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Worlds of Homelessness
​Im Zentrum steht der Mensch, nicht das Gebäude – Wohnraumproblematik und Protestbewegungen in L.A.

Worlds of Homelessness - Image of Downtown Los Angeles Map suggesting conflicts around Housing in LA
© Lisa Riedner

Neue Kunstgalerien gleich neben Apotheken für traditionelle chinesische Medizin, das im wahrsten Sinne des Wortes heißeste Fastfood-Hähnchen L.A.‘s neben frisch gepresstem Zuckerrohrsaft: Chinatown ist ein sehr beliebtes Wohnviertel – nicht nur wegen seiner unmittelbaren Nähe zum Stadtzentrum, sondern auch, wegen seines pulsierenden Herzschlags. Doch wie viele andere Trend-Viertel befindet sich Chinatown derzeit im Wandel. Alteingesessene Bewohner bekommen die Macht der Gentrifizierung zu spüren. 

Von Lisa Riedner

Ich war am 26. Mai 2019 das erste Mal hier, um an einer Demonstration von Chinatown Community For Equitable Development („Chinatown-Anwohner für faire Stadtentwicklung“, CCED) teilzunehmen, einer multi-ethnischen und generationsübergreifenden Bürgerorganisation. Laut CCED entstehen derzeit 7.000 Wohneinheiten zu marktüblichen Preisen – mit der Folge, dass sozial schwächere Bewohner durch Mieterhöhungen, Schikanen ihrer Vermieter und Zwangsräumungen aus Chinatown herausgedrängt werden. Vor einer Starbucks-Filiale und den Jia Apartments der nahegelegenen Hillside Villa, wo inzwischen marktübliche Mieten verlangt werden, erzählten mir einige Mieter, wie sie darum kämpfen, in ihren Wohnungen bleiben zu können. Die 124 Einheiten ihres Apartmentkomplexes hatten 30 Jahre lang einer Mietpreiskontrolle unterlegen, im Jahr 2018 lief jedoch die Garantie auf bezahlbare Mieten aus und der Vermieter hob die Preise auf die marktübliche Summe an. Einige Mieter waren daraufhin mit einer monatlichen Mieterhöhung von 700 Dollar konfrontiert. Der Vermieter drohte außerdem mit Zwangsräumung. Die Mieter, vor allem Familien mit geringem Einkommen und Migrationshintergrund, stellten sich den Mieterhöhungen allerdings entgegen. Sie schlossen sich als Mietergemeinschaft Hillside Villa Tenants Association zusammen und hätten es mit Hilfe der Stadtverwaltung fast geschafft, die Mietpreisgarantie um weitere 10 Jahre zu verlängern. Nachdem sie ihre Situation erklärt hatten, liefen wir durch die Hauptgeschäftsstraße. Ich verteilte Flyer von CCED an Passanten, Ladenbesitzer und Marktverkäufer – die meisten verlangten welche in chinesischer Sprache und schienen das Vorhaben zu unterstützen. An der College Station war die Demonstration zu Ende. Anfang des Jahres hatte CCED eine Klage gegen die neuen Stadtentwicklungspläne eingereicht, die 725 Wohneinheiten zu marktüblichen Preisen vorsehen und keine einzige mit erschwinglicher Miete bieten.

  • Teilnehmer an dem "Chinatown Is Not For Sale" Protestmarsch in Los Angeles, Mai 2019 © Bryan Sin
    Teilnehmer an dem "Chinatown Is Not For Sale" Protestmarsch in Los Angeles, Mai 2019
  • Teilnehmer an dem "Chinatown Is Not For Sale" Protestmarsch in Los Angeles, Mai 2019 © Bryan Sin
    Teilnehmer an dem "Chinatown Is Not For Sale" Protestmarsch in Los Angeles, Mai 2019
  • Teilnehmer an dem "Chinatown Is Not For Sale" Protestmarsch in Los Angeles, Mai 2019 © Bryan Sin
    Teilnehmer an dem "Chinatown Is Not For Sale" Protestmarsch in Los Angeles, Mai 2019
  • Teilnehmer an dem "Chinatown Is Not For Sale" Protestmarsch in Los Angeles, Mai 2019 © Bryan Sin
    Teilnehmer an dem "Chinatown Is Not For Sale" Protestmarsch in Los Angeles, Mai 2019
  • Teilnehmer an dem "Chinatown Is Not For Sale" Protestmarsch in Los Angeles, Mai 2019 © Bryan Sin
    Teilnehmer an dem "Chinatown Is Not For Sale" Protestmarsch in Los Angeles, Mai 2019
  • Teilnehmer an dem "Chinatown Is Not For Sale" Protestmarsch in Los Angeles, Mai 2019 © Sophat Phea
    Teilnehmer an dem "Chinatown Is Not For Sale" Protestmarsch in Los Angeles, Mai 2019
  • Teilnehmer an dem "Chinatown Is Not For Sale" Protestmarsch in Los Angeles, Mai 2019 © Sophat Phea
    Teilnehmer an dem "Chinatown Is Not For Sale" Protestmarsch in Los Angeles, Mai 2019
  • Teilnehmer an dem "Chinatown Is Not For Sale" Protestmarsch in Los Angeles, Mai 2019 © Sophat Phea
    Teilnehmer an dem "Chinatown Is Not For Sale" Protestmarsch in Los Angeles, Mai 2019
  • Teilnehmer an dem "Chinatown Is Not For Sale" Protestmarsch in Los Angeles, Mai 2019 © Sophat Phea
    Teilnehmer an dem "Chinatown Is Not For Sale" Protestmarsch in Los Angeles, Mai 2019
Weitere Beispiele für den Kampf um Wohnraum in L.A. sind der triumphale Sieg der Mariachi-Mieterstreikbewegung in Boyle Heights oder die Mieterproteste in der Whitley Ave in Hollywood. Bei letzterem wehren sich die Mieter dagegen, dass ihre Wohnungen zu einem Hotel umfunktioniert werden sollen. In den letzten Jahren ist es immer häufiger vorgekommen, dass sich in L.A. Mieter zusammenschließen, oftmals mit Erfolg. Ich habe während meiner langen Aufenthalte in L.A. oft an solchen Protesten und Treffen teilgenommen und mir die Geschichten dieser Menschen angehört. Dabei habe ich viel gelernt, nicht nur darüber, wie eine Bürgerorganisation funktioniert, sondern auch über die zentralen Konflikte unserer heutigen Zeit.

Viele Menschen müssen ihre Wohnungen verlassen und sich eine andere Bleibe suchen, einige landen auch auf der Straße. Die Los Angeles Homeless Count Obdachlosenzählung aus dem Jahr 2019 hat herausgefunden, dass 2018 rund 55.000 Menschen in L.A. obdachlos geworden sind. Der Hauptgrund dafür ist die schlechte Wirtschaftslage; die Löhne können nicht mit den Mieten Schritt halten. Ausgaben für Krankenversicherung und Bildung können Haushalte daher schnell an den wirtschaftlichen Abgrund bringen. Ein Drittel aller Haushalte in L.A. leidet extrem unter den hohen Mieten. Diese Menschen zahlen mehr als 55 % ihres Einkommens für Miete. Für die Los Angeles Tenants Union sind Obdachlose ebenfalls Mieter, genauer gesagt Mieter ohne Dach über dem Kopf.

Jeden Abend müssen über 4.000 Menschen in dem 54 Blocks umfassenden Armenviertel in L.A., der sogenannten Skid Row, die Nacht unter freiem Himmel verbringen. Aber auch dieses zentral gelegene Stadtviertel ist von der Gentrifizierung bedroht. Die Stadt will bis zum Jahr 2040 70.000 neue Wohneinheiten für 125.000 Menschen im Zentrum von L.A. schaffen. Diese neue Gebietsaufteilung ist im Downtown Community Plan (DTLA 2040) festgelegt, damit sollen künftig auch in der Skid Row marktübliche Mietpreise erlaubt sein. Gegen diesen Plan der Stadtverwaltung wehren sich zahlreiche Bürgerbewegungen mit der Kampagne Skid Row Now And 2040. Auf einem Reggaefestival in der Gegend ließ ich mir von einem der Organisatoren erklären, warum diese neue Gebietseinteilung den Menschen in der Skid Row schaden würde: Nach den neuen Regelungen würden die Mieten steigen und damit 4.800 Menschen aus den Sozialwohnungen sowie 2.000 Obdachlose von den Straßen vertrieben werden. Die Handlungsempfehlungen ihrer Kampagne beinhalten den Bau neuer Wohnungen für sozial schwache und sehr schwache Mieter, Schutz vor Vertreibung und ein Mitspracherecht der Anwohner der Skid Row beim Planungsprozess. „An erster Stelle stehen Wohnungen für die Obdachlosen“, erklärte die Organisatorin Suzette Shaw bei der Pressekonferenz der Skid Row Now And 2040 am 16. Juli 2019.

Die verschiedenen Bürgerorganisationen führen nicht nur einen gemeinsamen Kampf gegen vom Marktpreis bestimmte Stadtentwicklungspläne. Sie sind ebenfalls allesamt der Meinung, dass die Wohnraumkrise ein radikalisiertes Thema ist. Laut der Obdachlosenstatistik von L.A. sind nur 24,7 % der Obdachlosen Weiße, jeder Dritte ist schwarz/afroamerikanisch, der größte Teil der Obdachlosen (36,5 %) hat einen lateinamerikanischen Hintergrund. Die Gentrifizierung „schafft Orte, die für farbige Anwohner der Arbeiterklasse unzugänglich sind und löscht damit quasi ihre Existenz aus, indem sie es ihnen unmöglich macht, sich hier Wohnungen zu leisten, sich willkommen zu fühlen oder auch nur zu existieren“, so die CCED.

Wenn wir bei dieser Krise von einer Wohnraumkrise sprechen, profitieren davon alle, die an der Schaffung neuen Wohnraums beteiligt sind und die damit ihr Geld machen, nicht jedoch die Menschen, die darin wohnen. Der Begriff führt dazu, dass wir abstrakt denken, in Zahlen und austauschbaren ‚Wohneinheiten‘, dabei geht es hier um Menschen und um Macht.

Tracy Jeanne Rosenthal - Mitglied der L.A. Tenants Union

Da mich die Verbindung von Rassismus und Wohnungspolitik interessierte, habe ich auch eine Veranstaltung der Organisation Abundant Housing L.A. („Mehr Wohnraum in L.A.“) über die rassistische Tradition der Ausgrenzung einzelner Familien besucht. Vom 33. Stockwerk eines Hochhauses im Finanzbezirk mit Blick auf die Straßen L.A.s referierten die Vortragenden über die Geschichte der Anwohnertrennung. Die derzeitigen mit Radikalisierung in Verbindung gebrachten Ungleichheiten und Trennungen aufgrund des Begriffs „Rasse“ sind demzufolge auf seit langem traditionell ausgeführte Handlungen, die einer sogenannten Racecraft unterliegen, zurückzuführen. Es wurde etwa erklärt, wie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine fast schon mit der Hexenverfolgung  gleichzusetzende rassistische Wohngebietspolitik betrieben wurde, indem bestimmte Viertel nur von Menschen einer bestimmten „Rassenkategorie“ bewohnt werden durften. So stammt ein großer Teil des Vermögens der heutigen Hausbesitzer aus diesen diskriminierenden Praktiken, die damals vielen Menschen Hypotheken ermöglicht haben, nur nicht denen, die außerhalb der „roten Linie“ wohnten und als nicht kreditwürdig angesehen wurden. Hierbei handelte es sich vornehmlich um Farbige. Die Konsequenz der Analyse dieser rassistischen Dynamiken und ihren Auswirkungen auf die Gegenwart schlug jedoch eine andere Lösung vor als die, die die derzeitigen Protestbewegungen fordern. Statt die Bewohner in den Mittelpunkt der Bemühungen zu stellen, schlägt Abundant Housing vor, durch eine Neureglung der Bodennutzungspläne neue Entwicklungsprojekte zu fördern: „Die Lösung scheint einfach: Los Angeles braucht noch mehr Wohnraum.“ Die Erfahrungen der Mieter und Obdachlosen, mit denen ich gesprochen habe, bestärken jedoch die Annahme, dass solche neuen Nutzungsbestimmungen und die Schaffung von Wohnungen zum marktüblichen Preis die momentane Wohnraumkrise nicht beenden können. Im Gegenteil, die explodierenden Mieten und Vertreibungen, gegen die sie protestieren, sind eine unmittelbare Folge dieser unregulierten Stadtentwicklungskonzepte auf der Grundlage marktüblicher Mietpreise. Ihrer Meinung nach müssen die Rechte der Mieter im Mittelpunkt stehen, nicht die Schaffung neuen Wohnraums. Tracy Jeanne Rosenthal, Mitglied der L.A. Tenants Union, geht sogar noch einen Schritt weiter und behauptet „Es gibt keine Wohnraumkrise“. Diesen Ansatz erklärt sie folgendermaßen: „Wenn wir bei dieser Krise von einer Wohnraumkrise sprechen, profitieren davon alle, die an der Schaffung neuen Wohnraums beteiligt sind und die damit ihr Geld machen, nicht jedoch die Menschen, die darin wohnen. Der Begriff führt dazu, dass wir abstrakt denken, in Zahlen und austauschbaren ‚Wohneinheiten‘, dabei geht es hier um Menschen und um Macht.“ Sie schlägt dagegen einen anderen Begriff vor: „Wir haben derzeit eine Mieterrechte-Krise. Uns liegen die Menschen mehr am Herzen als die Objekte, die sie bewohnen.“

Zu Anfang des Jahres hat die Obdachlosenbehörde von L.A. im Stadtzentrum 36.000 Menschen ohne feste Bleibe registriert. Unzählige Mieter sind derzeit nur eine Monatsmiete von der Wohnungslosigkeit entfernt.
Meine bewegungsbasierten Untersuchungen im Sommer 2019 haben mich davon überzeugt, dass marktorientierte Stadtentwicklungskonzepte diese Krise nicht lösen werden, sondern die in der Stadt herrschende
rassistische Ungleichbehandlung noch verstärken. Gleichzeitig war es inspirierend zu sehen, dass die Kämpfe der wohnungslosen Mieter gegen diese Prozesse der Vertreibung und für das Menschenrecht auf Wohnen in der kalifornischen Metropole an Stärke gewinnen.


 

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