Worlds of Homelessness
Wie ein Künstler auf Skid Row ein sinnerfülltes Leben findet
Seine Sprühdosen bewahrt er in einer alten Kühlbox auf. Seine Acrylfarben und Kreiden verstaut er in einer Holzkiste, in der irgendwann einmal Milchflaschen gestapelt wurden. Alles lagert unter einer blauen Zeltplane neben zwei großen Hundehütten. Zwei gut erzogene Pitbulls, die auf die Namen Big Ugly und Space Ghost hören, schnüffeln in der Luft herum. Sollte irgendwann einmal ein Fremder hier auftauchen, der nichts Gutes im Schilde führt, wüssten die beiden wohl sofort, was sie zu tun hätten.
Von Jessica Gelt für die L.A. TIMES
Crushow Herring klettert unter der provisorischen Abdeckung hervor, quetscht sich an einem Maschendrahtzaun entlang und an der Kleidung und den Hygieneartikeln in seinem Zelt vorbei, bis er schließlich an der Straßenkreuzung zwischen Fifth Street und Central Avenue mitten in der Skid Row im Herzen L.A.s, einem Viertel, in dem vor allem sozial Schwache wohnen, auftaucht.
Er atmet tief ein. Die Luft ist nach dem Morgenregen feucht und kühl, und ein Mann in einer grünen Jogginghose und einem ausgebeulten blauen Sweatshirt hängt eine nasse Decke zum Trocknen nach draußen. Er nickt Herring zum Gruß zu, der hier als Künstler unter dem Namen ShowzArt arbeitet.
„Die Leute sagen, sie wollen 16 Hektar und ein Maultier“, so ShowzArt. „Ich habe 50 Blocks“.
Hier im Viertel, in dem fast 17.000 Menschen wohnen, ist er eine Berühmtheit. Wo er auch vorbeikommt, winken ihm Frauen und Männer lächelnd zu. Wer neben ihm herläuft, bemerkt unweigerlich den tiefen Zusammenhalt und den gemeinsamen Erfahrungshintergrund, der die Leute hier zusammenschweißt. Auch andernorts ist ShowzArt gefragt. Ungefähr eine Meile von hier entfernt wird in einer Pop-Up-Galerie in einem schicken Kunstviertel im Rahmen einer 10-tägigen Veranstaltung namens We Rise eine Arbeit von ihm ausgestellt. Die vom L.A. County Department Of Mental Health organisierte Präsentation läuft noch bis Montag und bietet Life-Performances, interaktive Workshops und zahlreiche Kunstaktionen, um ein Bewusstsein dafür zu schaffen, wie wichtig Früherkennung und -behandlung beim Thema psychische Gesundheit sind.
Jeder, der schon mal in L.A. war, kennt ShowzArts Arbeiten. Manche wissen nur nicht, wer dahintersteckt.
Yosi Sergant
Geboren wurde der 41-jährige ShowzArt in Kansas City, Missouri. In der fünften Klasse zog er in den Süden von Los Angeles und ging dort auf die Martin Luther King Jr. Elementary School. Er spielte am Bakersfield College Basketball, später betrieb er eine Vollkontakt-Variante dieses Sports namens Slamball, was ihm Reisen um die ganze Welt, darunter auch Italien und China, einbrachte. Alles schien gut zu laufen, so dachte er zumindest. „Aber irgendwie hat es nicht richtig funktioniert, egal, was ich auch tat”, erinnert er sich. Als er in die Staaten zurückkam, fühlte er sich immer öfter wegen seiner Hautfarbe diskriminiert und hatte das Gefühl, dass sämtliche Menschen in mächtigen und privilegierten Positionen ihm einfach das Label „weniger wert” aufdrückten, egal, wie sehr er sich auch bemühte, den sozialen Anforderungen zu genügen. Also beschloss er, wie er es ausdrückt, genau das zu werden, was diesen Leuten am meisten Angst macht. Mit 21 begann er, in der Skid Row Crack Kokain zu verkaufen. Mit dem verdienten Geld wollte er einen Laden eröffnen, in dem er seine eigene Bekleidungskollektion und Skateboard-Designs verkaufen wollte. Die Kehrtwende gelang ihm schließlich durch ein Baby: Als 2006 sein Sohn geboren wurde, hörte er mit dem Dealen auf. ShowzArt ging zurück in die Skid Row, aber diesmal als Helfer. Er wollte sich für die Anwohner innerhalb einer Non-Profit-Organisation namens Life is, aus der inzwischen die Organisation Sidewalk hervorgegangen ist, engagieren; ihnen Zugang zur Kunst ermöglichen und gesunde Mahlzeiten verschaffen.
2015 holte ihn jedoch seine Vergangenheit ein, als er sich auf einmal mit einer, wie er sagt, falschen Beschuldigung konfrontiert sah und wegen Drogenbesitzes 10 Jahre ins Gefängnis sollte. Er konnte sich erfolgreich dagegen zur Wehr setzen, aber danach war er pleite und landete auf der Straße. Im vergangenen Jahr wurde ihm ein versuchter Raub vorgeworfen, den er nach eigenen Angaben nicht begangen hat. Angeblich hatte er gerade in der Nähe von Sixth And Spring Street auf Essen gewartet, als ihm plötzlich ein Officer gegenübertrat und ihn der Tat beschuldigte. ShowzArt trug daher bis zu seiner Gerichtsverhandlung im Juni eine Fußfessel. Es sind Rückschläge wie dieser, die ihn immer wieder zurück auf die Straße bringen. Es scheint, als könne er sich nicht von seiner Vergangenheit befreien. Am Ende, so sagt er, sei es jedoch eine bewusste Entscheidung, in der Skid Row zu leben und sich damit gegen ein Leben in einer Gesellschaft zu positionieren, denen Menschen wie er egal sind. Sein mittlerweile 13-jähriger Sohn und seine 8-jährige Tochter leben bei ihrer Mutter in Long Beach. Die beiden sind schon seit vielen Jahren verlobt. ShowzArt erklärt, dass er etwas zur Miete und zum Unterhalt der Kinder beisteuert und auch von Zeit zu Zeit bei ihnen bleibt, auch wenn er unter „Hausarrest“ steht.
„Sie hat die ganze Zeit Unterstützung von mir bekommen”, sagt er über seine Verlobte und betont, dass sie sein Bedürfnis versteht, lieber in der Skid Row zu leben als in einem kaputten System. Er möcht eben lieber bei seinen Gefährten auf der Straße sein und sich direkt vor Ort für sie engagieren. „Mir ist klar geworden, dass ich immer noch versuche, in dieses von der Gesellschaft gemachte System hineinzupassen. Aber ich kann bei diesem Rennen nicht mitlaufen, es ist nicht mein Rennen, da bin ich raus”, erklärt er. Seine dunklen Augen blitzen vor Wut und Frust. „Ich kann mich ausklinken. Ich muss da nicht mitmachen. Ich spiele so lange nicht mit, bis ich die richtigen Werkzeuge in die Hand bekomme, um mitspielen zu können.” Er schüttelt den Kopf, Tränen steigen ihm in die Augen.
„Aber diese Werkezuge geben sie mir einfach nicht, weißt du”, sagt er noch einmal, diesmal fast zu sich selbst. ShowzArt such sich seine Werkzeuge darum lieber selbst zusammen. Er hat einen Instagram-Account mit fast 1.000 Followern. Seine eigene Bekleidungs-Linie namens Hating Is A Crime („Hass ist ein Verbrechen”) gibt es bei Sportie L.A. auf der Melrose Avenue und Soul On Ice in West Adams. Ab und an nimmt er als Maler Auftragsarbeiten an, das reiche aber, wie er scherzt, noch nicht ganz, um seine Miete zu bezahlen.
Mir ist klar geworden, dass ich immer noch versuche, in dieses von der Gesellschaft gemachte System hineinzupassen. Aber ich kann bei diesem Rennen nicht mitlaufen, es ist nicht mein Rennen, da bin ich raus.
Showzart