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Baugenossenschaften
Gemeinschaft statt Eigentum

Wohnbaugenossenschaft wagnisART | München
Wohnbaugenossenschaft wagnisART | München | Foto: Frank Kaltenbach

Deutschland boomt. In Ballungszentren wie Berlin, Hamburg, Stuttgart und München steigen Mieten und Preise für Wohnungseigentum rasant. Immer weniger Menschen, die in diesen Städten arbeiten, können es sich leisten, dort auch zu wohnen. Es gibt jedoch eine Alternative, die niedrige Mieten und lebenslanges Wohnrecht garantiert: der Eintritt in eine Baugenossenschaft. Deutschlands radikalster Genossenschaftsbau, wagnisART in München, erhielt für seine Projekte den Deutschen Städtebaupreis 2016.

Schon von Weitem fallen die unregelmäßig über die Fassade verteilten Fenster auf. Begibt man sich dann von der Straße in den Freiraum zwischen den fünf Häusern, fühlt man sich wie in einer anderen Welt.

Im vierten Obergeschoss spannen breite Betonbrücken von Haus zu Haus – wie Arme, die sich Tänzer im Kreis über die Schulter legen. Sie bilden einen Platz für die Gemeinschaft, der Geborgenheit vermittelt und dennoch gerahmte Durchblicke zur Umgebung erlaubt.

Wohnbaugenossenschaft wagnisART | München Wohnbaugenossenschaft wagnisART | München | Foto: Frank Kaltenbach Hier schlägt das Herz der Anlage, denn wagnisArt ist nicht nur ein Wohnungsbau mit 9.600 Quadratmeter Wohnfläche für etwa 200 Bewohner, sondern ein Dorf in der Stadt mit 400 Quadratmeter Gemeinschaftsflächen und 680 Quadratmeter für gewerbliche Nutzungen. Ein Speiserestaurant, ein Veranstaltungsraum für das Quartier, vier Praxen, Büros und Gemeinschaftsräume, sogar ein Wellnessbad mit Sauna finden hier Platz. Der zweite Innenhof ist als grüne Oase konzipiert, als Rückzugsbereich mit privaten Gärten der Erdgeschosswohnungen.

Wohnbaugenossenschaft wagnisART | München Wohnbaugenossenschaft wagnisART | München | Foto: Frank Kaltenbach Dieses Dorf setzt sich in der Vertikale fort, denn die Treppenhäuser werden als Kommunikationsräume mit viel Tageslicht genutzt. Auf breiten Podesten ist hier Platz für Sitzbänke und Kunstwerke.

Ab dem vierten Obergeschoss befindet man sich über den Dächern der Stadt und hat einen Rundblick, der Richtung Süden bis zu den fernen Alpen reicht. Beim Spaziergang von Brücke zu Brücke passiert man private Loggien, ein Künstleratelier oder die breite »Champagnerterrasse«, die sich für gemeinsame Feste zum Sonnenuntergang anbietet.

Wohnbaugenossenschaft wagnisART | München Wohnbaugenossenschaft wagnisART | München | Foto: Frank Kaltenbach Für München einzigartig ist das Konzept der sogenannten Clusterapartments. 84 der insgesamt 138 Wohnungen sind als solche Wohngemeinschaften organisiert: Jedes Clusterappartment hat für ein bis drei Bewohner seine Privatsphäre mit eigenem Bad und Kochnische. Die großzügige Gemeinschaftsküche und der gemeinsame Wohnbereich stehen allen Bewohnern des Clusters zur Verfügung, je nach Größe bis zu elf Personen.

Es ist bereits das fünfte realisierte Projekt der Münchner Wohnbaugenossenschaft Wagnis, in das Erfahrungen aus inzwischen 16 Jahren seit ihrer Gründung eingeflossen sind. Und dennoch bleibt der Entstehungsprozess von wagnisART immer einzigartig.

Wohnbaugenossenschaft wagnisART | München Wohnbaugenossenschaft wagnisART | München | Foto: Udo Schindler Genossenschaftliches Wohnen heißt für Wagnis nicht nur billige Mieten, sondern vor allem ein außerordentliches Engagement für die Gemeinschaft – von der Konzeption des Gebäudes und der Freiflächen bis hin zur Ausgestaltung mit Kunstwerken. Mindestens 20 Arbeitsstunden pro Jahr muss jeder Genosse beitragen.

Die Architekten sind dabei mehr Moderatoren als Gestalter. Mit Schuhkartons hatten die Genossenschaftsmitglieder in einem Workshop die fünf Volumen der Häuser im Kreis angeordnet und symbolisch als Zeichen der Gemeinschaft mit Holzlatten verbunden: die Geburtsstunde der Brücken, die trotz aller Widerstände und hoher Mehrkosten bis zuletzt Bestandteil der Planung blieben. Selbst die Anordnung der Fenster wurde von den Bewohnern gestaltet: Jeder durfte über diejenige Wand entscheiden, auf die er aus seiner Wohnung später schauen würde.

Luftbild Wohnbaugenossenschaft WagnisART | München Luftbild Wohnbaugenossenschaft WagnisART | München | Foto: Udo Schindler Die Mitglieder müssen aber auch Kapital mitbringen. Die Einlagen zur Anschubfinanzierung betragen circa 30 Prozent der Baukosten. Die Gesamtkosten von 41 Millionen Euro sind angesichts des aufwendigen Passivhausstandards erstaunlich niedrig. Besitzer bleibt allein die Genossenschaft. Die Bewohner sind nur Anteilseigner. Wenn ein Bewohner auszieht, bekommt er seine gesamte Einlage zurück.

Die Summe und auch die Miete variieren von Bewohner zu Bewohner, da nur 30 Prozent der Wohnungen frei finanziert sind. Die Landeshauptstadt München fördert 30 Prozent der Wohnungen mit der einkommensorientierten Zusatzförderung (EOF) und 40 Prozent nach dem sogenannten München Modell.

Wohnbaugenossenschaft WOGENO | München Wohnbaugenossenschaft WOGENO | München | Foto: Frank Kaltenbach WagnisART ist zurzeit das radikalste Genossenschaftsprojekt in Deutschland, bei Weitem aber nicht das Einzige. Auf dem Nachbargrundstück hat die städtische Genossenschaft WOGENO ein Gebäude mit 74 Wohnungen errichtet, mit großem Gemeinschaftsraum als zweites Wohnzimmer, gemeinsamer Dachterrasse und Café.

Die Genossenschaftliche Immobilienagentur (GIMA) in München hat inzwischen 23 gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaften als Mitglieder. Seit dem Genossenschaftsgesetz von 1889 erleben Genossenschaften deutschlandweit erneut eine Renaissance: Inzwischen sind über drei Millionen Menschen Mitglied in einer der über 2.000 Wohnungsgenossenschaften oder wohnen bereits in einer der 2,3 Millionen Genossenschaftswohnungen.

Wohnbaugenossenschaft wagnisART | München Wohnbaugenossenschaft wagnisART | München | Foto: Frank Kaltenbach Genossenschaften schaffen nicht nur bezahlbaren Wohnraum, sondern vor allem qualitätvolle Wohnungen und Quartiere. Die Bewohner von wagnisArt gaben ihren fünf Häusern die Namen der fünf Kontinente. Sie verstehen ihre Wohnung nicht als Burg, sondern als gelebte Sozialutopie – als Modell einer alternativen globalisierten Welt, die nicht nur nach den ökonomischen Vorgaben des Marktes funktioniert.

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