100 Jahre Bauhaus Selman Selmanagic (1905.- 1986.) i Bauhaus
Selman Selmanagić kam 1929 zufällig – oder schicksalsbedingt – ans Bauhaus: nach einem Gespräch im Zug nach Berlin. Als dieser junge Mann aus Srebrenica die Entscheidung traf, nach Deutschland zu gehen, um dort seine Kenntnisse im Bereich des Tischlerhandwerks zu vervollkommnen, ahnte er nicht, dass ein zufälliges Gespräch den weiteren Verlauf seines Lebens bestimmen würde.
Von Prof. dr. Aida Abadžić-Hodžić
Selman Selmanagić kam 1929 zufällig – oder schicksalsbedingt – ans Bauhaus: nach einem Gespräch im Zug nach Berlin. Als dieser junge Mann aus Srebrenica die Entscheidung traf, nach Deutschland zu gehen, um dort seine Kenntnisse im Bereich des Tischlerhandwerks zu vervollkommnen, ahnte er nicht, dass ein zufälliges Gespräch den weiteren Verlauf seines Lebens bestimmen würde. Vom mutigen und überraschenden Entschluss, am Bauhaus zu studieren, über seine beharrliche und fleißige Arbeit mit dem Ziel, diese Schule ohne zuvor bestehende Deutschkenntnisse und ohne jegliche Unterstützung zu absolvieren, bis zu seinem sehr frühen Beitritt zur Kommunistischen Partei bereits in seiner Studentenzeit, entwickelte sich Selman Selmanagić zu einem richtigen 'Bauhäusler'. Der Geist dieser Schule – Offenheit für Forschung und Experimente, selbständige Ermittlung von Lösungen, gesellschaftliche Verantwortung der Künste und der Architektur, soziale Sensibilität, Teamarbeit, Wechselwirkung von verschiedenen Gebieten und Disziplinen – hat nachhaltig sein Schaffenscredo geprägt. Die Lebens- und Berufsgeschichte von Selman Selmanagić ähnelt dem Drehbuch zu einem aufregenden Abenteuerfilm, sie ist voller Wendungen und Herausforderungen, definiert durch seinen starken und mutigen Charakter, seine Unmittelbarkeit, sein Temperament und seinen lebendigen Geist, aber auch durch die Herausforderungen der Zwischenkriegszeit und die Umstände im nach dem Zweiten Weltkrieg geteilten Deutschland.
Selman Selmanagić wurde am 25.4.1905 in Srebrenica geboren, obwohl in einigen Dokumenten auch Istanbul als sein Geburtsort angeführt wird, wo sein Vater Alija 1902 das Studium der Rechtswissenschaften abgeschlossen hat und wo seine Mutter Hayrije, Tochter eines hohen Beamten im späten Osmanischen Reich, geboren wurde. Seine Kindheit und seine Jugend verlebte er in einer traditionellen, religiösen, sehr angesehenen und gebildeten Familie auf einem Anwesen unweit von Srebrenica, umgeben von neun Brüdern und zwei Schwestern. Es waren die Jahre der österreichisch-ungarischen Verwaltung in Bosnien-Herzegowina, die dennoch von lebendigen Spuren der orientalen Kultur und Geistigkeit geprägt waren. Diese Vielschichtigkeit von Selmanagićs kultureller, von der Begegnung verschiedener Kulturen und Traditionen, der Begegnung von Osten und Westen gestalteter Identität, bedingte auch seine Offenheit, seinen selbstbewussten und sehr starken Charakter sowie seine Fähigkeit, empfänglich zu sein und an Unterschieden zu lernen.
Aufgrund seiner schlechten Deutschkenntnisse wurde Selmanagić in sein zweites Semester, das Sommersemester 1930, als Hospitant „unter scharfer Probe“ aufgenommen, und zwar in die vom Architekten Alfred Arndt geführte Ausbau-Werkstatt, in der er nachhaltig das zentrale Prinzip von Meyers Reform der „Gestaltung für Massen aufgrund der alltäglichen Bedürfnisse von Menschen“ verinnerlichen konnte.
Bis zum vierten Semester finanzierte Selmanagić sein Studium selbständig, und zwar mit dem Geld, das er in der Tischlerei-Werkstatt am Bauhaus verdiente. Da er jedoch nach einer gewissen Zeit seine gesamten Ersparnisse ausgegeben hatte, wandte er sich an seine Familie mit der Bitte um finanzielle Unterstützung. Sein Vater, der bis dahin weder wusste, dass sein Sohn am Bauhaus studiert, noch um was für eine Schule es sich dabei handelte, wollte sich selber von den erworbenen Kenntnissen und Fähigkeiten seines Sohnes überzeugen und forderte von seinem Sohn, das neue Haus auf dem Familienanwesen unweit von Zvornik selbständig zu planen und den Bau zu leiten. Davon sollte dann die finanzielle Unterstützung abhängen. Volle drei Monate bereitete Selman den Entwurf vor und löste auch selbständig die Fragen der Statik sowie alle anderen Fragen, die im Laufe des Hausbaus auftauchen würden, denn die Arbeitskräfte, die er vor Ort vorfand, waren nicht in der Lage, die komplizierten architektonischen Pläne zu „lesen“. Als er seinem Professor Ludwig Hilbersheimer im nächsten Semester die Pläne des Hauses in Zvornik vorlegte, lobte er ihn mit dem Kompliment, Selmanagić sei der „Le Corbusier des Balkans“.
“[...] ich war schon in allen rassen und religionen. (von moses bis komintern) um bei juden arbeiten zu koennen hier muss man juedisch sein, bei arabern mohamedanisch [sic]. infolgedessen habe ich je nach der arbeitsstelle ‚die farbe gewechselt‘, und man hat mir immer geglaubt. ich habe dabei gesehen dass es nur auf die aeussere form ankommt wenn ich ein rotes fez trage haelt man mich fuer einen mohamedaner [sic].”
Selmanagić kehrte im Jahr 1939 nach einer Aufforderung von Freunden aus der kommunistischen Zelle nach Berlin zurück. Zuerst arbeitete er kurz im Büro von Egon Eirmann, danach als Filmarchitekt und Szenograph in den UFA-Filmstudios. Nach dem Ende des Kriegs wurde er Mitglied des Planungskollektivs von Hans Scharoun, das für den Wiederaufbau der zerstörten Stadt zuständig war. Selmanagić arbeitete fünf Jahre lang (1945-1950) in diesem Kollektiv des Berliner Magistrats als Leiter des Referats für Kultur- und Erholungsstättenplanung. Sein wichtigstes Projekt aus dieser Zeit war das Walter Ulbricht Stadion / Stadion der Weltjugend (1950), das seinerzeit größte Leichtathletik- und Fußballstadion der DDR (leider wurde das Stadion 1992 niedergerissen). Gleichzeitig begann Selmanagić bereits 1945 auch für die VEB Deutschen Werkstätten in Dresden-Hellerau als Möbeldesigner zu arbeiten. Während dieser intensiven und langjährigen Zusammenarbeit, die bis zum Ende seines Lebens andauerte, sind einige Möbelstücke entstanden, die für Klassiker des DDR-Designs gehalten werden und seriell angefertigt wurden, wie z. B. der Seminarstuhl (1949).
Während der ungünstigen Periode des sogenannten Formalismusstreits Anfang der 1950er Jahre, als die Rezeption des Bauhauses und der modernen Architektur unter dem scharfen Blick der SED stand, erstellte Selmanagić nur wenige Entwürfe, denn er lehnte sich gegen die ideologische Diktatur des Sowjetblocks durch das Wirken der Deutschen Bauakademie (DBA) auf. Er konzentrierte sich vor allem auf seine pädagogische Arbeit und versuchte dabei, die zentralen Werte des Bauhauses am Leben zu erhalten. Von 1950 bis 1970 war Selmanagić Leiter des Fachgebiets Architektur und Professor für Bau- und Raumgestaltung an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee in Ost-Berlin.
Zusammen mit seinen Studenten arbeitete er an der Erweiterung und Adaptierung des Gebäudes der Kunsthochschule Berlin-Weißensee 1956. Dies kann man auch auf dem Relief am Einfang der Schule nachlesen. Selmanagić war sehr temperamentvoll, hatte einen starken Charakter und zögerte nicht, seine Meinung offen zu sagen, selbst bei den führenden gesellschaftlichen Eliten der damaligen DDR. Dieses „südländische“ Temperament kam manchmal auch im Unterricht zum Vorschein, wie manche seiner Studenten betonten. Selmanagić ärgerte es, wenn die Studenten die Gelegenheit, von ihren Professoren etwas zu lernen, verstreichen ließen, wenn sie oberflächlich oder unordentlich waren, wenn er in ihnen keinen Enthusiasmus für neue Herausforderungen oder Mut, sich auf Probleme einzulassen, bemerkte. Der Student Soveig Steller, der von 1962 bis 1967 an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee studierte, verglich die Temperamentausbrüche seines Professors bildhaft mit der Intensität von „Naturkatastrophen“.
Obwohl im fortgeschrittenen Alter, blieb Selmanagić in seiner Seele ein „Bauhäusler“, und die Frische und Offenheit seines Geistes im Hinblick auf die Herausforderungen, die jede Zeit mit sich bringt, zeigen auch seine Überlegungen im Zusammenhang mit einem Schrank für die Jugend, die in den achtziger Jahren ganz andere Ankleidegewohnheiten im Vergleich zur Zeit seiner Jugend hat. Selmanagić bemerkte nämlich, dass die meisten jungen Menschen Jeans tragen und dass für dieses Kleidungsstück, das nicht wie Stoffhosen aufgehängt werden braucht, das Innere des Schranks anders gestaltet werden müsste. Das macht deutlich, wie lebendig in ihm die Erinnerungen an seine Arbeit in der Klasse von Meister Arndt geblieben waren und wie er dessen Lehren auch unter anderen soziokulturellen Rahmenbedingungen aktualisieren konnte, was das Wesen des Bildungs- und Gestaltungskonzepts von Bauhaus ausmacht. Auch in einem seiner letzten Interviews aus dem Jahr 1985 zeigte er Interesse und Offenheit für das Verstehen des neuen Zeitgeistes und der neuen Gewohnheiten von jungen Menschen, als er sagte: „Man soll die Gegenwart erforschen und für die Gegenwart gestalten.“
Selman Selmanagić starb 1986 in Berlin und wurde auf eigenen Wunsch auf dem Familienfriedhof unweit von Srebrenica, das für ihn, wie seine Studenten und seine Töchter häufig betonten, stets der zauberhafteste Ort auf der ganzen Welt geblieben war, beigesetzt.