Klimawandel im Norden Quebecs
„Alles ist jetzt weniger vorhersehbar“
Die Förderung und der Schutz der Kunst und Kultur der Inuit aus Nunavik ist die Mission des Avataq Cultural Institute in Montreal, dem kanadischen Partner der Residenzkette beim Projekt „The Right To Be Cold“. Im Interview erzählen die Künstlerin Olivia Lya Thomassie und der Künstler Nicolas Pirti-Duplessis, beide Mitarbeitende im Institut, über ihre Leben zwischen zwei Kulturen, die Herausforderungen des Klimawandels auf das Leben im Norden des Landes und ihre Arbeit bei Avataq.
Von Caroline Gagnon
Unser Ziel ist es, zum Aufbau eines Netzwerks von Museen oder Archiven beizutragen, die sich der Inuit-Kultur widmen.
Nicolas Pirti-Duplessis
Nicolas Pirti-Duplessis Ich komme ursprünglich aus Akulivik. Mein Vater ist aus Quebec und meine Mutter ist Inuit, daher mein Nachname Pirti-Duplessis. Beide sind Lehrer, und ich wurde auch einer. Ich bin aber auch Übersetzer – ich bin dreisprachig – und Musiker. Meine Band heißt Arctistic. Arctistic, weil mein Dorf knapp unterhalb des Polarkreises liegt und das Album ein Kunstprojekt ist. Seit 2018 arbeite ich am Avataq Cultural Institute als Informationsbeauftragter. Davor habe ich im Bereich der Kartographie gearbeitet. Ich reiste zu elf Gemeinden in Nunavik und führte Interviews mit Jägern und Ältesten, um die Richtigkeit der in den 1980er Jahren gesammelten Toponyme zu überprüfen und gegebenenfalls Korrekturen vorzunehmen. So konnte ich viele Jagdgebiete und das Territorium von Nunavik entdecken, das vierzehn Gemeinden umfasst, plus die Gemeinde Chisasibi, die im Cree-Territorium liegt. Diese Gemeinden gehören zur Makivik Corporation, welche die Inuit in ihren Beziehungen zu den Regierungen von Quebec und Kanada vertritt. Es gibt 14.000 Inuit in Quebec und 67.000 in Kanada.
Olivia Lya Thomassie Ich komme aus Kangirsuk, an der Ungava-Bucht. Es liegt ungefähr auf dem gleichen Breitengrad wie Akulivik, wo Nicolas herkommt, aber Nicolas' Dorf liegt an der Hudson Bay. Ich habe ebenfalls gemischte Wurzeln: Mein Vater ist ein Quebecer aus Trois-Rivières, und meine Mutter ist eine Inuk aus Kangirsuk. Ich bin Künstlerin, habe kurze Kunstvideos mit Wapikoni mobile gemacht und interessiere mich für Perlen. Ich spiele auch ein bisschen Theater. Das Stück, in dem ich gerade mitspiele, Aalaapi, wird auf dem Festival TransAmériques präsentiert.
Nicolas Pirti-Duplessis Das Avataq Cultural Institute hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Sprache und Kultur der Inuit von Nunavik (Nord-Québec) zu schützen und zu fördern. Das Institut hat verschiedene Abteilungen: Archäologie, lokale Kulturkomitees, Forschung, Bibliotheken und Archive, Museologie, Inuktitut-Sprache, Kommunikation und Publikationen, Kunstsekretariat. Der Hauptsitz befindet sich in Inukjuak, einem Dorf an der Hudson Bay. Es gibt drei Vollzeitmitarbeiter. Wir haben auch ein Büro in Montreal, wo sich die Archive befinden und wir die uns anvertrauten Artefakte aufbewahren. Wir haben zum Beispiel eine Menge Interviews mit Ältesten aus den 1950er und 1960er Jahren gemacht. Unser Ziel ist es, zum Aufbau eines Netzwerks von Museen oder Archiven beizutragen, die sich der Inuit-Kultur widmen. Wir sind hauptsächlich auf lokaler Ebene aktiv, nehmen aber auch an internationalen Projekten teil.
Olivia Lya Thomassie Ich arbeite in der Abteilung Aumaaggiivik, dem Nunavik Arts Secretariat, innerhalb von Avataq. Unser Auftrag ist es, Künstler*innen aus Nunavik zu unterstützen. Wir haben ein Förderprogramm, helfen aber auch Künstler*innen beim Schreiben von Förderanträgen auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene. Wir fördern Veranstaltungen von Inuit-Künstler*innen, und jeden Monat stellen wir eine*n Nunavik-Künstler*in auf unserer Website vor. Ich interviewe die oder den Künstler*in des Monats und schreibe einen Text auf Englisch, der ins Französische und Inuktitut übersetzt wird. Wir organisieren auch Veranstaltungen, wie zum Beispiel die jüngsten Live-Shows auf Facebook.
Immer öfter bricht das Eis
Das Thema des Projekts „The Right To Be Cold“ ist der Klimawandel und seine Auswirkungen auf die zirkumpolaren Regionen. Sie kommen beide aus diesen Regionen und haben die Möglichkeit, regelmäßig dorthin zu fahren. Was sehen Sie dort? Wie macht sich der Klimawandel in Ihren Gemeinden bemerkbar?Olivia Lya Thomassie Ich habe mit vielen Menschen in meiner Gemeinde darüber gesprochen, auch mit Älteren. Alles ist jetzt weniger vorhersehbar, wenn es um das Klima geht. Eine Sache, die für mich heraussticht, sind die Unfälle mit Jägern und Fischern. Immer öfter bricht das Eis, wenn sie mit dem Schneemobil unterwegs sind.
Was sich ebenfalls geändert hat, ist die Tatsache, dass Materialien nicht mehr wie in der Vergangenheit wiederverwendet werden. Früher wurde zum Beispiel Robben- oder Karibuhaut zur Herstellung von Kajaks oder Schlitten verwendet. Das getötete Tier wurde also zur Befriedigung verschiedener Bedürfnisse verwendet.
Heute sind wir hauptsächlich mit dem Schneemobil unterwegs. Die müssen aber erstmal in unsere Regionen gebracht werden und Ersatzteile zur Reparatur müssen herangeschafft werden. Es ist sehr teuer und nicht umweltfreundlich.
Ich traf mich mit Indigenen aus Südamerika, die mir von den Bergbauprojekten in ihrem Gebiet erzählten. Auch wenn beispielsweise Minen Hunderte von Kilometern von den großen Zentren entfernt sind, haben sie Auswirkungen auf ein ganzes Land, denn alle Regionen sind durch die Natur miteinander verbunden, seien es Flüsse oder Bäume, die von der Bergbautätigkeit betroffen sind. Es ist also ein globales Problem.
Ich möchte noch hinzufügen, dass immer mehr Biolog*innen in den Norden kommen, um die Auswirkungen des Klimawandels zu untersuchen, indem sie Proben von Tieren oder Fischen nehmen. Ich freue mich darauf, die Ergebnisse dieser Studien zu sehen.
Viel mehr Schneefall als früher
Nicolas Pirti-Duplessis Ich erinnere mich, dass es in den 1990er-Jahren bereits im September kalt war. Ich erinnere mich sogar daran, dass wir an Halloween unsere Kostüme über unseren Wintermänteln tragen mussten, weil es so kalt war. Jetzt kommt die Kälte später. Früher konnten wir im Oktober mit dem Schneemobil aufs Eis fahren, aber jetzt ist es eher Dezember. Es gibt also mindestens eine zweimonatige Verzögerung. Außerdem gab es in den letzten Jahren viel mehr Schneefall als früher. Wenn dieser Schnee schmilzt, überflutet er das Dorf. Das ist ein weiteres Problem.Ich bin kein Wissenschaftler, aber ich denke, die Lösung müssen erneuerbare Energiequellen sein. In Kuujjuaq zum Beispiel gibt es ein geothermisches Kraftwerk. Auch in Island gibt es geothermische Anlagen. Ich denke, das wäre ein guter Weg, um mit den Energiequellen, die wir haben, Strom zu erzeugen.
Kehren Sie oft nach Nunavik zurück?
Olivia Lya Thomassie Ich versuche, so oft wie möglich hinzufahren, aber im Moment ist das wegen der Pandemie nicht möglich. Es befinden sich viele Leute in den Häusern und ich hätte keinen Platz für eine Quarantäne. Normalerweise gehe ich zwei- oder dreimal im Jahr.
Nicolas Pirti-Duplessis Die Flugtickets sind sehr teuer, im Durchschnitt 4.000 Dollar, aber durch die Unterstützung der Makivic Corporation erhalten wir einen Rabatt von 75 %. Das größte Problem, wie Olivia erklärte, ist es, eine Unterkunft zu finden, um die Quarantänezeit zu verbringen. In Kuujjuaq gibt es ein Haus für die Quarantäne, so dass man nicht gleich die ganze Familie zwingt sich mit einem in Quarantäne zu begeben, aber das gibt es anderswo meist nicht. Das macht derzeit Besuche sehr viel schwieriger.
Das Interview führte Caroline Gagnon, Programmkuratorin am Goethe-Institut Montreal.