Künstler*innen in Quarantäne  Schriftstellerin Uršula Kovalyk

Schriftstellerin Uršula Kovalyk - Teaser Foto: © privat

„Für die Zukunft sehe ich schwarz“

Schriftstellerin Uršula Kovalyk Foto: © privat Die Situation, in die wir hineingeraten sind, blockierte mich buchstäblich beim Schreiben meines neuen Buches. Ich kann mich nicht auf meine Gedanken konzentrieren, weil sie zu sehr mit den Problemen beschäftigt sind, die wir aufgrund des Coronavirus durchleben. Alles, worüber ich schreiben wollte, erscheint mir unwichtig, ja gar unbedeutend.

Ich habe Angst, ständig desinfiziere ich irgendetwas, mein Tagesrhythmus hat sich komplett verändert. Meine 13-jährige Tochter geht nicht zur Schule, sie lernt zu Hause, deshalb ist mein Computer häufiger besetzt. Die künstlerische Arbeit mit unserem Theater Divadlo bez domova (deutsch: Theater ohne Zuhause) steht still. Wir mussten die Proben für die neue Aufführung absagen und ich weiß nicht, ob wir es dieses Jahr überhaupt schaffen, das neue Stück zu proben und aufzuführen. Ich mache mir Sorgen, dass unser Schauspielteam auseinanderfällt oder ob unsere obdachlosen Schauspieler und Schauspielerinnen überleben. Manchmal gehe ich ins Theater, fülle es wieder ein bisschen mit Leben, putze, sortiere Kostüme.

Außerdem versuche ich, jeden Tag Jogaübungen zu machen, ich lese, unterhalte mich mit meiner Tochter, gehe mit unseren Hunden spazieren und vergrößere den Garten hinter dem Wohnblock, in dem wir leben. Musik beruhigt mich, viel gute Musik. Manchmal mache ich mit Patrik zusammen Musik, er trommelt auf der Cajón und ich auf der Schamanentrommel. Gemeinsam kochen wir Gerichte, für die wir früher nicht die Zeit hatten. Wenn es warm ist, sitzen wir auf dem Balkon und denken an die Freunde in England und New York.

Die Corona-Pandemie würde ich mit dem Anfang eines dystopischen Films vergleichen. Ich betone das Wort Anfang, denn die wahren Katastrophen infolge des Klimawandels kommen erst noch auf uns zu. Als ich vor kurzem abends auf dem Balkon saß, fielen von der Magnolie rosa Blütenblätter ab. Wunderschön und wie in Zeitlupe. Irgendwo war aus dem Fernseher eines Nachbarn eine Stimme zu hören, die über die weltweite Zahl der Corona-Toten sprach. Das romantische Abfallen der Blütenblätter nahm plötzlich eine ganz andere Dimension an. Ich spürte darin eine immense Brutalität, irgendeine nackte Wahrheit, die wir bei unserer Jagd nach wirtschaftlichem Wachstum vergessen haben. Wir sind sterblich und wenn wir tot sind, werden auch weiter Blütenblätter von der Magnolie fallen. Die Natur wird auch ohne uns existieren, wird sind für sie vollkommen unwichtig.

Und was sind für mich die Vorteile der Krise? Zum Beispiel die deutlich geringere Zahl von Autos in der Großstadt. Plötzlich ist es angenehm, zu Fuß durch die Straßen zu gehen, es sind nicht haufenweise Touristen in der Stadt, man hört den Gesang der Vögel, man kann in Bratislava mit dem Fahrrad umherfahren. Ich denke, die Menschen in den Großstädten haben bemerkt, wie wichtig die Natur ist, die Parks, freie Grünflächen, wo wir uns nicht eng aneinander vorbeidrängeln müssen. Wir stellen fest, dass es erbärmlich wenige davon gibt, dass wir alles vollgebaut haben mit nutzlosen Parkplätzen und Einkaufszentren. Als positiv sehe ich auch die Solidarität an, die zwischen den Menschen entsteht, verschiedene wohltätige Sammlungen für die am stärksten gefährdeten Gruppen der Gesellschaft, Spenden von Lebensmitteln, Medikamenten und verschiedenen Sachen, die wir übrig haben. Bisher. Ich fürchte mich auch vor der kommenden Wirtschaftskrise. Immer trifft es die Menschen aus den Randgruppen am schlimmsten. Während die Reichen etwas ärmer werden, sterben die Armen vor Hunger.

Ich bin mir nicht sicher, ob bei dieser Pandemie auch die Reichsten und Mächtigsten lernen, Ressourcen zu teilen, sorgsam mit anderen Menschen und der Natur umzugehen. Ich denke, wir stehen an einem Scheideweg. Ich bin wirklich gespannt, ob wir uns besinnen, bescheidener werden und den Weg hin zur Erhaltung des Lebens auf unserem Planeten einschlagen, oder den Weg des aggressiven kapitalistischen Wachstums, das uns schließlich tötet.

Die Kunst im Internet nehme ich als großartige Alternative zum Fernsehen wahr. Für jeden ist etwas dabei. Das Bedürfnis, Kunst mit anderen zu teilen, ist immer noch genauso stark. Vielleicht sogar stärker als vorher. Dem Online-Theater fehlt jedoch das, was ich während einer richtigen Aufführung fühle, eine Art Magie, ein gemeinsames Durchleben der Emotionen, die das Stück dem Publikum im Saal übermittelt. Es ist wirklich anspruchsvoll, ein Theaterstück aufzunehmen, weil es oft zu einem Film wird. Für mich ist das nicht so eine unglaubliche Erfahrung, wie Schauspieler und Schauspielerinnen live zu sehen und zu hören, zum Beispiel in unserem Theater. Ein winziger unsichtbarer Virus hat alles stillgelegt. Viele Schauspieler des Divadlo bez domova haben gesundheitliche Probleme und eine verminderte Immunität, weshalb sie geschützt werden müssen. Wir kommunizieren nur telefonisch oder über soziale Netzwerke miteinander. Einige hatten von einem Tag auf den anderen kein Einkommen mehr, weshalb wir versuchen, sie zu unterstützen, so als ob wir noch proben und spielen würden. Wir verzweifeln nicht und hoffen sehr, dass die Theater im September endlich wieder geöffnet werden und wir wieder arbeiten können.

Was Bücher betrifft, so würde ich mich gern irren, aber ich denke, dass viele Verlage und Buchhandlungen durch die Wirtschaftskrise erfasst werden, die sich langsam aber sicher entwickelt. Viele von ihnen haben keine finanziellen Reserven, sie leben von dem, was sie verkaufen und wenn sie Gelder für die Herausgabe von Büchern aus anderen Quellen beschaffen können. Ich denke, es werden weniger Bücher herausgegeben und der Markt verlangsamt sich. Weniger Titel erscheinen und Antiquariate erleben eine Renaissance. Möglicherweise werde ich nie wieder ein Buch veröffentlichen können und möglicherweise werde ich mit so schwierigen Situationen konfrontiert, dass mir kein Raum mehr zum Schreiben bleibt. In diesen Zeiten bin ich dankbar, dass ich das Glück hatte, so frei schreiben und kreativ tätig sein zu können, aber ich persönlich sehe die Zukunft in schwarzen Farben.

Slowakische Künstler*innen über ihre Quarantäne