Wohnungsmarkt in Deutschland
„Die Mietpreisbremse funktioniert nur selten“
Das deutsche Gesetz zur Mietpreisbremse sollte die steigenden Wohnkosten bremsen, hat das Problem aber nicht beheben können. Welche weiteren Maßnahmen die explodierenden Mieten stoppen könnten, erklärt Wirtschaftsforscher Claus Michelsen im Interview.
Von Hannes Koch
In deutschen Innenstädten wird bezahlbarer Wohnraum immer knapper. Das ist vor allem für Bürger mit geringen Einkommen ein Problem, die sich häufig gezwungen sehen, in die weniger attraktiven Randbezirke der Städte zu ziehen. Im Jahr 2015 reagierte die Bundesregierung mit einem Gesetzesbeschluss: Die sogenannte „Mietpreisbremse“ sollte den Anstieg der Mieten deckeln. Drei Jahre später besteht das Problem jedoch weiterhin. Weshalb die Mietpreisbremse zwar wirkt, aber nicht ausreicht, und welche Maßnahmen die Bundesregierung ergreifen sollte, erklärt der Ökonom Claus Michelsen, Spezialist für Immobilienmärkte beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin (DIW).
Herr Michelsen, Steigende Mieten und Wohnraumverknappung sind in Deutschland seit Jahren ein Dauerthema. Wieso ist das so?
Die Bundesbürger geben im Durchschnitt mehr als ein Drittel ihres Einkommens für Wohnen, Strom, Heizung und andere Nebenkosten aus. Dies belastet besonders Leute mit geringen Verdiensten. Außerdem lebt mehr als die Hälfte der deutschen Bevölkerung in Mietwohnungen. Im Gegensatz zu Spanien, Frankreich oder Italien besitzt die Mehrheit der Deutschen kein Immobilieneigentum.
Die Bundesregierung hat 2015 das Gesetz über die sogenannte Mietpreisbremse beschlossen. Darin steht, dass in Gebieten, wo Wohnungsknappheit herrscht, neue Mietverträge maximal zehn Prozent teurer sein dürfen als bei vergleichbaren Wohnungen in der Umgebung. Das Gesetz soll verhindern, dass Wohnkosten zu schnell steigen. Klappt das?
An Orten, wo die Mieten in den vergangenen Jahren um vier Prozent oder mehr wuchsen, verhindert die Bremse einen weiteren, starken Anstieg. Das gilt beispielsweise für die Berliner Innenstadtbezirke Kreuzberg und Neukölln oder einige Stadtteile von München. Diese Wirkung lässt sich unseren Berechnungen zufolge aber nur in wenigen Gebieten feststellen.
Sollte man die Bremse also schärfer anziehen?
Es wäre kein Problem, den zulässigen Aufschlag auf die Vergleichsmieten von zehn auf beispielsweise sieben Prozent zu senken. Aber das ist eine politische Entscheidung, die die Regierungskoalition treffen müsste.
Ökonom Claus Michelsen ist Spezialist für Immobilienmärkte beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin (DIW).
| Foto (Zuschnitt): © DIW
Warum beschließt der Bundestag nicht einfach, die Mieten für beispielsweise fünf Jahre einzufrieren?
Sicherlich schrecken einige Politiker davor zurück, es sich mit der einflussreichen Interessengruppe der Immobilienbesitzer zu verscherzen. Ein Verbot von Mieterhöhungen würde deren Rendite schmälern. Davon abgesehen braucht die Marktwirtschaft funktionierende Preissignale. Wachsen die Immobilienpreise, steigen Investoren ein, und es wird mehr gebaut – ein wünschenswerter Effekt. Es ist immer schwierig, die richtige Balance zwischen Rendite und Sozialverträglichkeit zu finden.
Ein wesentliches Problem besteht darin, dass zu wenig neue Wohnungen gebaut werden. Wie kann die Regierung bessere Anreize schaffen?
Die noch freien Flächen in den Innenstädten sind mittlerweile knapp und teuer; auch werden zu wenig Bauplätze neu ausgewiesen. Eine Lösung könnte darin bestehen, städtische Wohngebiete zu verdichten, also auf ein fünfstöckiges Gebäude noch ein sechstes Geschoss draufzusetzen, oder kleine Baulücken zu schließen. Um Bauherren diese Entscheidung zu erleichtern, sollte die staatliche KfW-Bank günstige Kredite zu Verfügung stellen.
Hohe Mieten belasten gerade ärmere Bürger. Sollte der Staat mehr öffentlich geförderte Sozialwohnungen errichten lassen?
Ja. Wenn Wohnhäuser mit staatlichen Zuschüssen gebaut werden, sind die Mieten zum Beispiel für 20 Jahre reglementiert. Dieses Marktsegment wurde seit Anfang der 2000er-Jahre vernachlässigt, mittlerweile gibt die Bundesregierung aber wieder mehr Mittel für Sozialwohnungen aus.
Deutschland erhebt eine Steuer, die Eigentümer von Grundstücken zahlen müssen. Sie wird aus dem Wert des Grundstücks und der Immobilie berechnet; für bebaute Grundstücke ist die Abgabe also höher. Wäre es nützlich, wenn nur noch die Grundstücke belastet würden?
Das könnte helfen, denn damit würde es unwirtschaftlicher, leere Grundstücke weiter brachliegen zu lassen. Der Anreiz stiege, sie zu bebauen.
Sind die steigenden Wohnkosten auch auf die Zuwanderung nach Deutschland zurückzuführen?
Nur zum Teil. Ausgelöst durch die Finanzkrise sind seit 2007 zwar viele Bürger aus Spanien, Portugal und anderen EU-Staaten nach Deutschland gezogen und auch die Flüchtlingszuwanderung ab 2015 hat sich bemerkbar gemacht. Die wichtigste Ursache für die hohen Wohnungskosten in Städten liegt aber in der starken Binnenmigration aus ländlichen Regionen. Junge, gut ausgebildete Leute zieht es in die Städte wegen der Ausbildungs- und Arbeitsplätze sowie des kulturellen Angebots. Hinzu kommt ein starker Strukturwandel in vielen ländlichen Regionen. Beispielsweise stand in jeder Kleinstadt Ostdeutschlands früher eine Fabrik, in jedem Dorf arbeitete ein landwirtschaftlicher Großbetrieb. Die meisten dieser Arbeitsplätze sind verschwunden. Das Leben auf dem Land erscheint vielen Bürgern nicht mehr attraktiv.
Die Mietpreisbremse gilt 2018 in 313 von rund 11.000 Städten und Gemeinden in Deutschland und erreicht damit etwa ein Viertel der Bevölkerung. Laut einer Studie des DIW Berlin greift sie zwar nur in Regionen, in denen die Mieten in den vergangenen Jahren stärker als 3,9 Prozent jährlich gestiegen sind, bewirkte hier aber immerhin einen einmaligen Rückgang der Mieten um rund drei Prozent.