Spektakuläres, Vergessenes, Denkwürdiges und Utopisches: Warum die Berlinale ist, was sie ist.
Von Ula Brunner
Der Heizpilzfaktor: Mangel als Trumpf
Nach Cannes und Venedig gehört die Berlinale zweifelsfrei zur Topliga der Internationalen Filmfestivals. Im frühlingshaften Mai erstrahlt Cannes mit Glamour, Stars und großer Filmkunst. Venedig, das älteste Filmfest der Welt, glüht im Spätsommer romantisch-entspannt nach. Und die Berlinale? Rein wettermäßig hat die deutsche Hauptstadt im frostigen Februar wenig zu bieten, meist noch nicht einmal Schnee. Kein Sekt unter Palmen, dafür Bibbern auf dem roten Teppich und deutsches Bier unter Heizpilzen.
Wenn es nach Anna Brüggemann geht, könnte es mit dem Frieren im dünnen Fummel sowieso bald vorbei sein. Die Schauspielerin ruft auf #nobodysdoll dazu auf, beim Festival-Schaulaufen auf die klassische Kleiderordnung zu verzichten: „Wer einmal den Unterschied zwischen einem Abend im schützenden Sakko und Sneakern oder leichtem Kleidchen und High Heels am eigenen Leib erlebt hat, weiß, wovon ich spreche.“ Die Berlinale beteuert, längst sei die Sexismus- und #MeToo-Debatte auf dem Festival angekommen. Bei der Filmauswahl habe man eine besondere Sensibilität für sexistische Szenen bewiesen, doch es gehe auch „um Diskriminierung insgesamt“. Lassen wir die Zahlen sprechen: Laut diesjähriger Berlinale-Statistik stammen ein knappes Drittel, nämlich 32,9 Prozent aller eingereichten Filme von Regisseurinnen. Frauen haben ein Sechstel, also vier der 24 Wettbewerbsproduktionen gedreht. Fünf Bären haben Regisseurinnen in 67 Berlinale-Jahrgängen in den Händen gehalten, zuletzt 2017 die Ungarin Ildikó Enyedi für „Körper und Seele“.
Der Politikfaktor ...
Manche sagen, der dezidiert politische Anspruch der Berlinale entspringe einer Profilneurose, einer Verzweiflungsoffensive nach dem Motto: kein Strand, kein Wetter, keine Stars – dafür werden wir politisch. Wahr ist: Die Berlinale war von Anfang an ein Politikum. 1951 in der Trümmerstadt Berlin als „Schaufenster der freien Welt“ und „kulturelles Bollwerk gegen den Bolschewismus“ gegründet, jahrzehntelang geprägt vom Kalten Krieg. Erst nach dem Mauerfall endete der kulturelle Konfrontationskurs. Doch auch heute schimmert hinter der immer größer werdenden Vermarktungsmaschinerie des Festivals die Vision auf, etwas bewegen zu wollen.
Festivaldirektor Dieter Kosslick | Foto (Detail): Ulrich Weichert / Berlinale 2017
Bei diesem Festival kam es schon im Vorfeld zum Eklat. Seit einer gefühlten Ewigkeit, genau seit 2001, leitet Dieter Kosslick den Berliner Bärenzirkus: als bestens aufgelegter Gute-Laune-Papa. Im Mai 2019 wird seine Ära definitiv enden. Deswegen forderten 79 deutsche Filmschaffende Ende letzten Jahres, den Führungswechsel auch für einen kuratorischen und organisatorischen Neuanfang zu nutzen. Es folgte eine böse Debatte, in der Kosslick quasi die Fähigkeit als Festivalleiter abgesprochen wurde. Drei Monate später, kurz vor Start der 68. Berlinale erklärte dieser zwar, das sei „alles Geschichte, all history“. Doch Mister Gute Laune zeigte sich ungewohnt zurückhaltend: „Der Humor ist reduziert. Die Spaßbremsen mochten es ja nicht.“ Ganz spurlos wird der Thronstreit wohl nicht an ihm vorübergehen.