ERFINDUNGEN: MATERIAL
Gummi vom Feld
Taucheranzug, Autoreifen, Gummidichtungen – mehr als 40 000 Alltagsprodukte enthalten Kautschuk. Dieser wird traditionell aus dem Milchsaft des Kautschukbaums gewonnen. Da die Bäume aber nur in tropischem Klima wachsen, entwickelt der deutsche Chemiker Fritz Hofmann bereits während des Ersten Weltkriegs einen synthetischen Kautschuk. Heute wird Kautschuk – und damit auch Gummi – meist aus Erdölprodukten hergestellt.
Aber auch andere Quellen haben Potenzial: Zum Beispiel der Russische Löwenzahn, dessen Milchsaft ebenfalls Kautschuk enthält. Fraunhofer-Forscher bauen derzeit zusammen mit dem Reifenhersteller Continental eine Pilotanlage, um große Mengen Löwenzahn-Kautschuk zu gewinnen.
» Video: „Naturkautschuk aus Löwenzahn“
Russischer Löwenzahn (Taraxacum koksaghyz) liefert natürlichen Kautschuk
Autoreifen könnten bald das erste industrielle Löwenzahnprodukt sein
Maßgeschneiderter Stahl
Stahl ist nicht gleich Stahl. Eine Turbine muss anderen Kräften standhalten als eine Autokarosserie oder ein Brückenpfeiler. Damit die Bauteile den konkreten Anforderungen gewachsen sind, werden Spezialstähle benötigt. 2 500 verschiedene davon gibt es bereits.
Hauptbestandteil ist immer Eisen. Durch Zugabe von Fremdelementen – Mangan, Nickel oder Chrom – bekommt der Stahl seine besonderen Eigenschaften: Er wird zum Beispiel leichter, stabiler oder lässt sich besser dehnen. Mit Computerprogrammen können Wissenschaftler die Eigenschaften vorab simulieren und optimieren. So werden Turbinen langlebiger, Flugzeuge leichter und Autos sicherer.
Bis vor kurzem glaubten selbst Fachleute, dass bei der Entwicklung von Stahl kaum noch Neues möglich sei. Die innovativen Stähle der deutschen Werkstoffforscher beweisen das Gegenteil.
Legierungen mit verschiedenen Zusätzen verbessern die Eigenschaften von Stahl
Heute wird Stahl für jede Anwendung optimiert, zum Beispiel für Flugzeugturbinen
Carbon in Serie
Helme, Fahrräder, Tennisschläger, aber auch Flugzeuge und Formel-1-Rennwagen sollen möglichst leicht und trotzdem stabil sein. Mit carbonfaserverstärkten Kunststoffen, kurz CFKs, wird das möglich. Der Nachteil: Viele Arbeitsschritte müssen bisher per Hand ausgeführt werden und das macht die Produkte teuer.
Deutsche Materialforscher arbeiten zusammen mit Spezialisten in der Automobilindustrie an neuen Produktionsprozessen, die CFKs sehr viel günstiger machen. Maschinen können die Fasern flechten, formen und mit Harz ummanteln. Die fertigen Teile wiegen nur halb so viel wie Stahl, sind crashsicher und rosten nicht. Ein idealer Werkstoff für sparsame Flugzeuge und Autos – denn mit dem Gewicht sinkt auch der Kraftstoffverbrauch.
Neue Produktionsprozesse machen carbonfaserverstärkte Kunststoffe günstiger
Lotoseffekt
Lotosblätter sind immer sauber – darum gilt die Pflanze in vielen Religionen als Symbol absoluter Reinheit. Der Mythos hat einen wissenschaftlichen Hintergrund: Wasser kann die Blätter nicht benetzen, perlt sofort ab und nimmt den Schmutz mit. Warum, das fand der deutsche Botaniker Wilhelm Barthlott in den 1970er-Jahren heraus: Die Oberflächen der Blätter sind nicht glatt, sondern von Mikrostrukturen überzogen.
Heute nutzen Forscher und Forscherinnen den Lotoseffekt, um spezielle wasser-, öl- und sogar blutabweisende Oberflächen zu entwickeln. Ziel der Wissenschaftler sind selbstreinigende Solarzellen, schmutzabweisende Fensterscheiben und besonders effektive Herz-Lungen-Maschinen.
Auf dem Blatt der Lotosblume findet Wasser keinen Halt
Nanobeschichtete Lacke nutzen den Lotoseffekt: Wasser perlt ab und nimmt Schmutz mit
Kleidung, die mitdenkt
Die Feuerwehrjacke mit integrierter Elektronik – entwickelt in einem Forschungsprojekt der Bundesregierung – kann weit mehr, als nur extremer Hitze standhalten. Im Einsatz meldet sie zuverlässig die Position des Feuerwehrmanns, seinen Herzschlag und seine Körpertemperatur. Und sollte es nötig werden, alarmiert die intelligente Jacke die Einsatzleitung, die dann Hilfe schicken kann.
Doch nicht nur in Notfällen hilft smarte Bekleidung: Ein intelligentes Fitness-Shirt, an dem Fraunhofer-Forscher arbeiten, misst Atmung und Puls. So kann der Sportler sein Training optimieren.
„Intelligente“ Kleidung kann Leben retten
Allgegenwärtiger Kunststoff
Bobby Car, Putzeimer, Rohre, Müllsäcke, medizinische Implantate – vom High-Tech-Produkt bis zum Alltagsgegenstand: Polyethylen ist der am häufigsten genutzte Kunststoff. Es ist äußerst stabil, wird selbst von aggressiven Substanzen nicht angegriffen und hält starken Temperaturschwankungen stand.
Wie sich Polyethylen kostengünstig und schnell herstellen lässt, findet 1953 der Max-Planck-Forscher Karl Ziegler heraus: Ethylen-Gas verwandelt sich bei Zimmertemperatur und normalem Luftdruck in Polyethylen, wenn man bestimmte Metallverbindungen – die Ziegler-Natta-Katalysatoren – zugibt. Erst diese Entdeckung schafft die Voraussetzung für die Massenproduktion.
Die Stabilität des Polyethylens hat jedoch auch Nachteile: Plastiktüten tragen weltweit zu wachsenden Müllbergen bei und belasten die Umwelt. Bis zum Beispiel eine Tragetasche vollständig zerfällt, kann es mehrere hundert Jahre dauern.
Chemie-Nobelpreis 1963: König Gustav VI Adolf von Schweden gratuliert Karl Ziegler (rechts)