Identität in der Republik Moldau  „Es ist völlig unklar, womit ich mich assoziieren soll“

Der Stadtteil Botanica am Rande von Chișinău.
Der Stadtteil Botanica am Rande von Chișinău. Foto: © Ramin Mazur

Der moldauische Fotograf Ramin Mazur ist Halb-Ukrainer und Halb-Afghane und stammt aus der abtrünnigen Region Transnistrien, heute lebt er in der moldauischen Hauptstadt Chișinău. Ein Gespräch über komplizierte Identität(en) und Sprache(n) in der Republik Moldau, einem Land zwischen seiner von russischem Imperialismus geprägten Vergangenheit und einer Zukunft in der EU.

Wir treffen den Fotografen Ramin Mazur (*1987) an einem sonnigen Nachmittag im Stadtviertel Botanica am Rande der moldauischen Hauptstadt Chișinău. Seine Mutter ist Ukrainerin, sein Vater kommt aus Afghanistan. Ramin selbst wurde auf demjenigen Territorium der Moldawischen Sozialistischen Sowjetrepublik geboren, das sich Anfang der 90er als Transnistrien von Moldau abspalten wollte, es kam zum Krieg. Seine Familie floh vor dem bis heute andauernden Transnistrien-Konflikt in die Ukraine, einen Teil seiner Kindheit verbrachte er dort. Später zog Ramin für sein Studium nach Chișinău. Er nimmt uns mit auf einen Spaziergang durch das von Plattenbauten geprägte Viertel. Wir sprechen über das Leben in Moldau, seinen Beruf und darüber, was moldauische Identität ausmacht.

Wir beginnen unser Gespräch in einer Art verlassenem Garten. Hier fotografiert Ramin gerade regelmäßig.

Wo befinden wir uns hier?

Am Rande Chișinăus, im Stadtteil Botanica. Das ist ein Park, wo zu Sowjetzeiten zu Forschungszwecken verschiedene Fruchtbäume gezüchtet wurden, Pfirsiche oder so. Jetzt befindet er sich in einem Übergangszustand, wie auch wir und unsere gesamte Gesellschaft. Er ist halb vergessen, aber trotzdem kommen manchmal Leute hierher. Bald werden hier Häuser stehen.
 

Wieso bist du Fotograf geworden? Was fasziniert dich an der Fotografie als Medium?

Es ist schwer, mich selbst zu finden. Ich bin Halb-Ukrainer und Halb-Afghane, lebe in Moldau, komme von dem Ort, der zu Transnistrien wurde. Ich habe die Hälfte meiner Kindheit in der Ukraine verbracht und die Hälfte in Transnistrien, danach kam ich hierher. Und es ist völlig unklar, womit ich mich assoziieren soll. Die visuelle Sprache ist universeller und anscheinend bin ich süchtig nach ihr geworden.

Ich mache auch Fotocollagen. Ich interessiere mich dafür, Prozesse zu dokumentieren, die dann zu etwas anderem führen. Oder ich bin daran interessiert, manchmal einfach nur darüber zu fantasieren, wie etwas aussehen könnte. Ich habe das Gefühl, dass man etwas festhalten muss, um zu sehen, wie es sich verändert. Manchmal ergeben sich so interessante Themen.

Früher hast du viel Zeit mit Projekten mit einem konkreten Ziel verbracht. Wie hat sich dein Zugang verändert?

Ich sammle einfach Material und baue daraus ein Archiv auf, das ich später erforschen will. In letzter Zeit interessiere ich mich vor allem für die Ränder, die periphere Peripherie. Mich interessieren selten Menschen, sondern mehr die Interaktion, die nach ihnen bleibt. Mich interessiert, wie sich urbane Räume entwickeln, was sie ausmacht. Jedes Mal, wenn ich irgendwohin fahre, nehme ich analoge Kameras mit und versuche etwas zu fotografieren.

Woran arbeitest du in letzter Zeit?

Das erste und das zweite Jahr des Ukrainekriegs habe ich zum Beispiel den Fernseher meiner Mutter in Transnistrien fotografiert, und den meiner Großmutter, die von uns gegangen ist. Meine Großmutter hat ferngesehen und die Inhalte langsam in sich aufgesogen, weil sie so einsam war. Sie empfing den ersten transnistrischen und den ersten russischen Kanal. Langsam fing sie an, russische Wörter anstelle von ukrainischen zu benutzen. Denn der Fernseher sprach mehr mit ihr als wir. Meine Mutter, die nie ein politisch interessierter Mensch gewesen ist, hatte trotz allem ein eher positives als negatives Bild von Russland, vermittelt durch den Fernseher. Diese beiden Fernsehgeräte zeigten das Bild in ziemlich schlechter Qualität, da sie das Signal über eine Zimmerantenne empfingen, und weil sie alt waren. Es war interessant für mich, dieses verzerrte Signal zu beobachten. Der Fernseher meiner Oma invertierte die Farben, grün wurde zu magenta und magenta grün, blau zu gelb und gelb zu blau. Ich interessiere mich dafür, wie der Fernseher und die Medien das Bewusstsein der Leute beeinflussen, vor allem derjenigen, die allein leben, in ihren Häusern oder Gemeinden.
   

Du hast früher bereits  ein fotografisches Projekt in Transnistrien umgesetzt. War es schwer, dort zu fotografieren?

Nein. Transnistrien zu fotografieren ist vielleicht schwer, wenn man hingeht und versucht, eine Geschichte zu finden. Das ist schwer, weil die Leute nicht offen sind, wenn man als Außenstehender auf sie zukommt. Ich habe einfach meine Familie fotografiert und alles, was um sie herum passierte. Ich sah das nicht als Projekt, ich bin einfach zu meiner Familie gekommen, und wenn es klappte, machte ich ein Foto und wenn nicht, dann eben nicht.

Bist du noch oft in Transnistrien?

Leider selten, weil da nur noch meine Mutter und meine Tante mit ihrem Mann leben. Ich fahre hin, weil ich meiner Mutter helfen muss. Sie lebte lange in Russland, ab 2013 ungefähr. Sie lebte sehr lange in Moskau und St. Petersburg. Während der Pandemie dachte sie darüber nach, zurückzukommen. Ich erinnere mich daran, wie sie mich das erste Mal nach der Großinvasion anrief und sagte: „Na, wie geht‘s?“ Ich konnte nicht auf derselben Wellenlänge antworten. Scheiße, ich meine da kamen gerade ukrainische Geflüchtete zu uns und ich erzählte ihr davon, was passiert, aber bei ihr ergab das kein Bild. Denn da, wo sie lebte, da wurde nicht darüber gesprochen. Sie war nie eine Kritikerin Russlands, sondern eher – ich mag diesen Ausdruck nicht – eine in Anführungsstrichen statistisch durchschnittliche Bürgerin Transnistriens, und als solche hatte sie nichts gegen Russland. Aber als sie selbst hinzog, begann sie schon ein wenig zu verstehen, was da vor sich geht. Dann kam sie zurück nach Transnistrien und beschloss zu bleiben. Ich versuche, sie oft zu besuchen, aber allzu oft klappt es nicht.

Was hat sich dort seit der Großinvasion verändert?

Seit 2022 haben sehr viele Leute meine Heimatstadt Rîbnița verlassen. Es ist eigentlich schon schwer, über diesen Ort als eine Stadt zu sprechen. Früher lebten dort laut einer Volkszählung aus der spätsowjetischen Zeit etwa 60.000 Menschen. Jetzt weiß ich es nicht. Die Menschen ziehen nach Tiraspol, in die Hauptstadt von Transnistrien. Die Menschen ziehen in andere Länder, die Menschen ziehen nach Chișinău. Nur wer bleibt, wird als Transnistrier gesehen, ihre Meinung zählt. Von denen, die dort geblieben sind, aber nicht die von denen, die nicht einverstanden sind, in dieser Situation zu leben und weggezogen sind – wie ich.

Im Winter kommt meine Mutter normalerweise her und wohnt bei meiner Frau Katja und mir. Im Sommer muss ich sie besuchen. Und leider können nur mein Bruder und ich hin, meine Frau nicht, denn einmal ist sie mit einem Freund, einem Dokumentarfotografen, nicht an der Grenze durchgekommen und landete auf einer schwarzen Liste von Journalisten aus der Republik Moldau. Jetzt lässt man sie gar nicht mehr nach Transnistrien. Eine lausige Arbeit des transnistrischen Geheimdienstes, wohl für die Statistik. Deswegen können wir uns dort nicht einmal mehr als Familie versammeln. Dort herrscht so ein komisches Gefühl von Melancholie: Leere Straßen, kein Mensch ist da. Das leere Haus meiner Mutter, das man eigentlich renovieren müsste. Aber Geld reinstecken? Man weiß ja gar nicht, was in Zukunft passiert.
   

Wie gelangte dein Vater aus Afghanistan nach Moldau?

Er kam für das Studium hierher, traf meine Mutter und beschloss, zu bleiben. Der sowjetische Afghanistan-Krieg hat sicher eine Rolle dabei gespielt, denn er kam ein paar Jahre nach dem Einmarsch der sowjetischen Truppen in Afghanistan nach Chișinău.

Hier in Chișinău kann man frei zwischen Russisch und Rumänisch wählen, ist mein Eindruck.

In Chișinău, ja. In letzter Zeit gibt es viel mehr Freiheit. Früher sagten manche: Sprech kein Russisch mit mir, oder umgekehrt: Rede mit mir in der “menschlichen Sprache” und nicht in deiner da. Schweinereien von beiden Seiten.

Gefällt es dir, hier zu wohnen? Hier, in diesem Stadtteil Botanica?

Ich weiß nicht, hier ist es günstig. Alles ist teurer geworden. Ich bin zufrieden, aber es ist schwer, von hier aus zum Zentrum zu kommen. Es ist das größte Stadtviertel von Chișinău, und das neueste. Und das am meisten vernachlässigte.

Hast du bei der Großinvasion daran gedacht, dass russische Truppen nach Moldau einmarschieren könnten?

Diese Variante war in meinem Kopf und ließ mir keine Ruhe. Ich irrte umher irgendwo zwischen dem Gedanken, ein Partisan zu werden oder in ein anderes Land zu gehen. Zum Glück passierte nichts, wir haben Glück. Bislang. Niemand weiß, was weiter sein wird.

Hast du gerade eine Vision, eine Vorstellung von der Zukunft, oder ist alles eher unklar?

Ich glaube an eine Zukunft, die es hier geben kann. Weil ich eine ausgeprägte Phantasie habe oder mein Gerechtigkeitssinn mir keine Ruhe gibt. Ich glaube schon an eine Zukunft, aber ich sehe die Etappen nicht, die uns zu ihr führen. Leider. Ich sehe viele Dinge, die sich ändern, manche zum Guten, manche zum Schlechten. Das ist so ein Brodeln, aber es gibt keine etappenweise Bewegung hin zur Zukunft. Der zwischensprachliche Konflikt in Moldau hatte angefangen, sich zu beruhigen. Aber auch zwischen den Ländern der Region passierte etwas: Rumänen begannen, sich für die Moldauer zu interessieren und die Moldauer für die Rumänen, die Bulgaren begannen sich für die Rumänen zu interessieren und umgekehrt, und so weiter. Es entstand ein Dialog in den Zehnerjahren. In dieser Zeit hatte ich den Eindruck, es entsteht ein Gefühl der Einigkeit der Region. Leider wurde das jetzt aufgehalten. Wahrscheinlich für lange Zeit.

Was verändert sich zum Schlechten?

Viele sagen, wie schlecht es hier ist. Das spornt die Opposition, die prorussisch ist, an. Sie sagt, wir würden jetzt schlechter leben als früher, die proeuropäische  Regierung hätte nichts bewirkt. Auch ich habe sehr viele Fragen an die Regierung, die Regierung, für die ich gestimmt habe. Es gibt aber keine echte Opposition, eine wählbare Alternative zur Regierungspartei oder zu den prorussischen Kräften, und das führt zu ungesunden Entwicklungen. Die Opposition, das sind jetzt die Sozialisten, Kommunisten und Abgeordnete der inzwischen verbotenen Șor-Partei. Diese Parteien kreieren einfach Chaos im Informationsraum und zerren an der Wählerschaft. Dabei beteiligen sie sich nicht an einer normalen Kommunikation.
 

Gibt es hier in Moldau so etwas wie eine Zivilgesellschaft?

Ja, und sie wird immer stärker. Ich kann mich irren, aber mir scheint, sie besteht aus einer Blase. Die gesellschaftlichen Initiativen ändern kleine Dinge, die auch geändert werden sollten, aber ein Gefühl von Gemeinschaftlichkeit gibt es eben nicht. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie viele Initiativen es hier gab, zivilgesellschaftliche, kulturelle, Leute, die etwas ändern wollten. Sehr oft war es so, dass man komplett ausgebrannt ist, um etwas zu tun, und es hat geklappt oder nicht geklappt, aber man ist ausgebrannt und weggezogen. Und es gab keine Übertragung an andere Leute, damit sie ebenfalls dafür brennen. Chișinău war nie ein Hub, die Stadt hinterließ immer einen provinziellen Eindruck. Wenn man rumänischsprachig ist, geht man nach Bukarest, wenn man ukrainisch- oder russischsprachig ist, fährt man weiter, wenn man Kosmopolit ist, fährt man irgendwo hin. Chișinău ist eher ein Umschlagplatz.

Stellst du dir manchmal vor, dass Transnistrien sich Moldau anschließt?

Manchmal, auch wenn es schwierig sein mag. Es wäre sehr schön, wenn es geschehen würde. Das sind jetzt solche Zeiten, dass es entweder sehr schnell geschehen oder sehr weit weg sein könnte. Dafür müsste es einen echten Dialog geben. Ich bin eigentlich ein Bürger von Transnistrien, mein Bruder ebenfalls, aber wir gelten nicht als Transnistrier, weil wir nicht dort leben. Das ist so wie mit den Gagausen, die Gagausien verlassen haben. Es bleiben die Leute, die nichts ändern wollen oder ihren Willen verloren haben.

Verlassen nach wie vor viele Menschen Moldau?

Nachdem ich 2003 hierher nach Chișinău kam, hat sich mein Freundeskreis drei Mal komplett ausgetauscht. Denn alle vier bis fünf Jahre sind meine Freunde weggezogen. An einem Punkt wurde ich ziemlich apathisch. Ich habe mich völlig in die Arbeit gestürzt, bin gar nicht mehr ausgegangen.

Sind sie nach Europa gezogen?

Nach Russland, Europa, in die Ukraine, nach Rumänien, in verschiedene Länder. Sie verschwanden von der Bildfläche. Das bedeutet konkret: Es gibt einen Menschen, mit dem man eine gemeinsame Sprache gefunden hat, und dann verschwindet er. Und dann muss man sich jemand Neues suchen. Das führt irgendwann zu Apathie.

Hast du schon daran gedacht, das Land zu verlassen?

Ja, den Gedanken hatte ich ständig, aber ich bin faul. Vielleicht fahre ich auch nicht nur deswegen nicht weg, sondern weil ich sehen will, was hier passiert. Wie sich hier alles verändert. Ich will nicht irgendwo hinziehen, wo man etwas in fertiger Form präsentiert bekommt und daran teilnehmen kann. In Ländern wie unserem ist es sehr schwer für jede neue Generation, sich selbst zu finden, weil es keine Kontinuität gibt. Man siehst keine feste Grundlage, auf der man sich ausruhen könnte. Und mir scheint, das ist einer der Gründe, warum ich nicht gehen will. Um nicht der Grund dafür zu sein, dass jemand anderes geht. Dass durch meine Anwesenheit zumindest ein, zwei, drei Leute nicht wegfahren. Jeder Mensch, der seine Community verlässt, wird sich schon nicht mehr an ihr beteiligen.

Dieses Land ist so ein Stückchen, ein Rest, den die Sowjetunion beziehungsweise Russland mal abgebissen hat von etwas, aber wir sind nach wie vor bei nichts Konkretem angelangt, hier in diesem Stückchen. Obwohl ich vier Sprachen beherrsche, kann ich keine davon richtig sprechen oder schreiben.“

Aus der Geschichte und Gegenwart der Republik Moldau

Der russische Einfluss in Moldau begann mit dem Sieg des Russischen Reichs im Russisch-Türkischen Krieg von 1806 bis 1812: Bessarabien kam unter russische Herrschaft, nachdem es zuvor Teil des osmanischen Vasallenstaats Moldau gewesen war, der sich auch auf das Territorium des heutigen Rumänien erstreckte.

Später wurde Bessarabien Teil der Sowjetunion, die versuchte, eine „moldawische“ Identität im bewussten Kontrast zu einer rumänischen zu schaffen. Dafür erfanden die Sowjets etwa die Kunstsprache „Moldawisch“, mit kyrillischen Buchstaben geschriebenes Rumänisch mit starkem russischem Einfluss. In der Hierarchie stand jedoch die russische Sprache höher.

Bis heute wirkt sich diese Geschichte auf die sprachliche und politische Situation in der seit 1991 unabhängigen Republik Moldau aus: Einzige Amtssprache ist zwar Rumänisch, Russisch ist aber als Kommunikationssprache immer noch weit verbreitet.

Seit Juni 2022 verfügt die Republik Moldau über den EU-Beitrittskandidatenstatus, doch Russland versucht mit Desinformationskampagnen gegen die EU-Annäherung des Landes seinen Einfluss zu halten und auszuweiten. Die schlechte wirtschaftliche Lage, wegen der viele Menschen Moldau verlassen, macht diese Propaganda fruchtbar. Außerdem nutzt Russland für seine Einflussnahme das seit Anfang der 1990er Jahre abtrünnige Territorium Transnistrien, wo immer noch russische Truppen stationiert sind.

Am 20. Oktober wird es in Moldau neben Präsidentschaftswahlen ein Referendum darüber geben, ob der EU-Beitritt in der Verfassung festgeschrieben werden soll — ein wichtiges Ereignis, das über die Zukunft Moldaus bestimmen wird.

Beschäftigt dich noch die Frage nach der Identität so wie früher?

In dem Moment, wo ich aufhöre, mich dafür zu interessieren, habe ich die Nase voll vom Leben. Solange es Interesse für Leben gibt, sollte es auch Interesse an Identität geben. Wir Menschen assoziieren uns immer mit etwas, das ist wichtig für uns. Und wir assoziieren uns mit den einfachsten Dingen: Heimat, Familie, Land, Vaterland, Sprache und so weiter. In unserer Hymne geht es um die rumänische Sprache. Hier leben viele Menschen, für die das nicht die Muttersprache ist. Darunter Menschen, die schon lange hier sind: Ukrainer, Bulgaren und so weiter. Aber unsere Hymne, das ist eine Ode an die rumänische Sprache.

Sie spricht also nur einen Teil der Bevölkerung an?

Ja, ich bin kein Fan von Patriotismus, Nationalismus und diesen Sachen, aber zumindest die Hymne könnte vereinigender sein. Sogar in Rumänien geht es in der Hymne nicht um die rumänische Sprache. Eine Hymne sollte verbinden, neutral sein.

Wann hast du Rumänisch gelernt?

Eine schwierige Frage, ich habe angefangen, etwa ab 2010 Rumänisch zu verstehen. In der Uni hatte ich Rumänischunterricht, aber das hat nicht so viel gebracht. Ich habe es eigentlich auf der Straße gelernt. Mein Bruder, der auch hier lebt, kann bis heute kein Rumänisch.

Wie würdest du dein Verhältnis zur Ukraine beschreiben?

Immer wenn ich in die Ukraine komme, fühle ich mich wie zu Hause. Ich kann Ukrainisch, muss mich aber erst einmal wieder einfinden, weil ich es hier nicht spreche. Das Land ist mir sehr wichtig, und seine Sprache ebenfalls. Meine Oma und mein Opa haben Ukrainisch mit mir gesprochen, von Geburt an. Meine Mutter hat Russisch mit mir geredet, weil das die Sprache der gesellschaftlichen Kommunikation war, Ukrainisch sprach sie nur mit ihrer Mutter, ihrem Vater und mit ihrer Schwester. Auch habe ich fünf Jahre meines Lebens in der Ukraine verbracht: Anfang der Neunziger ist meine Familie vor dem Transnistrien-Konflikt dorthin geflohen. Meine Eltern haben zunächst versucht, nach Moskau zu gehen, aber letzten Endes sind sie nach Kyjiw gekommen. Dann haben wir in Charkiw gelebt, dann in Dnipro und Poltawa. Die Ukraine ist mir von ihrer Mentalität her näher als Moldau.

Seit 2003 bin ich in Chișinău, es ist die Stadt, in der ich den Großteil meines Lebens verbracht habe. Meine Identität hängt mehr mit dieser Stadt zusammen als mit diesem Land, bei dem überhaupt nicht klar ist, woraus es geschaffen ist. Das ist so ein Stückchen, ein Rest, den die Sowjetunion beziehungsweise Russland mal abgebissen hat von etwas, aber wir sind nach wie vor bei nichts Konkretem angelangt, hier in diesem Stückchen. Obwohl ich vier Sprachen beherrsche, kann ich keine davon richtig sprechen oder schreiben.

Von außen wirkt das interessant.

Weil es ein ungelöster Konflikt ist. Wir haben keine Gemeinschaftlichkeit. Wer sind wir füreinander? Welche Verbindungen haben wir zueinander? Wofür leben wir eigentlich? Man kann hier keinen Nationalismus als solchen einschreiben. Der bestand nur eine kurze Zeit bei den rumänischsprachigen Moldauern. Nicht die Nation vereint uns, nicht die Grenzen, es sind andere Dinge. Vor allem wegen der eingeführten EU-Visafreiheit und weil ein großer Teil der Bevölkerung Moldaus einen rumänischen Pass hat, sind wir eigentlich schon vereint. Früher war die rumänischsprachige Bevölkerung einfach in höherem Maße abgetrennt von Rumänien als jetzt.

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