Es gibt viele verschiedene Gründe, um Deutsch zu lernen. Der brasilianische Dichter und Phililosoph Antonio Cicero hatte wahrscheinlich eine der schwierigsten Motivationen: die deutschen Philosophen im Original zu lesen. Und Cicero schaffte dies, er eignete sich sogar das spezielle Vokabular an.
Im Interview in der Bibliothek des Goethe-Instituts Rio de Janeiro, die er seit vielen Jahren regelmässig besucht, spricht Antonio Cicero über den Nutzen von Deutsch für seine Laufbahn , seine Vorliebe für den Deutschen Idealismus und die Frankfurter Schule sowie seine seine Vorhersage für die Zukunft der Bibliotheken.
Herr Cicero, wie war Ihr erster Kontakt mit dem Goethe-Institut Rio de Janeiro? Erinnern Sie noch noch daran?
Nein, daran erinnere ich mich nicht. Aber es kommt mir vor, als ob es schon seit immer Teil meines Lebens wäre.
Und wie sind Sie zum Goethe-Institut gekommen?
Ich habe Philosophie studiert und da waren zwei Sprachen sehr wichtig: Ein Dozent sagte mir, ich müsse Deutsch können und Altgriechisch. Als ich das Goethe-Institut während des Studiums entdeckt habe, war ich begeistert, weil ich dadurch Zugang zu all der Literatur hatte, die ich liebte. Einiges hatte ich auch schon auf Portugiesisch gelesen, Thomas Mann zum Beispiel und dann habe ich angefangen, “Der Zauberberg” und alle Erzählungen auf Deutsch zu lesen, Kafka und viele andere Sachen, die ich dort ausgeliehen habe. In meiner Ausbildung gehörte das Goethe-Institut zusammen mit der Buchhandlung “Leonardo da Vinci” und der Universität zu den wichtigsten Einrichtungen.
Also ist das Goethe-Institut ein bisschen wie dieser gute Freund, den man hat, aber bei dem man nicht weiss oder sich nicht erinnert, wann man ihn kennengelernt hat?
Eher die Bücher der großen deutschen Philosophen (lacht). Die deutschen Idealisten und die Frankfurter Schule habe ich besonders studiert. Aber ich habe überhaupt viel gelesen, Zeitgenössisches und Klassisches. Ich habe sogar das Vokabular dieser Philosophen gelernt, um mich besser ausdrücken zu können.
Sie haben auch einen Essay über Hölderlin geschrieben. Welche Bedeutung hat er für Sie?
Hölderlin ist ein Dichter, den der Philosoph Heidegger viel studiert hat. Ich denke anders als Heidegger, auch wenn er der Philosoph sein mag, den ich am meisten gelesen habe – ich stimme nie überein. In dem Essay über Hölderlin habe ich Heidegger fast nicht zitiert. Aber das, was er geschrieben hat, regt mein Denken an. Ein anderer wunderbarer Dichter ist Rilke. Außer den Philosophen mag ich die deutschen Dichter sehr. Vom Allroundtalent Goethe ganz zu schweigen.
In welcher Sprache lesen Sie die Gedichte?
Poesie muss in der ursprünglichen Sprache sein. Die Übersetzung verliert immer. Will heißen: Man kann ein Gedicht übersetzen und ein so schönes Gedicht erzeugen wie das Original. Aber es ist immer etwas anderes. Wegen dieser Bedeutung der deutschen Sprache wäre mein ganzer Weg ohne das Goethe-Institut und seine Bibliothek nicht möglich gewesen.
Die Bibliothek im allgemeinen sieht sich grossen Herausforderungen gegenüber. Schon seit einiger Zeit steht auch wegen des digitalen Wandels vieles in Frage. Die “Biblioteca Parque” ist in diesem Jahr geschlossen worden.
Für mich war das schockierend. Die “Biblioteca Parque” hat eine grosse Bedeutung. Sie lag im Zentrum von Rio und gegenüber der “Central do Brasil”. Da sind Leute aller sozialen Klassen hingegangen und wenn man reingekommen ist, hatte man den Eindruck, man sei in einer Bibliothek der Ersten Welt. Die “Biblioteca Parque” war einer der wenigen Orte, der für Personen aller sozialen Klassen zugänglich war. Ich halte es für ein Verbrechen, dass diese Bibliothek geschlossen worden ist.
Wie sehen Sie als Poet die kommenden 60 Jahre der Bibliotheken im Hinblick auf das Leseverhalten der neuen Generation(en) und die Diskussion über die Bibliothek als Treffpunkt?
Ich denke, dass die Bibliothek weiter eine sehr wichtige Einrichtung sein wird, auch weil ich das Buch immer noch für sehr wichtig halte. Ich lese gerne auf Papier. Wenn ich ein Buch aus dem Internet verwende, drucke ich gerne nach und nach die Seiten aus, jedes Mal zehn. In der Bibliothek entdeckt man Sachen die man nicht erwartet hätte. Es ist gut, dass es Büchereien, Bibliotheken und Buchläden gibt. Für mich ist die Bibliothek ein Ort der Stille. Daran ändert sich im Grunde genommen nichts.