Künstler*innen in Quarantäne  Rapper und Musiker Lyrik H

Raper a muzikant Lyrik H Foto: © Miro Nôta

„Mein Schaffen verändert sich, wenn sich alles um mich herum verändert“


Rapper und Musiker Lyrik H Foto: © Miro Nôta
In diesen Tagen arbeite ich genauso intensiv wie vor der Quarantäne. Mit Bene, Roland Kánik und Peko arbeiten wir unter dem Namen Modré hory (deutsch: Blaue Berge) an neuen Tracks. Anders ist, dass unsere Konzerte ausfallen. Auch deshalb haben wir beschlossen, unseren Fans jeden Monat einen neuen Track und verschiedene zusätzliche Inhalte anzubieten. Und zwar für ein paar Euro über das Portal Patreon. Da haben wir unseren ersten Song mit dem Titel Zdravas zum Download angeboten.

Kurz vor der Krise kam noch der Song Pohybliví v nehybnom (deutsch: Beweglich in der Bewegungslosigkeit) der Gruppe Le Payaco raus, für den ich den Text geschrieben habe.

Und Zeit? Hatten und haben wir nicht. Meine Frau Zuzka ist Architektin und ebenfalls selbständig. Wir haben keine feste Stelle. Wir arbeiten für Kunden, Projekte und vor Corona hatte ich Konzerte. Wir arbeiten zu Hause, aber wir haben zwei kleine Söhne. Albert ist fast zwei und Artur vier. Und wir haben noch eine elfjährige Hündin namens Kuki Taishó. Solange die Jungen klein sind, möchten wir ihnen so viel Zeit und Aufmerksamkeit widmen, wie nur möglich. Wir wollen sie nicht vor dem Fernseher parken, den wir sowieso nicht haben.

Vor Corona war zumindest Artur im Kindergarten. Wir hatten mehr Möglichkeiten, unsere Zeit so effektiv wie möglich für die Arbeit zu nutzen. Jetzt ist es etwas schwieriger. Wir arbeiten in den stillen Momenten, zum Beispiel, wenn die Kinder schlafen oder einer von uns die Betreuung allein übernimmt. Und Kuki braucht natürlich auch Pflege und Auslauf. Unsere Leben sind in eine Phase eingetreten, in der wir uns intensiv um unsere Lieben kümmern und mit der Coronakrise hat sich das alles nochmals intensiviert.

Mein Schaffen verändert sich immer in Abhängigkeit davon, wie sich alles um mich herum verändert, und wie auch ich mich verändere. Jetzt, wo wir mit Modré hory an neuen Songs arbeiten, erlaube ich mir die Behauptung, dass es wieder anders ist, als beim vorherigen Album Luxus Clan, das wir vor drei Jahren herausgebracht haben. Ich spüre auch bei Bene, Peko und Roland, dass jeder von ihnen sich irgendwohin bewegt hat.

Ich betrachte die Coronakrise in erster Linie unter dem Gesichtspunkt der globalen Klimakrise und gleichzeitig unter dem Gesichtspunkt der inneren menschlichen Krise – der spirituellen, ethischen oder psychologischen Krise. Je nachdem, wie man es nennt, denn das Eine beeinflusst das Andere. Die sonstige Situation wurde bereits von zahlreichen Analysten und Analystinnen zusammengefasst, die das viel besser können als ich. Diese Krise hat und wird viele Opfer haben. Besonders unter den Schwächsten.
 


Die Tatsache, dass es schwierig wird, ist für jeden von uns eine große Chance, tief in sich zu spüren, dass wir eine Welt und eine Menschheit sind. Dies ist ein Ausgangspunkt, der es uns ermöglichen kann, von der utilitaristischen Plünderung der Erde zu einer um einiges größeren Sensibilität und sozialen Verantwortung zu gelangen. Damit meine ich auch die Verantwortung für unser eigenes Verhalten als Verbraucher von Waren und Dienstleistungen, und, wie sensibel wir für bestimmte politische Haltungen und Firmen sind – ob sie beispielsweise grün wie Windräder und Photovoltaik sind, oder schwarz wie Kohle und Öl.

Es werden nun Zeiten kommen, in der alle grundlegenden Schritte von der Menschheit gemeinsam unternommen werden müssen. Ich wünschte, wir könnten diese Chancen so gut wie nur möglich nutzen. Ich sehe auch mögliche positive Folgen dieser Krise: Einflussverlust nationalistischer und religiöser fundamentalistischer Populisten, Aufstieg von Wissenschaft, Ethik oder ein Aufschwung verantwortungsbewusster Unternehmen oder Gemeinschaftsorganisationen.

Die aktuelle Situation wirkt sich auch auf das Leben vieler Künstler aus, vor allem in Kammertheatern und ähnlichen Berufen, vom Beleuchter bis hin zum Fotografen. Deren Verluste müssen unbedingt finanziell aufgefangen werden. Dann gibt es die Künstler und Künstlerinnen im Mainstream, die durch den Ausfall von Konzerten und anderen Aufträgen finanziell nicht belastet sind, auch wenn es noch einige Jahre so weiter geht. Und dann gibt es unabhängige Künstler, denen es eine Zeit des Wohlstands, die Bereitschaft der Menschen, für Konzerte und Musik zu bezahlen, ein funktionierendes Stipendiensystem, Clubs und andere Institutionen ermöglichten, irgendwie ein halbwegs zufriedenes Leben zu leben und sich auf ihr Kunstschaffen zu konzentrieren.

Am härtesten trifft diese Krise die Künstler und Künstlerinnen, die Monat für Monat von der Hand in den Mund leben und sich sagen, dass es ihre Identität ist, freischaffender Künstler zu sein. Die könnten jetzt größere materielle und psychologische Schwierigkeiten erleiden, Ängste und das Gefühl der Sinnlosigkeit. Aber auch dieser Zustand kann zum Guten gewendet werden, wenn er in ihnen eine neue Flexibilität und den Willen weckt, sich neuen Herausforderungen zu stellen. Idealerweise entstehen dabei auch noch stärkere Kunstwerke.
 


Und dann gibt es noch Leute wie mich, die alles und nichts gleichzeitig machen. Glücklicherweise habe ich mir vor Jahren gesagt, dass ich nie hauptberuflich Künstler sein und immer auch die beruflichen Fähigkeiten ausbauen möchte, die ich während meiner Ausbildung und in der Praxis erworben hatte. In meinem Fall verdiene ich meinen Lebensunterhalt als freiberuflicher Berater mit Journalismus und Öffentlichkeitsarbeit. Meine Bedingung ist aber, dass es sich immer um ethisch saubere Projekte handeln muss. Obwohl mein Einkommen durch die Absage von Konzerten um die Hälfte gesunken ist, können wir zum Glück immer noch überleben.

Einige Künstler haben möglicherweise Angst, dass sie vergessen werden oder verschwinden. Das, was sie als ihre tiefe Identität betrachteten, könnte zusammenbrechen und erlöschen. Bei einigen ist es anders sie möchten ihren Lieben einfach mit einem Online-Konzert oder einer Online-Lesung eine Freude machen, auch wenn nur 30 Leute zuschauen und der Klang üblicherweise schlecht ist. Letztens habe ich mich zum Beispiel über den Dichter Peter Brezňan gefreut, der auch seine allerneuesten Sachen rezitierte, oder die Schauspielerin Zuzana Fialová, die wunderbar aus Pippi Langstrumpf vorgelesen hat. Na, und dann gibt es die ganz Großen wie Meky Žbirka, dessen Online-Konzert von 10.000 Leuten verfolgt wurde. Krass!

Diese Krise erschüttert jeden. Die Folgen sind jedoch individuell. Vielleicht können wir Ende des Sommers schon wieder auftreten, vielleicht aber auch erst nach dem nächsten Sommer. Vielleicht gibt es im Herbst einen Impfstoff und ab dem neuen Jahr finden wieder Veranstaltungen im Lunapark statt. Vielleicht wollen die Menschen aber auch so nicht mehr zu Konzerten gehen oder sie haben einfach nicht das Geld dafür und der Eintritt ist symbolisch, wodurch die Honorare der Künstler sinken. Vielleicht entwickeln viele Künstler einen Selbsterhaltungsreflex und ein Hintertürchen im Sinne alternativer Verdienstmöglichkeiten, falls sich eine derartige Situation wiederholen sollte. Vielleicht entstehen jetzt in Künstlerwohnungen beachtenswerte Werke und vielleicht ist einigen die Kunst nach dieser Erfahrung egal und sie bleiben lange Zeit untätig.

Slowakische Künstler*innen über ihre Quarantäne