Was erträumen sich junge Menschen für die Zukunft? Studierenden aus Südamerika sprechen über ihre Träume und Ideen zur ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen Zukunft des Kontinents.
Von Ana Luisa González
María Paula Gutiérrez Hurtado, Kolumbien, 22 Jahre, studiert an der Universidad de los Andes
© María Paula Gutiérrez Hurtado
Ich träume von einem Kontinent, auf dem die dezentralisierten Institutionen anerkannt werden, die aus der Zusammenarbeit von Kollektiven in jedem einzelnen Land entstanden sind und die angesichts der staatlichen Vernachlässigung eigene Regierungsformen gebildet haben. Von diesen Gruppen kommen konkrete Ansätze, um die Natur, von der sie umgeben sind, zu erhalten. So sehr, dass sie gelernt haben, sich als ein Teil dieses Ökosystems zu fühlen und es zu schützen, weil sie von ihm abhängig sind. Wenn wir uns als Region weiterentwickeln wollen, müssen wir diese Perspektiven in die öffentliche und staatliche Debatte miteinbeziehen, um zu definieren, wo gesellschaftliche Effizienz liegt. Nur durch demokratische und partizipative Entscheidungen können wir ökologisches und gesellschaftliches Wohlbefinden erreichen.
Facundo López, Argentinien, 21 Jahre, studiert an der Universidad Torcuato Di Tella
© Facundo López
Die Wirtschaftspolitik in Lateinamerika muss den technologischem Fortschritt fördern. Durch die Covid-19-Krise zeigen sich jetzt Möglichkeiten, um mit alten Bahnen zu brechen, und die Industrie 4.0 bietet viele Vorteile, um wettbewerbsfähiger zu werden. Es wäre ideal, wenn die Länder sich jetzt auf Informationstechnologie, digitale Vernetzung bei Produktionsprozessen und die High-Tech-Branche spezialisieren. Das ist eine Entscheidung, die auch von früheren politischen Machtverhältnissen abhängig ist, sowie auch von wirtschaftspolitischen Koalitionen, die in der Lage sind, die Entwicklung der einzelnen Sektoren ermöglichen. Mein Traum ist es, dass sich die lateinamerikanischen Nationen im Hinblick auf ihre politischen Kämpfe stärken können, indem sie einen Konsens schaffen, damit die institutionelle Innovation die Speerspitze der zukünftigen Geschäftsinnovation wird.
Gonzalo Zeballos Gallardo, Bolivien, 21 Jahre, studiert an der Universidad Privada de Santa Cruz de la Sierra
© Gonzalo Zeballos Gallardo
Unter den Technologien sind die Informationstechnologien (Software) der größte Antrieb und Motor für den digitalen Wandel innerhalb unseres Wirtschaftssystems. Für Lateinamerika stellt es eine große Herausforderung dar, auf die Kontinuität dieses Prozesses zu setzen. Alle Akteure, die an der Entwicklung der lateinamerikanischen Wirtschaft beteiligt sind, müssen miteinbezogen werden: Staat, Unternehmen und Verbraucher, die die neuen Technologien bei ihren täglichen Aktivitäten nutzen. Ich träume von einem Lateinamerika, das den digitalen Wandel anstrebt, ich träume von einem Lateinamerika mit voller technologischer Souveränität. Aber vor allem träume ich davon, dass das für alle erreichbar wäre.
Alana Alves Rodrigues, Brasilien, 28 Jahre, Universidade Federal de Viçosa
© Alana Alves Rodrigues
Die brasilianische Dichterin Adélia Prado sagt, dass „die Träume nicht sterben“. Vielleicht hat sie recht, weil wir trotz so vieler Herausforderungen immer noch träumen. Ich könnte hier eine ganze Liste mit Wünschen machen: Ich hoffe, dass wir in sehr naher Zukunft frei von der Pandemie sind und dass wir nach dieser Phase mit mehr Respekt auf die Natur und die Menschen schauen können; ich hoffe, dass wir größere soziale Gerechtigkeit und Gleichheit der Geschlechter erfahren werden. Ich träume davon, dass wir Zugang zu einer qualitativ hochwertigen Bildung haben; ich möchte, dass die Leistung der Wissenschaft mehr wertgeschätzt wird. Aber was ich mir am meisten für Lateinamerika wünsche, ist, dass wir weiter träumen können, denn solange wir weiter daran glauben, können wir immer noch kämpfen.
Sebastián Pino, Chile, 24 Jahre, studiert an der Universidad de Chile
© Sebastián Pino
Mein Traum ist es, dass Lateinamerika zu einer Region wird, die als wichtigstes Prinzip die Stärkung als Block vertritt. Eine Region, die sich als Vermittler eines Wandels etabliert, der sich in Richtung von echter nachhaltiger Entwicklung und politischer Stabilität bewegt, in der die demokratischen Prozesse und die Sicherheit der sozialen Grundrechte gewährleistet sind. Die durch das Coronavirus verursachte Gesundheitskrise zeigt uns, worauf es ankommt: die Gestaltung von Strukturen, die die öffentliche Hand und die Koordination zwischen den einzelnen Staaten begünstigen. Aus diesem Grund muss Lateinamerika seine Interaktionsweise überdenken und Zusammengehörigkeit suchen, um die Herausforderungen der Zukunft zu meistern.
Kevin Steven Mojica Muñoz, Kolumbien, 23 Jahre, studiert an der Universidad de los Andes
© Kevin Steven Mojica Muñoz
Ich träume von einem Lateinamerika mit einer leistungsorientierten und spezialisierten öffentlichen Verwaltung. Die sozialen Herausforderungen, mit denen die Region zu kämpfen hat, lassen sich nur mit staatlichen Interventionen bewältigen, die auf einer tiefen Kenntnis der Problematik und notwendigen technischen Methoden beruhen. Das kann nur erreicht werden, indem sichergestellt ist, dass die für die Entscheidungen relevanten öffentlichen Positionen nach leistungsorientierten Kriterien und an hochqualifizierte Personen vergeben werden. Die Zeiten müssen vorbei sein, in denen Positionen über Vetternwirtschaft, mit politischem Kalkül oder als Gefälligkeit besetzt wurden. Das ist in einigen Fällen nicht nur rechtswidrig, sondern es bestimmt die Qualität der öffentlichen Entscheidung. Wir brauchen mehr Staat, aber einen guten Staat.
Sebastian Steve Portocarrero, Peru, 19 Jahre, studiert an der Universidad del Pacífico
© Sebastian Steve Portocarrero
Als angehender Ökonom träume ich von lateinamerikanischen Ländern, die eine nachhaltige Wirtschaft betreiben und die ihrerseits eine leistungsorientierte aber gerechte Verteilung des Reichtums gewährleisten. Außerdem träume ich von Institutionen, die einen sozial-soliden Background schaffen, sodass die öffentlichen Maßnahmen die gesetzten Ziele erreichen und damit wir aus der Falle des mittleren Einkommens und der bedingten Konvergenz entrinnen können. Auf diesem Weg kann mein größter Traum mit mehr Klarheit sichtbar werden: eine Zukunft, in der keine einzige, aus den verschiedensten Ländern der Region stammende Person auf der Suche nach besseren Möglichkeiten für ihr persönliches und soziales Wachstum die Heimat verlassen muss.
María Rosa Hernández, Venezuela, 21 Jahre, studiert an der Universidad Católica Andrés Bello
© María Rosa Hernández
Die Länder in Lateinamerika waren von der Coronavirus-Pandemie so stark betroffen, weil sie über weniger Infrastruktur, weniger staatliche Einnahmen und weniger Zugang zu Finanzierung verfügen. Jedoch öffnete sich ein Glücksfenster, in dem sich die digitalen Modelle als Hauptakteure herausstellten, was uns nun zeigt, dass die Bemühungen auf jeden Fall auf die Förderung des digitalen Ökosystems zu konzentrieren sind. Das Ideal für die Zukunft der Region wäre eine effiziente technologische Infrastruktur, die die Kluft zwischen denen, die Zugang zum Internet haben und denen, die keinen Zugang haben, verringert. Dies trägt gleichzeitig zur Entwicklung neuer Ideen zur Interaktion mit den Informations- und Kommunikationstechnologien an.
Autorin
Ana Luisa González, kolumbianische Journalistin, hat die lateinamerikanischen Studentinnen und Studenten befragt.
Übersetzung: Kathrin Dehlan Copyright: Text: Goethe-Institut, Ana Luisa González. Dieser Text ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland Lizenz.
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