunkt der Bewegung. Das gibt es auf dem Spendenmarkt bisher nicht ausreichend, selbst wenn Organisationen sich mit einem Gütezeichen auszeichnen. „Die Spenden-Siegel schützen eher vor zwielichtigen Initiativen“, betont Schwiecker, „sagen aber wenig über die Qualität der Organisationen aus.“
Viel beachtet und scharf kritisiert: Bei Auftritten des australischen Philosophen Peter Singer kommt es immer wieder zu Protesten, unter anderem von Organisationen von Menschen mit Behinderung.
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Gemessene Menschlichkeit
Die berechnende Menschenfreundlichkeit stößt auch auf viel Kritik, zum Beispiel bei der Menschenrechtsorganisation Medico International. „Solche Hilfe verstetigt das Elend, es beseitigt es nicht“, wirft Thomas Gebauer von Medico den Effektiven Altruisten vor. Er sieht darin einen „bedenklichen Kult“, der die Ursachen des Elends nicht bekämpfe und keine strukturellen Veränderungen der jeweiligen Bedingungen anstrebe.
Auch Kai Fischer, Experte für soziales Marketing, hält den Ansatz für falsch. „Es werden zwar die richtigen Fragen gestellt, aber die Antworten überzeugen nicht und führen in die falsche Richtung“, stellt er fest. Das ökonomische Denken führe zum Ausschluss gerade derer, die besonders benachteiligt sind, etwa in abgelegenen Regionen. Hilfe sei hier vergleichsweise teuer und damit nicht effektiv im Sinne der Bewegung. „In der Zivilgesellschaft geht es vor allem um Werte“, hält Fischer dem Ansatz entgegen, es gehe zum Beispiel um die körperliche Unversehrtheit, die medizinische Versorgung, den Zugang zu Kultur.
So ist es auch wenig verwunderlich, dass es bei öffentlichen Auftritten des Pioniers der Effektiven Altruisten, Paul Singer, immer wieder zu Protesten kommt, unter anderem von Menschen mit Behinderung: Denn bei einer rein quantitativen Kosten-Nutzen-Rechnung hätte Unterstützung etwa für körperlich oder psychisch eingeschränkte Menschen wohl kaum eine Berechtigung – ihnen zu helfen wäre schlicht zu teuer.