Jay Morgan

2009 reiste Jay Morgan das erste Mal in seinem Leben nach Deutschland. Während seines GAPP-Austausches in Berlin, traf Jay auf eine Polka-Jugendband, fand Vertrautes in der Fremde und kam mit einem unerwarteten Gefühl von Freiheit in Berührung. 
 

Jay Morgan © Goethe-Institut New York

Woher kommen Sie, und was machen Sie?
Ich komme ursprünglich aus Austin, Texas, wo ich die Liberal Arts and Science Academy besucht habe, eine Magnetschule in Austin auf dem Campus der LBJ Early College High School. Derzeit lebe ich in Washington, D.C., und arbeite für das Verbindungsbüro Representative of German Industry and Trade (RGIT). Zunächst war ich da in Teilzeit, während ich meinen Master of Arts (MA) in Political Sciences and Government (UNC Chapel Hill) in Berlin absolviert habe, und jetzt bin ich seit August 2021 in Vollzeit bei RGIT in Washington. Ich konzentriere mich auf Beziehungen der deutschen Industrie zur amerikanischen Regierung zum Zweck der Verwaltung des technologiepolitischen Portfolios, das von Künstlicher Intelligenz und Halbleitern bis hin zu Breitband und Datenschutz reicht.

Wann und warum haben Sie am GAPP-Austauschprogramm teilgenommen?
Ich hatte das Glück, dass in meiner Highschool Deutsch angeboten wurde. Es war ein bekannter Bonus, dass man, wenn man diese Sprache wählte, an einem deutschen Austauschprogramm teilnehmen konnte. So reiste ich 2009, als ich 16 war, für drei Wochen nach Deutschland. Im Gegensatz zu Spanisch oder Französisch gibt es sonst nicht viele Möglichkeiten, mit Muttersprachlern zu üben. GAPP bot dies und natürlich die Möglichkeit, das Land auf eine andere Art und Weise zu bereisen und zu erleben, als wenn man Tourist ist.

Wie haben Sie sich Deutschland vorgestellt?  Hat das Land Ihre Erwartungen erfüllt?
Ich stand schon vor meinem Flug in Kontakt mit meinem Austauschpartner Gregor, und wir wurden Brieffreunde, unter anderem deshalb, weil ich Deutsch üben wollte. Er wohnte im ehemaligen Ost-Berlin, was für mich eine weitere Portion ‘Fremdheit’ bedeutete und meine Faszination für die Geschichte der Stadt gleich steigerte. Mit 16 hat man nicht viele Erwartungen. Wir hatten im Deutschunterricht ein paar Filme gesehen. In der Popkultur gab es immer nur Kriegsfilme oder Spionagegeschichten, die sich um Intrigen drehten oder auf den Kalten Krieg anspielten. Als ich 2009 Berlin besuchte, war die Stadt bekannt für die Berliner Mauer und Techno. Aber als wir ankamen, war es eine lebendige, multikulturelle Stadt voller Menschen, die ihren Alltag leben.

Erzählen Sie uns von Ihren Erfahrungen! Wo haben Sie in Deutschland gewohnt?
Das Austauschprogramm in Deutschland dauerte insgesamt drei Wochen. Ich war zwei Wochen bei meiner deutschen Gastfamilie in Berlin, wo ich jede Woche zwei bis drei Tage zur Schule ging. Wir sind auch nach Dresden gefahren. Meine Gastfamilie war sehr liebenswürdig und freundlich, obwohl ich vor meinem Aufenthalt nur zwei Jahre Deutsch hatte. Sie lebten in einem Berliner Stadtteil namens Lichtenberg, in der Nähe der Schule.

Inwiefern war der Unterrichtsstil ähnlich oder anders als an einer amerikanischen Schule?
Der Unterrichtsstil ist weitgehend der gleiche, aber vielleicht mit einem anderen zeitlichen Ablauf. Eine meiner Erinnerungen bezieht sich auf einen Chemie-Kurs, wo wir Reaktionsgleichungen ausgleichen sollten. Obwohl ich das vorher an meiner Highschool schon gelernt hatte und hätte erklären können, wie Reaktionsgleichungen ausgeglichen werden, hatte ich natürlich keine Ahnung, wie die Elemente auf Deutsch heißen. So wurde mir ins Gedächtnis gebrannt, dass ‘hydrogen’ Wasserstoff heißt.

Wählen Sie eine Erinnerung aus Ihrer Zeit, die besonders heraussticht oder an die Sie sich gern erinnern!
Eigentlich sind es zwei! Während ich in Dresden war, hingen einige andere Austauschschüler und ich im Park rum, wie es die meisten deutschen Jugendlichen normalerweise tun, und eine Gruppe von Polka-Musikern kam mit ihren Instrumenten auf dem Rücken auf Fahrrädern angefahren und begann, schwungvolle Polka-Musik zu spielen. Das kam so unerwartet und war zugleich großartig!
Eine andere lustige Geschichte aus meiner Zeit, als ich in Berlin zur Schule ging, ereignete sich im Mathematikunterricht. Ich war gerade mit der Elementarmathematik durch und war mit den Grafiken vertraut, sodass ich der Mathematik folgen konnte - aber nicht dem Deutschen. Da ich eigentlich Sommerferien hatte, war ich nicht übermäßig begeistert davon, Aufgaben machen zu müssen. Der Lehrer kam zu mir und sagte: „Na, willst du nicht mitmachen?“ Und ich, in meinem Texas-Longhorn-T-Shirt, antwortete „Nein, ich komme aus Texas“. Alle fanden das lustig, auch der Lehrer.

Welche Aspekte des deutschen Lebensstils haben Ihnen gefallen?
Wenn man durch Berlin fährt, hat man so ein Gefühl von Freiheit, das schwer zu quantifizieren ist, aber man fühlt, dass man sein kann, wer man sein will. Sich in dieser Atmosphäre zu bewegen, war wirklich befreiend. Es ist ganz einfach, sich in dieser Stadt fortzubewegen, obwohl sie so riesig ist. 
Die ‘Berliner’ sind nicht dafür bekannt, außergewöhnlich freundlich zu sein, aber wenn man einmal eintaucht, herrscht ein Gefühl von Gemeinschaft und ‘Zusammenhalt’. Ich fand Trost in unseren gemeinsamen Werten, die in dem fremden Kontext so vertraut waren. Außerdem muss ich hinzufügen, dass ich schon immer wirklich der ‘deutscheste’ von meinen Freunden war, denn wenn man mir eine Zeit nennt, zu der ich auf einer Party erscheinen soll, bin ich immer der erste. Vielleicht war es für mich deshalb nicht allzu schwer, mich an den deutschen Lebensstil anzupassen.

Wie hat diese Erfahrung im Rückblick Ihren derzeitigen Weg geprägt, persönlich und beruflich?
Auch nach der Highschool blieb ich der deutschen Sprache treu und habe mich weiterhin mit verschiedenen Austauschmöglichkeiten auseinandergesetzt. Während meines Studiums studierte ich im Ausland, genauer gesagt in Berlin. Danach absolvierte ich ein Praktikum beim Deutschen Bundestag. Ich habe dann ein DAAD-Stipendium für meinen M.A. bekommen und arbeite jetzt täglich im deutsch-amerikanischen Kontext. Das GAPP-Programm, meine erste greifbare Erfahrung, hat mir gezeigt, was alles möglich ist. Deutschland wurde durch diese Erfahrung mehr zu einem dreidimensionalen Land. Ich konnte mir nun vorstellen, für längere Zeit in einem fremden Land zu leben, nicht nur als Tourist.
Auf persönlicher Ebene erlebte ich zum ersten Mal in meinem jungen Erwachsenenleben wahre Unabhängigkeit. Aus praktischer Sicht: Wenn man, bevor man den Führerschein hat, in einer amerikanischen Stadt lebt, kann man nirgendwo ohne einen Erwachsenen hin. Aber in einer Stadt wie Berlin mit seinen erstaunlichen öffentlichen Verkehrsmitteln hat man die Freiheit, sich von jetzt auf gleich mit Freunden an anderen Orten zu treffen. 

Welchen Rat würden Sie jemandem geben, der kurz vor dem Beginn des GAPP-Programms steht?
Überwinde deine Angst davor, Fehler zu machen und dich unwohl zu fühlen! Geh das Risiko ein, etwas zu sagen. Es wird deine Erfahrung viel wertvoller machen. Eine Nebenbemerkung: Es ist normal, etwas verwirrt zu sein, was die reservierten Sitzplätze in deutschen Zügen betrifft. Das einzige Mal, dass meine ‘Fremdheit’ auffiel, war im Zug nach Dresden. Es gab eine komplette Fehlkommunikation mit einem frustrierten Deutschen bezüglich der Plätze, die wir reserviert hatten, sodass wir schnell unseren Deutschlehrer um Hilfe bitten mussten.

* Hinweis der Redaktion: Es ist vollkommen normal, wenn einen die Emotionalität deutscher Passagiere beim Thema reservierte Plätze verwirrt :)

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