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Was ist der Zustand von Freiheit heute in Europa? Wo ist sie in Gefahr? Wie stärken wir sie?
In dem europaweiten Projekt „Freiraum“ haben 42 Goethe-Institute und 53 Partner-Organisationen aus Kultur, Wissenschaft und Zivilgesellschaft seit Herbst 2017 der Frage nach: Was ist Freiheit in Europa? Wo ist sie in Gefahr? Wie stärken wir sie? Im Herbst 2020 soll das Projekt seinen Abschluss finden. Dann kam die COVID-19 Pandemie…und nun erleben wir auf noch nie dagewesene Weise, welchen Einfluss ein Virus auf die Freiheit in Europa hat – einerseits erleben wir neue Abschottungstendenzen und Grenzschließungen, Kontakt- und Ausgangssperren und die verstärkte Kontrolle des öffentlichen Lebens. Andererseits eröffnen sich auch durchaus neue Freiheiten – sei es im Netz oder zuhause.
Wir befragen in einer mehrteiligen Videoreihe unsere Freiraum-Partner*innen in ganz Europa, wie sie die Situation persönlich erleben (im Hinblick auf Freiheit) und wagen einen Blick voraus.
Milan Zvada - Banská Bystrica
Jelena Joksimović - Belgrad
Maud Qamar - Brüssel
Vasiliki Grammatikogianni - Athen
Lydia Chatziiakovou - Thessaloniki
Edit Pula - Tirana
Ira Bliatka - Paris
Serena Miceli - Turin
25 Gesprächsrunden, viele Aha-Momente und einige Kontroversen – das war “The Big Conversation on Safety and Freedom” am Wochenende in der Beursschouwburg. Zusammen mit mehr als 100 Diskutant*innen haben wir bis in die Nacht über Ethnic Profiling, (un)sichere Kinderspielplätze, Überwachungskameras und Europas Verteidigungs- und Sicherheitspolitik diskutiert, gestritten und gestaunt. Zwischendurch zeigte uns der „Spiegel“-Journalist Haznain Kazim mit seinem Buch „Post von Karlheinz“, wie man Hass in Humor verwandeln kann. Hier ein paar Eindrücke:
FREIRAUM + BRÜSSEL: Europa und seine Institutionen haben sich in Brüssel wie in einen Fremdkörper eingepflanzt. Wie können wir den Fremdkörper integrieren und Brüssel wirklich zur Hauptstadt Europas werden lassen? Wie würde, wie könnte ein solches Brüssel aussehen?
Von außen wird Brüssel gern als mahlendes Zahnradgetriebe wahrgenommen, als eine graue Stadt der EU-Bürokrat*innen. Das Lebensgefühl in der Stadt dagegen ist ein anderes, sagt Tom Bonte, Leiter des Kunstzentrums Beursschouwburg und Freiraum-Projektpartner: lebendig, vielfältig, experimentell, extrem multikulturell. Brüssel möchte wissen, wie man die EU-Institutionen besser mit der Stadt verschmelzen könnte, um Brüssel auch gefühlt zur freien Hauptstadt Europas zu machen.
UNSERE PARTNERSTADT: FREIRAUM + WARSCHAU: Wie würden wir uns entscheiden, wenn wir die freie Wahl hätten zwischen dem Zugang zu sämtlichen Informationen und dem Leben in der Filterblase?
Wenn ein Überfluss herrscht an Meinungen, Ansichten und Kommentaren, dann macht uns das Angst – wir ziehen uns lieber in einen Raum zurück, an dem wir uns sicher fühlen. Gerade angesichts der Informationsflut im Internet weichen wir zurück in unsere jeweilige Filterblase und wissen dann sehr schnell nicht mehr, was wir nicht wissen. Die Welt driftet auseinander, weil jeder ein anderes Internet und damit eine ganz andere Welt vor sich hat, Kommunikation im Sinne von offenem Meinungsaustausch wird verlernt, es droht der Zerfall des gesellschaftlichen Zusammenhalts.
„Europa und seine Institutionen haben sich Brüssel wie ein Fremdkörper eingepflanzt. Wie können wir den Fremdkörper integrieren und Brüssel wirklich zur Hauptstadt Europas werden lassen? Wie würde, wie könnte ein solches Brüssel aussehen?“:
Dies ist die Frage, die Ende September von Brüssel-Expertinnen und Experten im Rahmen des „Freiraum“-Workshops in der Beursschouwburg ausgearbeitet und vom Publikum bei einer öffentlichen Debatte ausgewählt wurde.
Wie ist die Lage in Brüssel? Die europäischen Institutionen in Brüssel sind stetig gewachsen. Während sie in den sechziger Jahren eine Randposition einnahmen, beschäftigen sie heute über 40.000 Angestellte. Zahlreiche internationale Institutionen sind ihrem Beispiel gefolgt; insgesamt hat die Globalisierung fast 200.000 Expats in die Stadt gebracht. Zugleich ist Brüssel eine Stadt der Einwanderung aus der ganzen Welt, vor allem aus Nord- und Zentralafrika. Dieser demographische Wandel hat die Hauptstadt Belgiens zu einer kleinen Weltstadt gemacht. Fast zwei Drittel der Bevölkerung hat ausländische Wurzeln. Kurz gesagt, Brüssel ist eine extrem vielfältige Stadt.
Außerhalb Belgiens wird Brüssel jedoch hauptsächlich mit den EU-Institutionen identifiziert. „Brüssel hat entschieden“ ist eine gängige Bezeichnung dafür, dass Minister aus allen Mitgliedsstaaten bei einem Gipfel zu einem Schluss kommen. Zu oft wird die EU auf ihre bürokratischen Aspekte reduziert, und diese Zuschreibung gilt auch unsere Stadt. Es ist, als hätten sich die Mitgliedsstaaten zwar damit abgefunden, dass die Administration der EU in unserer Stadt angesiedelt ist. Doch die Chance, dass Brüssel das wahre Zentrum des europäischen Projekts sein könnte, bleibt ungenutzt.
In Wahrheit ist Brüssel eine Stadt mit vielen Gemeinschaften, Nationalitäten, Sprachen und Religionen - und außerdem die Hauptstadt eines Landes mit drei Sprachgemeinschaften. Diese Vielfalt hat sich aber noch nicht in der Idee einer gemeinsamen europäischen Bürgerschaft niedergeschlagen, einer Idee, die das Ansehen des europäischen Einigungsprozesses verbessern könnte.
Daher stellt sich die Frage: Wie können wir mit dieser Vielfalt besser umgehen, so dass Brüssel zum wahren Zentrum der EU wird? Wie würde ein solches Brüssel aussehen? Wie können wir uns von den Vorurteilen und den Zuschreibungen befreien und als urbaner Raum für alle Europäer in Erscheinung treten? Warum können wir Brüssel nicht als europäisches Laboratorium verstehen – als Freiraum – und eine weltoffene, europäische Stadt erfinden?
Zu unseren Freiraum-Experten und Expertinnen zählten:
- Eric Corijn, Kulturphilosoph und Sozialwissenschaftler (VUB, Cosmopolis, Brussels Academy)
- Philippe Van Parijs, Professor für Ökonomie und Sozialethik, Gründer des Basic Income Earth Network (UCL, KU Leuven, Oxford)
- Tom Bonte, Leiter (Beursschouwburg)
- Sophie Alexandre, Koordinatorin (Réseaux des arts de Bruxelles)
- Leen de Spiegelaere, Koordinatorin (Brussels Kunstenoverleg)
- Bie Vancraeynest, Programmleiterin Enter Festival (Demos)
- An Descheemaeker, Koordinatorin (BRAL)
- Cristina Nord, Programmleiterin (Goethe-Institut Brüssel)