Der Übersetzer und Schriftsteller Marcelo Backes spricht über den Stand der deutschen Literatur in Brasilien, seinen Bezug zu Deutschland und die Rolle der Übersetzung als Brückenbauer.
Herr Backes, wie war Ihr erster Kontakt mit dem Goethe-Institut Rio de Janeiro? Erinnern Sie noch daran?
Das ist eine Verbindung die seit den 90er Jahren besteht und die im Goethe-Institut Porto Alegre begonnen hat, wo ich gewohnt habe. Wenn deutsche Autorinnen und Autoren nach Porto Alegre gekommen sind, habe ich entweder moderiert oder sie begleitet. Also die Verbindung war die Literatur. Danach hat die Zusammenarbeit sich um São Paulo erweitert. Ich habe an verschiedenen Programmen teilgenommen und war brasilianischer Koordinator des Litrix (ein Spezialprogramm des Goethe-Instituts, um die Publikation deutscher Literatur zu unterstützen, Anm. d. Red.). Dadurch, dass ich als Vermittler zwischen Brasilien und Deutschland fungiere und das Goethe-Institut diese Rolle auch einnimmt, war eine Zusammenarbeit quasi natürlich.
Der Bezug zur deutschen Sprache kommt über ihre Familie, nicht wahr?
Ich habe als Kind zwar einen Dialekt gesprochen, der komplett anders ist als das Hochdeutsch, aber der genug war, damit ich zum Hochdeutsch übergehen konnte, ohne dass ich einen Sprachkurs gebraucht hätte. Also habe ich bis heute nur vier Wochen Kurs gemacht, bevor ich meine Promotion in Deutschland gemacht habe. Ich habe schon sehr gut Deutsch gesprochen und trotzdem vom DAAD großzügiger Weise ein Stipendium bekommen, um am Goethe-Institut Göttingen Deutsch zu lernen.
Viele der deutschen Immigranten sind in die südlichen Bundesstaaten gegangen.
Ich bin auch Nachkomme von Deutschen aus dem Inneren von Rio Grande do Sul, wo die Deutschen nur unter sich geheiratet haben. Ich bin schon die fünfte Generation in Brasilien, das heißt es war eine sehr frühzeitige Immigration. Es gibt auch einige Besonderheiten, die bei mir anthropologische Neugier wecken, sie zu untersuchen. Das ist ziemlich kompliziert, weil die Leute Originaldokumente nicht aufgehoben haben, sodass man nicht einmal weiß, woher aus Deutschland sie kommen – sie sind wirklich gekommen, um zu bleiben –, ihre Spur hat sich verloren. Ich weiß nur von einer Großmutter, weil sie aus einer Familie ist, die sehr spät emigriert ist, dass ihre Eltern aus München waren.
Backes ist kein besonders gewöhnlicher Familienname in Deutschland.
Ich schaffe es heute, ihn aus eigener Erfahrung zwischen Mosel und Rhein zu verorten. Es gibt unglaubliche Zufälle. Wo ich – außer dem Literarischen Colloquium Berlin – oft bin, alles auf Vermittlung des Goethe-Instituts, ist das Europäische Übersetzer Kollegium in Straelen. Und in jener Region gibt es einige Backes, es gibt sogar einen Backespath.
Wie ist ihr Interesse für die Literatur entstanden?
Meine Arbeit mit der deutschen Literatur hat mehr oder weniger früh begonnen, als ich festgestellt habe, dass es viele Lücken im Kanon gibt. Das heißt, auch unter den klassischen Werken fehlt in Brasilien noch vieles, was nicht übersetzt ist und da habe ich angefangen, klassische Werke zu übersetzen, die ich für wichtig hielt. Nach und nach ist daraus eine immer umfangreichere Tätigkeit entstanden.
Inwiefern?
In einigen Jahren habe ich mindestens vier Bücher übersetzt, vielleicht auch mehr, als ich mich ausschließlich dem Übersetzen gewidmet habe. Und nach und nach haben die deutschen Institutionen wie das Literarische Colloquium Berlin angefangen, mit mir in Kontakt zu treten und mich gefragt, ob ich nicht an einigen Veranstaltungen teilnehmen wollen würde. Sie haben angefangen, Übersetzungen von neuen zeitgenössischen Autorinnen und Autoren anzuregen oder zu unterstützen. Ich war dafür verantwortlich, dass einige zum ersten Mal übersetzt wurden, Juli Zeh, Sasa Stanisic, Ingo Schulze und andere. Mit einigen habe ich mich auch angefreundet, wenn sie nach Brasilien kommen, besuchen Sie mich und wenn ich in Deutschland bin, besuche ich sie.
Die deutschen Autorinnen und Autoren haben einen schweren Stand in Brasilien.
Wir haben auch institutionell angefangen, über ein gewisses Vorurteil Brasiliens in Bezug auf die deutsche Literatur zu diskutieren. Die deutschen Autorinnen und Autoren haben sich den Verlagen angeboten und niemand hat sich für sie interessiert, weil man dachte, dass sie sich nicht verkaufen würden. Auf gewisse Weise hat die historische Erfahrung gezeigt, dass deutsche Autorinnen und Autoren sich sehr viel weniger verkaufen als russische oder französische. Die Vorstellung ist die, dass die deutschen Schriftsteller hermetisch, philosophisch, zu schwierig sind. Und da hat eine Arbeit angefangen, diese Autorinnen und Autoren nach Brasilien zu holen, sie zu verbreiten und dafür zu sorgen, dass sie sich verkaufen. Man sieht die Problematik daran, dass es in Brasilien keine kompletten Werke von Goethe oder Schiller gibt. Das Goethe-Institut hat auch ein umfangreicheres Programm aufgestellt, an dem ich teilgenommen habe, um festzustellen welches die Werke sind die bis heute nicht übersetzt wurden und übersetzt werden sollten.
Was war Ihre interessanteste Übersetzungserfahrung?
Das war vielleicht die von Ingo Schulzes “Neue Leben” (eines des repräsentativsten Bücher der deutschen Wiedervereinigung, Anm. d. Red.). Nachdem dieses Buch eine sehr eigenwillige Erzählstruktur aufweist, hatte ich die Idee, dass Ingo eine weitere Ebene kreiert, auf der der Übersetzer auch zu einer Figur wird, die Marcelo Backes heißt und die Übertragung dieses Buches nach Brasilien kommentiert. Also bilden sich literarische Brücken und das ist ein sehr interessanter Prozess für die beiden Länder.
Sie repräsentieren den deutsch-brasilianischen Austausch im Zusammenhang mit dem Goethe-Institut sehr gut.
Backes: Vieles von dem, was in Brasilien zuletzt in Bezug auf die deutsche Literatur gemacht wurde, hat mit mir zu tun. Aber ich könnte das keinesfalls machen, wenn ich nicht mit der Unterstützung des Goethe-Instituts und der anderer Institutionen, für die das Goethe-Institut die Brücke ist, rechnen könnte. Auch wenn ich ein brasilianischer Übersetzer und Schriftsteller bin und in Brasilien lebe, habe ich wahrscheinlich mehr Unterstützung von Deutschland bekommen als von Brasilien. Also diese Rolle füllt das Goethe-Institut sehr gut aus, hat das Goethe-Institut historisch sehr gut ausgefüllt und es wird sie sicher auch in den kommenden 60 Jahren ausfüllen.