Deutsche Serien in Kanada
Totenfrau
Fans des nordischen Noir werden von Netflix's „Totenfrau“ prompt abgeholt, spielt doch der sechsteilige Thriller in den Tiroler Alpen Österreichs.
Von Josef Markus
Das kalte Grausen hier kommt aber nicht nur vom Klima. Eine malerische Bergstadt verbirgt eine kriminelle Unterwelt, in der die Privilegien seiner Oberschicht über Korruption hinaus zu grotesker Verdorbenheit reichen, während die Heldin selbst eher eine Soziopathin ist, die sich lieber mit den Toten als mit menschlicher Gemeinsamkeit beschäftigt. In dieser Art von Krimithriller sind Traumata und Psychosen der Motor der Handlung.
Du willst es dunkler
Basierend auf einem Kriminalroman von Bernd Aichner, erzählt Totenfrau die Geschichte der Bestatterin Brünhilde Blum (Anna-Maria Mühe), die mit Mark (Maximilian Kraus), einem recht gelassenen Polizisten, verheiratet ist. Sie leben mit ihren beiden Kindern in einer kleinen Stadt außerhalb von Innsbruck, in der die Besitzer des örtlichen Skigebiets die eigentliche Macht ausüben. Als Mark eines Morgens bei einem Unfall ums Leben kommt, sind seine Kollegen seltsam uninteressiert daran, die Spuren zu verfolgen, aber Blum beginnt zu graben, und zu graben.Auch heute noch hat die erwachsene Blum einen Draht zu den kürzlich Verstorbenen, wenn niemand in der Nähe ist. Mark war ihr Anker in der realen Welt, ihr Licht, und mit seinem Mord kommt Blums innere Dunkelheit wieder zum Vorschein. Ihr Sinn für Ungerechtigkeit wird zu einem stumpfen Werkzeug, das sie gegen jeden ins Feld führt, der sich ihr in den Weg stellt.
Der Horror, der Horror
Totenfrau ist eine Koproduktion zwischen Netflix und dem österreichischen ORF-Netzwerk und gehört zu einer jüngsten Welle von deutschsprachigen Krimiserien, die in abgelegenen Bergstädten spielen. Man könnte es als „Alpinen Noir“ bezeichnen, bei dem die Produzenten versuchen, den Zuschauern jeden wohligen Gedanken an malerische Ferienorte auszutreiben. In diesen idyllischen Orten herrscht kein Mangel an Unheil. Das Schweizer Fernsehen hat vier düstere Staffeln von Wilder beigesteuert, und Deutschland hat mit Höllgrund, das in einer Stadt im Schwarzwald spielt, Totenfrau nur um zwei Monate überholt. Vielleicht schlägt jemand jetzt eine düstere und grimmige Neuauflage von Heidi vor.Totenfrau und Höllgrund beleuchten beide die Benachteiligung von Migranten in isolierten Berggemeinden. Die Einheimischen wollen nicht, dass das 21. Jahrhundert an ihre Haustür klopft, aber es muss kommen, und nur die jungen Heldinnen jeder Serie verstehen das.
Beide Serien gehen auch auf die gruseligere Seite eines dunklen Krimithrillers ein und flirten mit dem Horrorgenre. Blum spricht natürlich mit Toten, und die Polizistin in Höllgrund wird regelmäßig von dem Geist ihres verstorbenen Vaters besucht, der ihr bei der Aufklärung seines Mordes sarkastische Einschätzungen liefert.
In beiden Fällen bewahrt die Serie ein Element der Ambiguität - wir verstehen, dass die Gespräche im Kopf der Protagonisten stattfinden. Aber die Nähe zum Unheimlichen könnte ein Zeichen dafür sein, dass der Realismus unzureichend ist, um die heute in der Welt herrschenden Pathologien darzustellen. Oder vielleicht ist es einfach ein Zeichen dafür, dass selbst in der deutschsprachigen Fernsehwelt die Standardformeln für Krimiserien ausgereizt sind und das Format neu gewürfelt werden muss, insbesondere wenn die Sender jüngere Zuschauer gewinnen wollen.
#MeToo, mit Blutvergießen
Um die Verschwörung hinter dem Mord an ihrem Mann aufzudecken, muss Blum in Totenfrau ihre innere Femme fatale finden. Ihre Ziele in der Clique der örtlichen Machthaber sind natürlich alles Männer, jeder von ihnen ein Paradebeispiel für vermessen arrogante Privilegien. Blum entdeckt schließlich, dass jede Institution in ihrer Stadt kompromittiert ist, wenn nicht sogar bis ins Mark verrottet.Totenfrau ist äußerst fesselnd, allein schon weil in jeder Episode einfallsreiche Gewalt ausbricht. Sie wird jedoch auch ein wenig repetitiv und abgestumpft. Die Serie ist ausgesprochen gut besetzt: Es macht Spaß, zu sehen wie Anna-Maria Mühe zur Rache-Queen wird, während ihre Gegner als Beispiel für kühle, amoralische Schurkerei herhalten, bedrohliche Typen voller seidener Herablassungen. Zu den weiteren Leckerbissen der Serie gehören die einfallsreichen Vorspannsequenzen, die wie eine Serie von lebendigen Krimiroman-Covern aus vergangenen Zeiten wirken. Und es macht richtig Laune, mit Blum auf ihrem Motorrad die Alpenstraßen entlangzurasen, die Kamera tief hinter ihr her.
Schließlich zeigt eine furchterregende Rückblende in der letzten Episode, dass die Lieblingssöhne der Stadt sich als Jugendliche durch eine unfassbar hässliche Tat sexueller Gewalt in einer Seilbahn im Skigebiet zusammengeschlossen haben. Als verwöhnte Mittvierziger sind sie dazu übergegangen, wehrlose Migrantinnen zu ermorden (wobei sie Tiermasken tragen, in der wohl offensichtlichsten Horrormovie-Geste der Serie). So rächt Blum nicht nur den Mord an ihrem Mann, sondern auch Jahrzehnte des Missbrauchs.
Wie bei Stieg Larssons berühmter Millennium-Trilogie ist es nicht schwer, Totenfrau als soziale Kritik im Gewand blutiger Groschenromane zu lesen. Eine beschädigte Heldin wird aufstehen, Taser in der Hand, um eine von bösen weißen Männern dominierte Gesellschaftsordnung zu zerstören. Die Szenerie erscheint zweifellos frischer, als Bernd Aichners Roman 2014 erstmals erschien. Fast ein Jahrzehnt später kann ein Zuschauer jedoch nicht umhin, festzustellen, wie gefährlich nahe Totenfrau an einer QAnon-Erzählung ist. Eine Gruppe von Perversen kontrolliert alles; wenn es doch nur so einfach wäre.
Totenfrau
Acht Episoden, jeweils ca. 48 Minuten Regie: Nicolai Rohde; Mit: Anna Maria Mühe, Felix Klare, Yousef Sweid, Gerhard Liebmann, Drehbuch nach dem Roman von Bernhard Aichner von Barbara Stepansky, Wolfgang Mueller, Benito Mueller, Mike Majzen und Nicolai Rohde. Originalmusik von Patrick Kirst
Produziert von Barry Films / Mona Film Produktion für Netflix / ORF
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