Weihnachten aus Sicht einer Schneeflocke  Was würde eine Schneeflocke dazu sagen?

Illustration einer Schneeflocke in der Mitte des Bildes. Rundherum sind kleinere Schneeflocken, Schneemenschen und verschneite Bäume abgebildet.
Illustration einer Schneeflocke Illustration: Tobias Schrank © Goethe-Institut e. V.

Was wäre, wenn Schneeflocken sprechen könnten? In einem Gedankenexperiment haben wir die Natur zum Leben erweckt – und lassen uns den Flug einer Schneeflocke in der Adventszeit von ihr selbst erzählen.

Eigentlich könnte man diesen Beitrag über mich auch gar nicht schreiben. Ich steige als Wasserdampf in den Himmel und falle als Regen wieder zu Boden. Vor allem an Weihnachten bin ich meist eine Regentropfe und keine Schneeflocke. Das hat mit dem „Weihnachtstauwetter“ zu tun – einer der verlässlichsten Witterungen in Deutschland. Zunächst wird es im November immer kälter und die Wahrscheinlichkeit steigt, dass es schneit. Dann aber kommt es oft etwa ab Mitte Dezember zu einem Wetterwechsel. Milde und feuchte Luft aus dem Westen führt zu Regen und Tauwetter.

Schnee an Weihnachten garantiert: Auf der Zugspitze

Schnee an Weihnachten war daher in Deutschland schon immer eine Seltenheit. Und wird aufgrund des Klimawandels immer seltener. Der Deutsche Wetterdienst hat herausgefunden, dass zum Beispiel in München die Wahrscheinlichkeit für Schnee an Weihnachten von 1961-1990 auf 1991-2020 um fast 20 Prozent zurückgegangen ist. In hohen Lagen komme ich als Schneeflocke aber schon noch vor. Wenn ich zufällig gerade über der Zugspitze bin, Deutschlands höchstem Berg, dann ist es sogar zu 100 Prozent wahrscheinlich, dass ich an Weihnachten als Schnee zu Boden falle.
Zwei Karten von Deutschland, die die Entwicklung der Schneefall-Wahrscheinlichkeit an Weihnachten aufzeigen

Die regionale Wahrscheinlichkeit von weißer Weihnachten mit einer Schneedecke an allen drei Tagen vom 24. bis 26. Dezember in Prozent. | Grafik (Detail) © DWD, 2021

Doch manchmal entstehe ich nicht nur über den Bergen, sondern überall in Deutschland. Dafür braucht es kalte, feuchte Luft auf Wolkenhöhe und einen Kondensationskeim. Ein solcher Keim ist meist ein winzig kleines Staubpartikel in der Luft. Wasserdampf kondensiert an dem Keim und durch die Struktur der Wassermoleküle entsteht – wie aus dem Nichts – ein wunderschöner sechseckiger Schneekristall.

Es dauert keine Stunde, bis ich zu einem Schneekristall werde. Und dann falle ich Richtung Boden. Damit ich als Schnee lande, muss die Temperatur auf meinem Weg konstant kalt sein. Auf dem Weg nach unten treffe ich meist auf andere Schneekristalle, an denen ich bei wärmeren Temperaturen kleben bleibe und eine dicke Schneeflocke bilde. Dabei bricht manchmal eines meiner sechs Ecken ab.

Als Schnee zu Boden zu schweben, mag ich am allerliebsten. Regen ist 20km/h schnell und Hagel bringt es im Sinkflug sogar auf über 100km/h. Das ist zwar spaßig, aber ich schaue der Welt gerne in Ruhe von oben zu. Als Schneeflocke bin ich kaum schneller als 4km/h. Das entspricht dem gemütlichen Spaziergang eines Menschen. Je nach Wolkenhöhe kann es Stunden dauern, bis ich auf Straßen, Wiesen und Gärten ankomme.
Wald, ein breiter Fluss und einige kleine Häuschen von oben im Winter. Alles ist mit Schnee bedeckt. Schneeflocken sind in der Luft.

Die Aussicht einer Schneeflocke von oben. | Bild (Detail) © mauritius images / David Kashakhi / Alamy / Alamy Stock Photos

Schon einmal eine Schneeflocke konserviert?

Auf dem Weg nach unten schaue ich mir manchmal die Skigebiete an. Und ich sehe „Schneekanonen“. Ein irreführender Name, denn Schneekanonen produzieren keinen Schnee. Sie produzieren kleine Kügelchen aus gefrorenen Wassertropfen. Ich habe gehört, dass einige Menschen lieber auf echtem Schnee Ski fahren als auf Kunstschnee. Wahrscheinlich macht es mehr Spaß, wenn die Landschaft rund um die Pisten in weiße Farbe getaucht ist, und der Schnee glitzert und funkelt. Das Glitzern entsteht durch Sonnenstrahlen, die von Schneekristallteilen reflektiert werden.

Wenn wir Schneekristalle auf dem Weg zum Boden unsere sechseckige Struktur behalten, glitzern wir besonders schön. Das ist der perfekte Zeitpunkt, um uns zu sammeln und zu konservieren. Die Physikerin Helene Hoffmann und ihr Mann Thomas Hoffmann können das Schneeflocken-Konservieren besonders gut. Kein Wunder. Die beiden haben schließlich in der Antarktis überwintert und hatten viel Zeit, sich mit uns Schneeflocken auseinanderzusetzen. Mit Sekundenkleber, Glasplättchen und viel Geduld haben sie es geschafft, die schönsten Schneekristalle für immer zu bewahren. Auch Schneekristalle aus den Alpen haben die beiden in ihrer Sammlung.
Detailaufnahme von fünf verschiedenen konservierten Schneeflocken

Schneeflocken aus den österreichischen Alpen, gesammelt am Wöllaner Nock / Arriach, Februar 2022 | Bild (Detail) © Hoffmann

Wintereinbruch und Schneechaos – Was Schnee alles kann

Ich kann die Faszination gut verstehen. Wenn ich die anderen Schneeflocken während meines Fluges betrachte, bin ich stets aufs Neue beeindruckt. Allerdings können wir auch ein ziemliches Chaos anrichten. An manchen Tagen sind wir zu viele oder fallen plötzlich in Gebieten zu Boden, wo niemand auf Schnee vorbereitet ist. Menschen, Tiere und Pflanzen sind dadurch manchmal überfordert. Dieses Phänomen hängt auch mit dem Klimawandel zusammen: An manchen Orten schneit es fast gar nicht mehr, an anderen so viel, dass sich eine dicke Schneedecke bildet.

Ob ich mit den anderen Schneeflocken zusammen zur Schneedecke werde, kommt auf Temperatur und Luftfeuchtigkeit drauf an. Bei Temperaturen unter 0 Grad und nicht zu trockener Luft ist es wahrscheinlich, dass ich nicht sofort schmelze oder als Gas wieder Richtung Himmel steige. So können wir Schneeflocken den Boden isolieren, was für die Pflanzen oft eine sehr gute Sache ist.
 
Ein mit Schnee bedecktes Dorf bei Nacht. Die Fenster leuchten gelb. Alles ist in warmes Licht getaucht.

Schnee in Deutschland bei Nacht | Bild (Detail) © mauritius images / Patrick Eichler

Wenn ich länger liegen bleibe, nehme mir meistens die Zeit, mich umzusehen. Besonders Papier-Schneeflocken an den Häuserfenstern fallen mir auf. Ich frage mich dann, ob in den Häusern Kinder wohnen, die sehnsüchtig auf uns gewartet haben und Schlitten fahren wollen. Es ist schön, Menschen eine Freude zu bereiten. Ich werde daher versuchen, die warmen Temperaturen an den Feiertagen zu überstehen. Mit Blick auf die lichterdurchfluteten geschmückten Fenster, hinter denen bald das Weihnachtsfest gefeiert wird – ein ziemlich schöner Gedanke, finde ich.

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