Innovative Bautechnik Perspektiven für das Bauen von morgen
Pavillon Landesgartenschau Schwäbisch Gmünd 2014
|
Foto: ICD/ITKE/IIGS Universität Stuttgart
Automobil-, Flugzeug- und Maschinenbau sind ohne computergesteuerte Produktionsweisen nicht mehr denkbar. Industrie 4.0 ist das Stichwort. Weil das Bauwesen dieser Entwicklung hinterherhinkt, kann von Bauen 4.0 noch keine Rede sein.
Die meisten Gebäude werden immer noch mit Methoden errichtet, die schon vor 50 Jahren gängig waren. Erste Versuche, etwa in Japan, ganze Häuser von Robotern bauen zu lassen, blieben im Experimentierstadium stecken. Auch Gebäude aus dem 3-D-Drucker haben bisher nicht überzeugt. Aber der jüngste Bauboom und die Einsicht, dass besonders beim Bauen wegen der damit verbundenen Umweltbelastung Handlungsbedarf besteht, beflügelt gegenwärtig die Forscher auf der Suche nach neuen Baustoffen und Baumethoden.
Der Holzbau wandelt sich vom groben Zimmermannswerk zur Hightech-Industrie. Im Betonbau wird Stahl durch Textilbewehrungen oder durch Carbonmatten ersetzt, was wesentlich schlankeres und leichteres Bauen ermöglicht. Eine Forschergruppe der TU Dresden um Manfred Curbach, Direktor des Instituts für Massivbau, ist führend an der Entwicklung dieses innovativen Baustoffs beteiligt. Mit dem Einsatz des hochleistungsfähigen Carbonbetons kann die CO2-Emission beim Bauen gesenkt und sogar CO2 gebunden werden. Zudem lässt sich der Sandverbrauch mindern, der in manchen Weltregionen bereits ein Problem darstellt.
HygroSkin Pavillon | FRAC 2013 | Foto: ICD Universität Stuttgart
Der Frankfurter Architekt Achim Menges, Professor für computerbasiertes Entwerfen an der Universität Stuttgart, ist ein weiterer Protagonist dieser Bestrebungen. Auch er sucht nach neuen Baustoffen, beispielsweise hygroskopisch aktive Materialien, die ihre Form je nach Luftfeuchtigkeit ändern. Er hat damit einen Pavillon gebaut, dessen Fassaden sich bei Sonnenschein öffnen und bei Feuchtigkeit schließen, ohne Motorkraft und ohne erkennbare Materialermüdung. Gegenwärtig entwickelt er 3-D-Druckverfahren, mit denen man solche „klimareaktiven Bauteile“ synthetisch herstellen kann. Bei der Anwendung dieser Bauweisen sind der Fantasie kaum Grenzen gesetzt.
HygroSkin Pavillon | FRAC 2013 | Foto: ICD Universität Stuttgart
Auch für den Holzbau, dessen technische Entwicklung gegenwärtig einen Quantensprung erlebt, arbeitet er an neuen Ideen. Ein Ausstellungspavillon auf der Landesgartenschau 2014 in Schwäbisch Gmünd demonstrierte eine ungewöhnliche Plattenbauweise, die den Seeigeln abgeschaut ist. Deren Plattenskelett hat raffinierte Verbindungen an den Plattenrändern, die in den Holzbau übersetzt wurden.
Pavillon Landesgartenschau Schwäbisch Gmünd 2014 | Foto: ICD/ITKE/IIGS Universität Stuttgart
Die Erkenntnis, dass die Natur der beste Konstrukteur ist, sowie das Lernen von natürlichen Konstruktionen und Materialien verweist auf den 2015 verstorbenen Architekten und Ingenieur Frei Otto. Wie dieser arbeitet Menges interdisziplinär mit Ingenieuren, Materialwissenschaftlern, Biologen und Computerspezialisten zusammen.
Pavillon Landesgartenschau Schwäbisch Gmünd 2014 | Foto: ICD/ITKE/IIGS Universität Stuttgart
An Frei Ottos Schnur- und Drahtmodelle lässt auch der Elytra Filament Pavilion denken, gezeigt 2016 im Hof des Londoner Victoria and Albert Museums. In Zusammenarbeit mit dem Stuttgarter Ingenieur Jan Knippers entstand die an Elytren (Deckflügel der Insekten) orientierte Struktur. Ein Roboter hat sie auf Rahmen geflochten, wobei sich weiches Glasfibergarn und sehr steife Karbonfiberdrähte in der statischen Tragweise zu einem äußerst stabilen Konstrukt ergänzen.
Die Forscher an den Hochschulen eröffnen ständig neue Wege und Möglichkeiten für das Bauen von morgen. Nun ist es an der Industrie, dieses Potenzial zu nutzen, indem sie die Innovationen zur Marktreife entwickelt und zügig in die Praxis einführt. Daran und an der Anpassung und Aufstellung einschlägiger Normen und Vorschriften mangelt es noch.