Sprache und Umwelt  Wie wir über unsere „Umwelt“ sprechen

Auf dem Bild sieht man eine Illustration. In der Mitte des Bildes ist ein Fluss zu sehen mit Enten und Schwänen. Auf einer Seite des Flusses sieht man Stadt und Radfahrer, auf der anderen Seite Natur, Bäume, Schmetterlinge usw. Illustration © mauritius images / Ikon Images / Sam Brewster

Wir halten Haustiere, essen Nutztiere, reißen Unkraut aus und verknüpfen Wärme mit etwas Angenehmen. Lena Maurer über Sprache, die unsere Wahrnehmung über die Natur verändern kann.
 

Im Mittelalter war sie ein Star: Die Echte Mispel – ein anspruchsloser Strauch, der viel Licht und Sonne braucht und dessen Früchte im späten Herbst geerntet werden. Mönche pflanzten sie in Klostergärten und sogar Shakespeare erwähnte den Mispelstrauch in Romeo und Julia.

Trotz dieser beeindruckenden Historie war ich irritiert, als ich kürzlich ein Glas Mispelmarmelade geschenkt bekam. Ich konnte mit dem Begriff „Mispel“ nichts anfangen, wusste nicht, wie sie schmeckt oder wie ein Mispelstrauch aussieht. Kein Wunder. Denn als die Mispel im Laufe der Jahrhunderte von anderen Obstsorten verdrängt wurde, verschwand nicht nur der Strauch von den Feldern – mit ihr verschwand auch der Begriff aus dem Alltagsgebrauch und damit die Vorstellung von der Pflanze generell.

So ist das mit der Sprache. Sie verändert sich im Laufe der Zeit und spiegelt das wider, was gerade wichtig ist. Auch im Duden kommen mit jeder neuen Auflage aktuelle Wörter dazu, während veraltete oder ungebräuchliche Wörter verschwinden. 2020 wurde neben der „Durchimpfungsrate“ (und 2999 weiteren Wörtern) auch das Wort „Klimanotstand“ in den Duden aufgenommen. 2024 kam der Begriff „Extremwetterereignis“ dazu. Die Gesellschaft schafft neue Wörter, nutzt sie, solange sie relevant sind, und vergisst sie, wenn sie ausgedient haben.

Von der Umwelt zur Mitwelt

Ganz so passiv wie die Mispel aus unserem Alltagsbewusstsein verschwand, muss das nicht immer geschehen. „Sprache spiegelt die Realität nicht passiv wider, sondern schafft sie aktiv”, sagte einst Sprachwissenschaftler Michael Halliday. Er zeigte, dass Sprache unsere Vorstellungen von der Natur prägt. So verbinden wir zum Beispiel Wachstum und Größe mit etwas Positivem, während Klein sein negativ konnotiert ist, und heben uns durch Sprache von unserer „Umwelt“ ab.

Auf Grundlage dieser Ideen entstand der Forschungszweig der Ökolinguistik. Linguist*innen erklärten, dass es einen Unterschied macht, wie wir mit Tieren umgehen, wenn wir sie in Nutz-, Versuchs- und Haustiere kategorisieren. Und dass die Unterteilung von Unkraut und Kraut dazu führt, gewisse Pflanzen aus der Erde zu reißen und andere zu pflegen. Einige Linguist*innen schlagen daher vor, aus dem Wort „Umwelt“ das Wort „Mitwelt“ zu machen – und uns so nicht mehr als Beobachter*innen und Herrscher*innen, sondern als Teil der Natur begreifen.

Wärme oder Hitze?

Die Diskussion um Begriffe wie „Erderwärmung“ oder „Erderhitzung“ hat gezeigt, dass bestimmte Wörter auch im Kontext der Klimakommunikation unterschiedliche Assoziationen hervorrufen können. Wir verbinden das Wort „warm“ mit etwas Angenehmen und verknüpfen „Hitze“ mit Durst und Abkühlung. Um der „Klimakrise“ auch in den Medien gerecht zu werden, hat der Guardian 2019 daher beschlossen, auf Worte wie „globale Erwärmung“ zu verzichten und stattdessen „globale Erhitzung“ zu verwenden. Und auch die TAZ empfiehlt ihren Redakteur*innen seit 2020, „klimagerechte Sprache“ zu benutzen.

Ob das an Manipulation grenzt? An der Stelle meine Meinung: Keineswegs. Letztlich verknüpfen wir jedes Wort automatisch mit Vorerfahrungen und ordnen gerne in Schubladen ein. Sich neutral auszudrücken, ist nahezu unmöglich. Dennoch ist das Ganze mit Vorsicht zu genießen. Bei der Wahl zwischen „Klimaerhitzung“ und „Klimaerwärmung“ denke ich darüber nach, wie ich Wissen angemessen transportieren kann. Wenn Klimaaktivist*innen, die sich an Straßen festkleben, in Medien als „Klimakleber“ bezeichnet werden, dann stellt sich aber auch die Frage, was damit ausgesagt werden soll. Beschreibt der Begriff eine Aktivität (Aktivist*innen, die sich an die Straße kleben) oder handelt es sich um eine abwertende Bezeichnung? Sich immer wieder solche Fragen zu stellen, kann helfen. Frei von Vorurteilen ist man trotzdem nicht.

Und so staune ich darüber, wie sehr es mich prägt, wenn ich über Begriffe wie Kraut und Unkraut nachdenke. Oder was in meinem Kopf passiert, wenn ich über ein unbekanntes Objekt – eine Mispel – stolpere und erst einmal alles daran setze, diese Frucht in eine Schublade zu stecken.

Nach eingehender Mispel-Recherche bin ich übrigens zum Schluss gekommen, dass der Strauch in meinem künftigen Garten blühen soll – und hoffentlich dazu beiträgt, dass die Mispel im alltäglichen Sprachgebrauch und in den Köpfen der Menschen ein Comeback erlebt. Da der Strauch widerstandsfähig gegen Trockenheit ist und zudem heimischen Insekten eine Nahrungsquelle bietet, ist das angesichts der „Klimakrise“ eine ziemlich gute Idee.

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