Portofrei
Stadt, Land, Europa – wie die Kunstwelt zusammenwächst
Kunst kennt keine Grenzen, die Kunstwelt hingegen schon. Wie können sich Kuratoren und Künstler besser vernetzen – und für gemeinsame Werte einstehen? Darüber diskutieren: Simona Da Pozzo, Gottfried Hattinger und Hajnalka Somogyi – und Sie können mitmachen: auf dieser Seite sowie auf Twitter und Facebook unter dem Hashtag #portofrei!
Wenn wir die Ergebnisse der Europawahl betrachten, stellen wir fest, dass der Zuspruch für die Lega, für das reine Mehrheitsprinzip in Italien, momentan noch von einer breiteren europäischen Vision überwogen wird. Das sorgt zwar für Erleichterung, hält uns aber auch in einem Schwebezustand.
Diese Wahlen verdeutlichen für mich die dringende Notwendigkeit, dem Aufstieg der Rechtsextremen etwas entgegenzusetzen
Eines ist jedoch positiv: Die Abwesenheit von Salvini im Europaparlament in der Vergangenheit lässt hoffen, dass der Einfluss der Lega auf das neue Parlament, trotz der 28 gewonnenen Sitze, absolut bedeutungslos sein wird. Anders ausgedrückt hoffen wir, dass das Schlimmste bedeutungslos sein wird, zumindest auf europäischer Ebene.
Und nein: Ich war an keinen konkreten politischen Projekten beteiligt; habe als Kunstkurator auch nicht die Ressourcen und Netzwerke, um in irgendeine Richtung zu mobilisieren. Was Auswirkungen der politischen Verhältnisse auf den Kulturbetrieb betrifft, so mögen dies zwei Zahlen aus meinem Heimatbundesland Oberösterreich illustrieren, wo immer noch eine Koalition der konservativen Partei ÖVP mit der rechten FPÖ regiert: Während das Ankaufsbudget für Kunst von 190.000 auf 20.000 Euro gekürzt wurde, durften sich gleichzeitig die am äußerst rechten Rand agierenden Burschenschaften von einem Subventionszuwachs von 15.000 auf satte 120.000 Euro freuen.
In diesen repressiven Zeiten kommt der Rolle von Kultur und Kunst eine extrem wichtige Funktion als Korrektiv zu
Für mich persönlich sehe ich keine Auswirkungen der Europawahlen auf meine Arbeit; zurzeit habe ich das Privileg, in einem guten kulturpolitischen Klima in Baden-Württemberg agieren zu dürfen.
Portofrei und die EU-Wahlen 2019
In unserem bisherigen Diskurs ging es darum, wie Kunst und Politik miteinander verknüpft sind und inwiefern Künstler*innen und Kurator*innen lokal und global mit ihrer Arbeit auf Diskurse einwirken und sich untereinander vernetzen und für gemeinsame Werte einstehen können. Unsere Debatte bekam eine aktuelle Bedeutung, als im Mai 2019 die neunte Europawahl stattfand und Menschen in 28 Staaten über das neue Parlament abstimmten.
Der Ausgang der Europawahlen in den Ländern, aus denen Sie kommen – Ungarn, Italien, Österreich –, wurde auch international mit großem Interesse beobachtet. Wir möchten deshalb zum Abschluss von Ihnen wissen: Wie haben Sie als Künstler die Stimmung vor der Wahl und den Wahlkampf selbst wahrgenommen? Haben Sie sich mit konkreten Projekten daran beteiligt, etwa für die Wahl mobilisiert? Was bedeuten die Ergebnisse der Europawahlen in Ihren jeweiligen Ländern für Sie und Ihre Arbeit?
1. April 2019 | Simona Da Pozzo
Ich glaube, dass das Netzwerken derzeit zu den interessantesten Strategien zählt: Es sorgt dafür, dass sich Beziehungen regenerieren können und Menschen aktiv teilhaben können, wie etwa folgende Beispiele zeigen:
Nesxt, ein unabhängiges Kunst-Netzwerk, das einen intellektuellen und künstlerischen Austausch zwischen Independent-Kollektiven, Veranstaltungsorten und Projekten ermöglichen will.
Aus Künstlern und Kuratoren werden Stadtplaner und Kulturmacher
A Cielo Aperto, ein aus einer Bürgerinitiative heraus entstandenes Projekt im süditalienischen Latronico. Mit einem sehr geringen Budget arbeiten die Künstler mit den Menschen vor Ort jedes Jahr an einem Kunstprojekt, welches öffentlich ausgestellt wird.
Kurz, aus Künstlern und Kuratoren werden auf der Suche nach neuen Perspektiven Stadtplaner und Kulturmacher. Damit üben diese Leute Funktionen aus, die in letzter Zeit nicht gerade von Leidenschaft und Visionen geprägt waren. Sie sind also Teil eines globalen Bemühens, sich den öffentlichen Raum zurückzuerobern und schließen damit oft auch Lücken zwischen einzelnen Menschen.
Schon sehr früh hatten sich Kunstexperten sowie Künstlerinnen und Künstler bereit erklärt, für die erste OFF-Ausgabe ehrenamtlich zu arbeiten. Wir haben zwar diverse finanzielle Quellen angezapft, möglich wurde das Projekt letztendlich jedoch nur durch die Großzügigkeit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Natürlich grenzt eine solche Praxis schnell an Ausbeutung, darum waren wir von Anfang an bemüht, die Beiträge auch finanziell zu honorieren
Mit unserem transnationalen Netz können wir der gegen uns gerichteten Lokalpolitik etwas entgegensetzen
Wir bewerben uns um internationale Förderungen und bauen ein transnationales Netzwerk auf. Letzteres scheint von wachsender Bedeutung zu sein, nicht nur wegen der daraus entstehenden Diskurse, sondern auch, weil wir damit der gegen uns gerichteten Lokalpolitik etwas entgegensetzen können.
Wir geraten hinein, weil wir symbiotische Beziehungen und Partnerschaften brauchen oder weil uns durch die Verhältnisse nichts anderes übrig bleibt. Die Luft in den Kunstblasen ist aber schon sehr dünn geworden, nicht nur in Ungarn oder Polen. In meinem kuratorischen Filterbläschen habe ich es noch einigermaßen bequem, weil ich kaum Partnerschaften suchen musste, sondern immer gefunden worden bin. Die Netzwerke entstehen wie von selbst mit den Projektarbeiten.
Wie weit lassen wir uns instrumentalisieren?
„Der Künstler beginnt politisch zu handeln, sobald er sich dem politischen Missbrauch entzieht“, und: „Nichtanpassung bedeutet, dass der Künstler hinter die von den Politikern determinierte Welt seine Fragezeichen setzt“, schreibt Werner Hofmann in seiner kleinen Schrift „Kunst und Politik“, die ich anlässlich unseres portofreien Diskurses wiedergelesen habe. Wie weit lassen wir uns instrumentalisieren? Gibt es nicht auch korrumpierbares Gewebe im Kunstbetrieb?
Unsere individuellen Filterblasen sind nicht nur informationelle Echokammern. Sie können auch, wie Hajnalka Somogyi erklärt, Schutzräume sein, die uns helfen, unsere Gedanken zu fokussieren und das Rauschen der Informations- und Meinungsflut auszublenden. Wen lassen wir rein in unsere Filterblasen? Wo finden wir unsere Kollaborateure, unsere Mentoren, unsere Partner?
Es gibt unterschiedliche Strategien, um Begegnungen zu schaffen
Dieses Mal würde ich gerne wissen, ob und wie Sie Partnerschaften suchen, um ihre Arbeit zu ermöglichen und zu amplifizieren. Von Ungarn bis Brasilien werden Künstler und anders Denkende durch autoritäre Regimes unterdrückt und Mittel gekürzt. Wenn die Zusammenarbeit mit Regierungen keine Option ist, welche anderen Formen der Unterstützung und welche Netzwerke gibt es für Künstler, um auf nationaler Ebene Einfluss zu haben?
Wenn ich die Vorstellung einer Filterblase politisch verstehe, habe ich zwei Antworten:
- Die fast gänzliche staatliche Kontrolle über die Medien erschwert es uns, ein breites Publikum zu erreichen. In diesen Medien ist die Berichterstattung extrem einseitig: Kritische Stimmen werden weitgehend ignoriert oder aggressiv als „kommunistisch” oder „Schwulen-Propaganda“ bezeichnet (siehe Frida Kahlo!). Dadurch wird es sehr schwierig, Menschen außerhalb der eigenen politischen Komfortzone zu erreichen. Unsere Projekte wurden von der „offiziellen“ Medienmaschinerie bislang ignoriert – wir produzieren eigene Inhalte, die wir in den Sozialen Medien teilen. Gleichzeitig müssen wir uns auf bevorstehende Angriffe gefasst machen, da die Regierung und ihre Medien immer krudere Theorien über eine angebliche internationale Verschwörung gegen das Land verfolgen.
Man sollte nicht unterschätzen, Ideen in eigenen Echokammern laut werden zu lassen
- Unserer Erfahrung nach sollte man es nicht unterschätzen, Ideen in den eigenen Echokammern laut werden zu lassen. Angesichts der vielen gebildeten, eigenständig denkenden Menschen, die das Land derzeit in Scharen verlassen und einer erschreckend mächtigen Propaganda, die sich im ganzen Land breitmacht, kann man sich mit bestimmen Meinungen und Überzeugungen schon sehr entmutigt und alleine fühlen. So lange eine Filterblase vor Verzweiflung bewahren und zum Weitermachen motivieren kann (was ja eine Grundvoraussetzung dafür ist, über den eigenen Tellerrand zu schauen), ist OFF gerne bereit, diese Filterblase zu stärken.
Aus einer politischen Perspektive heraus betrachtet, sehe ich „Vorbeigehende“ gleichermaßen als Ziel- und als Studienobjekt, der Dialog ist hier gleichsam Mittel und Zielsetzung. Im direkten Eins-zu-Eins-Austausch bringe ich den Interessenten das Thema Zugehörigkeit näher, und zwar anhand von Themen, zu denen jeder unabhängig seines kulturellen Hintergrunds seine Meinung äußern und einen Beitrag zu einer neuen kollektiven Vision leisten kann. Durch die verschiedenen angewendeten Strukturen (Labyrinth, Kataloge, chinesische Boxen) wird mit der Neugier der Besucher gespielt, die sich hier auf ganz verschiedenen Arten dem Kunstwerk nähern können.
Der Dialog ist hier gleichsam Mittel und Zielsetzung
Von Beginn an war mein Arbeitscredo, eine möglichst leichtfüßige Balance zu finden zwischen künstlerischem Agieren und sozialem Handeln. Das Vermitteln von zuweilen absurden und schrägen Inhalten gelingt bestens jenseits des üblichen Expertenjargons in zahlreichen persönlichen Gesprächen und mit der Ambition, Menschen aus den Orten in künstlerische Prozesse einzubeziehen, ohne sie zu instrumentalisieren.
Etwas weniger Verkrampfungen, dafür etwas mehr tänzerischer Geist
Über rechtspopulistische Tendenzen vielleicht nächstes Mal …
Das Filterblasen-Phänomen führt zudem zu regelrechten Meinungssilos und einem Mangel an echtem Meinungsaustausch zwischen Menschen verschiedener Interessengemeinschaften in den sozialen Medien. Hier einen bedeutsamen und wirkungsvollen Austausch zu ermöglichen, ist eine der Herausforderungen des digitalen Zeitalters.
Wie können wir Zugang zu den Menschen bekommen, die sich außerhalb unserer politischen Komfortzone befinden?
Sie alle kommen aus verschiedenen Ländern in Europa: Ungarn, Österreich und Italien. Wie bereits in der vergangenen Portofrei Runde thematisiert, müssen wir gerade zusehen, wie populistische Tendenzen in ganz Europa zunehmen, vor allem auch in den Ländern, in denen Sie leben. Zu Anfang unserer Gesprächsrunde würde ich mich gerne auf unser direktes Umfeld konzentrieren, den nächstgelegenen Ort, an dem wir in dieser globalisierten, zunehmend digitaler und immaterieller werdenden Welt aktiv werden können: die kleinen und großen Städte, in denen Sie leben und arbeiten. In welcher Art und Weise tauschen Sie sich mit den Menschen in Ihrer unmittelbaren Umgebung aus? Nutzen Sie die Öffentlichkeit und in welcher Form versuchen Sie, mit den Menschen außerhalb Ihrer eigenen Filterblase zu kommunizieren?
Partner
Die aktuelle Ausgabe der Digitaldebatte „Portofrei“ findet in Kooperation mit der Internationalen Gesellschaft der Bildenden Künste (IGBK) statt. Die IGBK veranstaltete im November 2017 gemeinsam mit der Akademie der Künste, Berlin, das Symposium „Fragile Affinities“. Das Thema dieser „Portofrei“-Debatten schließt an dort diskutierte Fragen an.Es debattieren
Foto (Ausschnitt): Emilia Castioni Simona Da Pozzo lebt als Performance- und Videokünstlerin in Mailand. In ihrem Atelier Vegapunk arbeitet sie gemeinsam mit weiteren Künstlerinnen und Künstlern an verschiedenen Projekten. Seit 2013 stellt Simona Da Pozzo zudem im Rahmen von „Artist Hosting Artists (AHA)“, „Camouflage“ und „AUBatVPK“ ihre Atelierräume anderen Künstlern zur Verfügung.
Foto (Ausschnitt): Julia Vogt Gottfried Hattinger, freischaffender Kurator und Buchdesigner, lebt in Ottensheim bei Linz. Er studierte an der Kunstschule Linz und war von 1987 bis 1991 künstlerischer Leiter des Festivals „ars electronica“ im Brucknerhaus Linz. Gottfried Hattinger konzipiert und gestaltet Festivals und Ausstellungen, hauptsächlich in den Bereichen Performance und Theater, Bildende Kunst, Klangkunst und Musik, alte und neue Medien.
Foto (Ausschnitt): Csaba Aknay / Orbital Strangers Hajnalka Somogyi ist Kuratorin für zeitgenössische Kunst. Seit 2014 arbeitet sie als Leiterin und Co-Kuratorin der OFF-Biennale in Budapest, dem größten unabhängigen Kunstprojekt Ungarns, das auf Somogyis Initiative hin gegründet wurde. Hajnalka Somogyi war unter anderem Redakteurin bei artmagazin.hu und Kuratorin des Ludwig Museums für zeitgenössische Kunst in Budapest.