Rollenwechsel  In den Krieg: Geschichten ukrainischer Soldatinnen

In den Krieg: Geschichten ukrainischer Soldatinnen Illustration: Tetiana Kostyk

Journalistinnen, zivilgesellschaftliche Aktivistinnen und Sportlerinnen greifen jetzt zu den Waffen, um sich gegen die russische Aggression zu wehren. Nach Angaben des ukrainischen Verteidigungsministeriums gibt es knapp 46.000 Soldatinnen in der Armee (Stand Januar 2024 – zum Vergleich: 2014 waren es 16.500). Mehr als 13.000 haben den Status von Kombattantinnen. Mehr als 4.000 von ihnen sind direkt an der Front im Einsatz.

Olena. Kampfsanitäterin

Olena Scharhowska, ehemalige Journalistin im Kulturressort und jetzt Kampfsanitäterin in der Internationalen Legion der Streitkräfte der Ukraine mit dem Codenamen Jane, hat vor dem Krieg mit Texten gearbeitet – Zeitungsartikel, PR, Nachrichten und Redaktion. Aber es war kein Zufall, dass sie sich für den medizinischen Bereich in der Armee entschied. Sie hat keine Angst vor Blut und ist sehr stressresistent.
 
Die Soldatin Olena Scharhowska, Codename Jane, ist die ranghöchste ihrer Einheit. Hier mit ihrer Katze Frida.

Der Arbeitstag von Olena Scharhowska hat keinen festen Anfang, geschweige denn ein Ende. Ihre Aufgaben umfassen Dutzende von Funktionen: von der Kontrolle der medizinischen Ausrüstung der Soldat*innen vor ihrem Einsatz über die Ausbildung in Erster Hilfe bis hin zur Evakuierung von Verwundeten aus den Stabilisierungszentren, jedoch nicht vom Schlachtfeld. Das kann Olena aus zwei Gründen nicht: Zum einen ist sie körperlich nicht stark genug, um Verwundete zu tragen. Zum anderen ist sie Sanitäterin in einer Kampfgruppe – also eine Kämpferin, die wie alle anderen in den Kampf zieht. Sie hat aber im Gegensatz zu den anderen mehr medizinische Kompetenzen.

Olena macht keinen Hehl daraus, dass der Dienst in der Armee nicht einfach ist. Vor allem psychisch. Sie hat 11 Monate – von September 2022 bis August 2023 – gebraucht, um sich für eine freiwillige Mobilisierung zu entscheiden. Und das, obwohl sie schon vor der großen Invasion medizinische Kampferfahrung hatte.

„Der Abschied von der Freiheit fällt schwer, und jetzt, wo niemand weiß, wann und wie der Krieg enden wird, wird die freiwillige Mobilisierung als Einbahnstraße empfunden. Die Rückkehr ins zivile Leben erscheint wie ein Gespenst. Aber während meines Dienstes in der Armee bin ich viel selbstbewusster geworden. Ich bin das ranghöchste Mitglied in meiner Einheit, das heißt, ich muss Entscheidungen treffen, von denen das Leben der anderen abhängt. Ich muss die Soldat*innen ausbilden, weil es notwendig ist, und ich merke schon, dass es mir jetzt viel leichter fällt, obwohl ich früher das Unterrichten gehasst habe. Jetzt bin ich eine Anführerin. Ich habe mich von der ‚Ich bin schwach‘-Mentalität befreit, weil ich so oft Entscheidungen treffen und selbstständig handeln musste“, erklärt Olena.

Motiviert wird sie auch durch die Ergebnisse ihrer täglichen Arbeit. „Das Ergebnis journalistischer Arbeit bleibt oft unklar. Aber hier ist alles eindeutig: Der Mann, den du evakuiert hast, ist wieder im Dienst. Manchmal ist es auch umgekehrt. Angeblich hat man alles gelernt, alles war klar, aber wenn es drauf ankommt, ist der Soldat verwirrt. Dann musst du wieder alles erklären“, erzählt Olena.

Der Abschied von der Freiheit fällt schwer, und jetzt, wo niemand weiß, wann und wie der Krieg enden wird, wird die freiwillige Mobilisierung als Einbahnstraße empfunden.“

Olena. Kampfsanitäterin

Sie sagt, sie habe im Krieg den Überblick über die Tage verloren. „Das Konzept der Wochentage hat dort keine Bedeutung. Auch nicht die Tageszeit. Die Armee orientiert sich an den visuellen Zeichen des Tages. Zum Beispiel gehen die Gruppen nachts in den Kampf und kommen morgens zurück – in „Grau“.

Die Ausbildung findet in „Weiß“ statt, also tagsüber. „Wir sind hier wie Tiere – es gibt Licht und es gibt Dunkelheit. Aber ich habe beschlossen, dass ich nicht länger als bis zum Ende des Krieges hier bleibe. Obwohl ich keine genaue Vorstellung davon habe, wie das sein wird. Vielleicht werde ich mich nach dem Krieg in Erster Hilfe weiterbilden. Das wollte ich schon vor zehn Jahren, aber ich habe es aufgeschoben. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt dafür“, sagt Olena.

Was sie seit der Invasion und ihrem Dienst in der Armee am meisten vermisst, ist die Freiheit zu reisen, sagt sie. Das sei ein subjektiver und egoistischer Wunsch. Denn allgemein betrachtet, fehle allen jetzt eigentlich das Gefühl von Ruhe und Sicherheit. Aufgrund des Krieges fehlt dieses Gefühl jedoch überall in der Ukraine, nicht nur an der Front.

Nach ihrem Militärdienst hat Olena nicht vor, in ihre frühere Arbeit mit Texten zurückzukehren. Sie möchte etwas mit ihren eigenen Händen tun – vom Pflanzenanbau über die Landwirtschaft bis hin zur Führung eines eigenen kleinen Unternehmens oder der Arbeit als Krankenschwester in einem Krankenhaus. „Aber das kommt irgendwann später. Jetzt bin ich Soldatin und das hat Vorrang“, sagt sie.

Iryna. Presseoffizierin

Iryna Rybakova (Codename Ryba) ist Presseoffizierin in einer der kampfstärksten Brigaden der ukrainischen Streitkräfte, der 93. Separaten Mechanisierten Brigade „Cholodnyj Jar“. Vor dem Krieg, der 2014 begann, war sie in Zivil tätig, in den Bereichen Medien und Kommunikation für eine NGO, die sich dem Kampf gegen Korruption widmete. Ihre Laufbahn als Presseoffizierin begann im Sommer 2017. Lange Zeit wurde Iryna der Eintritt in eine Armeebrigade verwehrt – aus dem einfachen Grund, dass es keine separaten Unterkünfte für Frauen gab. Zu Beginn ihres Dienstes in der Armee erschienen ihr zwei Dinge beängstigend: Erstens wusste sie nicht, was Krieg ist und wie er wirklich aussieht. Und zweitens fiel es ihr schwer, ihren Willen und ihre Entscheidungsfreiheit aufzugeben.
 

Und es gab viel, wovon man sich verabschieden musste. In ihrem Vorkriegsleben fuhr Iryna viele Jahre lang Rollschuh und legte nachts manchmal sogar 100 Kilometer durch die Straßen der ukrainischen Hauptstadt zurück. Sie begeisterte sich auch für Speedskating und nahm sogar am Berlin-Marathon teil. „All das musste ich aufgeben, als ich zur Armee ging. Denn seltsamerweise ist die Armee dem Sport nicht gerade förderlich, wenn er nicht direkt mit dem Beruf zu tun hat. Manchmal muss man regelrecht darum kämpfen, joggen zu dürfen. Man muss die Zeit finden, die Gelegenheit, sogar die Dusche danach. Deshalb fehlt mir regelmäßiger Sport sehr“, gibt sie zu.

Als ich den Krieg zum ersten Mal sah, war er nicht so, wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Endlose Schießereien, Explosionen... Es war etwas Ähnliches, aber die Angst war weg.“

Iryna. Presseoffizierin

Solche Schlussfolgerungen kann sie jetzt, nach sieben Jahren Dienst, für ihr Leben ziehen. Zu Beginn ihres Wehrdienstes, hatte sie große Angst vor dem Krieg, von dem sie nichts wusste. „Ich erinnere mich an das erste Mal, als ich in die Stadt Kurachowo [eine Kleinstadt in der Oblast Donezk – Anm. d. Red.] musste, die damals absolut friedlich war. Ich wusste das nicht und hatte große Angst, wohin ich überhaupt kommen würde, was passieren würde... Ich war sehr überrascht, als ich sah, dass die Menschen ihr normales, friedliches Leben führten“, erinnert sich Iryna.

Ähnlich erging es ihr, als sie zum ersten Mal das Dorf Pisky, ebenfalls in der Oblast Donezk, besuchte. Damals lag das Dorf praktisch an der Frontlinie und es herrschte Krieg. „Ich dachte: ‚Oh mein Gott, das ist Krieg, wohin gehe ich überhaupt?‘ Unser Auto hatte gerade eine Panne, wir mussten die Reise um einen Tag verschieben, und ich dachte: ‚Oh, das ist ein Zeichen, dort könnte mir etwas zustoßen.‘ Aber am nächsten Tag kamen wir an, und als ich den Krieg zum ersten Mal sah, war er nicht so, wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Endlose Schießereien, Explosionen... Es war etwas Ähnliches, aber die Angst war weg. Und dann habe ich mich einfach daran gewöhnt“, erinnert sie sich.

Die Entscheidung, ihren ersten Dreijahresvertrag mit den Streitkräften (2017-2020) zu unterzeichnen und offiziell Soldatin zu werden, fiel ihr nicht leicht. Es war ein beängstigendes Gefühl, das Zuhause zu verlassen und irgendwo anders zu leben. Tatsächlich war es die Unterkunft, die ihr die ersten Monate in der Armee schwer machte. In den ersten Wochen irrte Iryna durch die Büros und Wohnungen fremder Leute, konnte sich nirgends waschen und hatte Probleme mit der Toilette. Dann wurde ihre Brigade in die Stadt Wolnowacha in der Oblast Donezk verlegt, wo sie auf dem Boden eines verlassenen Krankenhauses schlafen musste. Es war eiskalt und die einzige Möglichkeit, sich warm zu halten, war ein Kanonenofen. Wirklich unter Feldbedingungen. „Mit der Zeit habe ich mich an solche Bedingungen gewöhnt, aber ich habe meine Entscheidung, der Armee beizutreten, nur ein einziges Mal bereut – als ich ins Ausbildungszentrum kam. Ich wollte lernen und dachte, es gäbe viel Sportunterricht, aber stattdessen mussten wir 16 Mal am Tag antreten und durften uns nur hinsetzen, wenn wir rauchten“, gibt Iryna zu.

Nach 2020 unterzeichnete Iryna einen zweiten Einjahresvertrag und verlängerte ihn dann um ein weiteres Jahr. Zum vierten Mal, im Jahr 2022, unterschrieb sie einen Fünfjahresvertrag als Offizierin. Inzwischen ist sie Leutnant, und zu ihren Aufgaben als Presseoffizierin der 93. Brigade gehört vor allem die Arbeit mit Journalist*innen. Dazu gehört die Begleitung von Journalist*innen in die Kampfzone und die allgemeine Arbeit mit Journalist*innen im Rahmen der Berichterstattung über die Aktivitäten der Brigade.

Die 93. Brigade befindet sich derzeit im Kampfeinsatz in Richtung Bachmut. „Ich werde bis zum Ende des Krieges in der Armee bleiben. Sobald er vorbei ist, beende ich meinen Vertrag und plane, ins Zivilleben zurückzukehren. Selbst wenn der Krieg plötzlich zu Ende geht, gibt es noch viel zu tun, um die Städte wieder aufzubauen, Minen zu räumen und die Verbrechen der Russen aufzuarbeiten. Ich habe endgültig beschlossen, dass ich nicht Teil einer Armee sein will, die nicht kämpft. Ich bin kein Militärmensch, ich mag es nicht, wenn man mich in meiner Bewegungsfreiheit einschränkt. Jetzt, in Kriegszeiten, ist die Grenze zwischen Militär und Zivilist*innen fließend. Es ist einfacher, in der Armee in der Nähe der Front zu sein, als in der Armee mit all den Appellen, Diensten und Märschen. Deshalb ist die Nachkriegsarmee mit ihren strengen Gesetzen und Regeln definitiv nichts für mich“, schließt Iryna.

Olena. Scharfschützin bei der Infanterie

Viele Frauen in der Ukraine haben im Krieg seit 2014 Kampferfahrung gesammelt. Olena Bilozerska, Offizierin der ukrainischen Streitkräfte und Scharfschützin der Infanterie, ist eine von ihnen. Ihre Karriere in der ukrainischen Armee begann 2014, obwohl sie ihren ersten offiziellen Vertrag erst vier Jahre später, 2018, unterzeichnete, nachdem sie zum Unterleutnant befördert worden war.
 


Vor dem Krieg arbeitete Olena Bilozerska zehn Jahre lang als Journalistin (von 2004 bis 2014). Auch ihr Mann ist von Anfang an mit ihr im Krieg. Das Paar hat keine Kinder, sie hatten dafür keine Zeit, da der Krieg 2014 begann und acht Jahre später die Russische Föderation bekanntlich in vollem Umfang einmarschierte.

Olena hat noch einen Vater, ihre Mutter starb im Februar 2024, was ein schmerzlicher Schlag war. „Ich fühle mich schuldig wegen des Todes meiner Mutter. Sie war krank und hatte nicht die Kraft, sich behandeln zu lassen, und ich war viele Jahre in der Armee und habe mich nicht um ihre Gesundheit gekümmert. Als sie starb, nahm ich für immer Abschied von einem Teil von mir. Ich war Mamas Tochter. Jetzt habe ich keine Mutter mehr und niemanden, der sich um mich kümmert. Nach ihrem Tod habe ich eine schreckliche und plötzliche Reifung durchgemacht“, gibt Olena zu.

Ihre Hauptaufgabe in der Armee bestand darin, eine Kampf- oder Aufklärungsgruppe zu decken, mit der sie an Kampfeinsätzen teilnahm. Im Laufe des Krieges nahm Olena an Hunderten solcher Kampfeinsätze teil. Doch trotz dieser Erfahrung, sagt sie: „Die Angst vor dem Kampf ist immer da. Es ist unmöglich, sie loszuwerden“.

Außerdem, so Olena, habe jede*r Angst, wenn das Leben ernsthaft in Gefahr ist. „Nur psychisch Kranke haben im Krieg keine Angst. Angst ist also normal. Das Wichtigste ist, dass man lernt, sie zu kontrollieren. Ich zum Beispiel schlafe vor einem Kampfeinsatz nicht gut, und meistens holt mich diese leichte, unangenehme und anhaltende Angst am Tag vor dem Einsatz ein. Aber im Kampf, wenn das eigene Leben in Gefahr ist, spürt man keine Angst. Das sagen übrigens auch andere Soldat*innen. Vielleicht ist es das viele Adrenalin, das den Bewusstseinszustand verändert. Es gibt eine gewisse Aufregung im Kampf“, erklärt sie.

Von 2018 bis 2020 zog sich Olena vom Scharfschützendienst zurück und kommandierte zwei Jahre lang einen Marineinfanteriezug. Ende 2020 schied sie freiwillig aus der Armee aus. Nach ihrem Dienst kümmerte sie sich um ihre Gesundheit, die in den sechs Kriegsjahren gelitten hatte, schrieb ein Buch, drehte Dokumentarfilme und führte ein normales Zivilleben. Am 24. Februar 2022 kehrte sie in den Dienst zurück. Zunächst trat sie in die Einheit ein, die für die Verteidigung von Kyjiw zuständig war, doch einige Monate später wurde sie zu einer Spezialeinheit der ukrainischen Streitkräfte versetzt, in der sie bis heute dient. Aufgrund ihres sich verschlechternden Gesundheitszustandes ist sie derzeit nicht an Kampfhandlungen beteiligt, hofft aber, eines Tages an Kampfeinsätzen teilnehmen zu können. Sie sagt, dass es ohne diese Einsätze psychisch schwierig für sie sei.

Die Angst vor dem Kampf ist immer da. Es ist unmöglich, sie loszuwerden.“

Olena. Scharfschützin

„Ich habe eine ziemlich stabile Psyche und ein gutes Verständnis für meine Arbeit. Wir jagten keine friedlichen, unbewaffneten Menschen. Das ist keine Safari! Ich habe es mit einem Feind zu tun, der mit Waffen in der Hand in mein Land gekommen ist. Und er hat zwei Möglichkeiten – entweder er ergibt sich oder er wird erschossen. Wenn ich ihn nicht töte, wird er mich oder meine Kolleg*innen töten. Deshalb habe ich kein psychisches Problem damit, als erste zu schießen“, sagt Olena.

Aber das gelte nicht für alle in der Armee, auch nicht für die Mitglieder einer Kampfgruppe, fährt sie fort: „Einmal verließen wir die Kampfzone, und ein Mann schoss mit seinem Sturmgewehr die ganzen zwei Kilometer des Rückzugs nach oben. Nach dem Kampfeinsatz fragte ich ihn, warum er das getan habe. Er sagte: „Es ist eine Sünde, Menschen zu töten.“ Später wurde er nach hinten versetzt. Das war zu Beginn des Krieges 2014. Jetzt gibt es solche Leute nicht mehr, das ist unmöglich“, fügt sie hinzu.

Die Frau sagt, dass der Tod und die Beerdigung ihrer Kamerad*innen sie nicht in eine längerfristige Depression gestürzt haben, obwohl der Abschied schwierig war. Sie sagt, dass motivierte Freiwillige, die aus freien Stücken in den Krieg ziehen, wissen, dass der Tod an der Front eine sehr reale Möglichkeit ist, die auch sie treffen kann. Frauen, die an die Front gehen, sind auch auf andere Herausforderungen vorbereitet. Schließlich haben sie unglaubliche Anstrengungen auf sich genommen, um überhaupt erst dorthin zu gelangen. Normalerweise wird einer Frau in der Armee ein Job in der Schreibstube, im Feldlager oder in der Küche angeboten, sagt Olena. Und wenn sie kämpfen will, muss sie beweisen, dass sie psychisch und moralisch den Männern nicht nachsteht. Und hier fangen die Probleme an, denn jede durchschnittliche Frau, sagt Olena, sei körperlich schwächer als ein durchschnittlicher Mann. Das liege in der menschlichen Natur. Es gibt zwar Frauen, die den Männern körperlich ebenbürtig sind, aber das sind nur wenige. Meistens handelt es sich um Frauen, die seit ihrer Kindheit Sport treiben. Und die gewinnen schnell an Autorität unter den Männern.

„Mein Fall ist anders. Ich war nie sehr gesund oder körperlich stark. Ich bin nicht vom Sportplatz in den Krieg gekommen, sondern vom Computer. Deshalb war es körperlich schwer für mich. Ich musste alle Kampfeinsätze mit den Zähnen ausfechten. Aber die Gruppe hat meine Schwäche nie gespürt. Ich bin nie zurückgefallen, niemand hat je meine Sachen oder, Gott bewahre, mich getragen. Aber ich habe immer Angst, dass das passieren könnte und ich den Jungs zur Last falle“, sagt Olena.

Und damit das eine nicht mit dem anderen kollidiert, lehnt sie eine obligatorische Mobilisierung von Frauen ab, unabhängig davon, ob sie Kinder haben oder nicht. Nur die Mobilisierung als Arbeitskraft käme für Frauen in Frage. Es gebe aber Frauen in der Armee, die nicht gleichberechtigt mit den Männern dienen wollen und dem Ansehen der Frauen in der Armee schaden. „Das heißt, wenn eine Frau besondere Bedingungen braucht, wenn sie jeden Abend zu Hause Borschtsch für ihren Mann kochen oder jede Woche zur Maniküre gehen muss, wenn sie niemanden hat, bei dem sie ihre kleinen Kinder lassen kann und so weiter, dann hat eine solche Frau in der Armee nichts verloren“, sagt Olena.

Zum Schluss frage ich sie, ob sie bereit sei, nach dem Krieg in der Armee zu bleiben. Olena antwortet, dass sie diese Frage früher mit einem klaren Nein beantwortet hätte. Aber vor einigen Monaten habe sie zum ersten Mal gemerkt, dass sie nicht mehr so sicher sei und sich vorstellen könne, nach dem Sieg der Ukraine weiter zu dienen, wenn die Armee sie brauche. „In Kriegszeiten in der Armee zu dienen, ist ein exklusives Privileg – die Möglichkeit, sein Land zu verteidigen. Es ist eine große Ehre, ein Teil davon zu sein. Aber als Soldat vermisst man die Möglichkeit, sein eigenes Leben zu planen, wie es Zivilisten tun. Nach dem Krieg werde ich zu meinem Vorkriegsleben zurückkehren. Ich werde Journalistin, Autorin von Non-Fiction-Büchern und möchte auch lernen, Dokumentarfilme zu drehen. Aber im Moment bin ich eine Soldatin, und das ist meine Identität, die alles andere dominiert.“

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