Mark Ernestus
„Direktimport war ein Quantensprung“
Im Jahre 1989 gründete der damalige Kunststudent und Kneipenbetreiber („Kumpelnest 3000“) Mark Ernestus in Berlin-Kreuzberg den Plattenladen Hard Wax, der schnell zu einem der Fixpunkte der Berliner Technoszene wurde.
Gab es für dich persönlich eine Art Initialzündung, was Techno angeht?
Mark Ernestus: Es gab so einen Moment, das war allerdings erst mal House. Es war im Jahre 1986. Man hatte immer mal davon gehört, aber es gab ja keine guten Informationsquellen. Vielleicht hier und da mal eine durchwachsene Compilation. In den 80ern war das Musikmagazin Spex in Deutschland sicher die relevanteste Informationsquelle für Musik, aber mit House kam ein Paradigmenwechsel, mit dem die gesamte Musikpresse lange nicht mitkam. Mein privates Umfeld und ich haben damals viel in der Oranienbar in der Oranienstraße abgehangen. Da liefen immer Mixtapes, auch teilweise mit frühen House-Sachen. Ich erinnere mich an einen Moment, wo wir draußen gestanden haben und die Musik von drinnen schön laut war. Es lief ein Mix von Chicago Trax Sachen mit Mystery Of Love von Fingers Inc. und Free Yourself von Virgo. Der Moment hat sich mir eingebrannt. Da dachte ich: „Wow! Das ist richtig geil!“. Machmal spürt man einfach: „There’s more where this came from“.
Chicago Klassiker in der Ramschkiste
Wie wurde dann aus diesem Erlebnis dein Plattenladen „Hard Wax“?Am 1. Mai 1987 hatte ich eine Bar aufgemacht, das „Kumpelnest“. Das lief eigentlich von der ersten Nacht an sehr gut. Man hat immer viel Musik gebraucht. Wenn man in der Bar arbeitet, macht man sich zwei Mixtapes für die Schicht. Die spielt man danach zweimal und dann sind die aber eigentlich schon verbraucht. In der Zeit hatte ich zum ersten Mal genug Geld um entspannt Platten zu kaufen. Bald habe ich dann zwar kaum noch selber am Tresen gearbeitet, aber dafür umso mehr nach Musik gegraben. Es gibt diese alte Faustregel in der Gastronomie, derzufolge man nach zwei Jahren durch ist. Bei mir hat das ziemlich genau gepasst. Es war eine sehr intensive Zeit, und ich musste dann was anderes machen. Es hätte aber für mich nicht funktioniert, einfach zu Hause zu sitzen und an etwas anderes zu denken. Es musste die Flucht nach vorne sein: Neue Aufgabe und neues Projekt. Ich hatte ganz naiv und klischeemäßig den Traum, in einem Plattenladen zu sein, umgeben von guter Musik, und den ganzen Tag gute Musik zu hören. Ich wollte das mit Leuten teilen können und sozusagen an der Quelle sitzen und bessere Beschaffungsmöglichkeiten haben, also nicht abhängig sein von dem Flaschenhals der ganz wenigen Läden, die es damals gab, die überhaupt Import-Platten hatten. Es ging um House, von Techno hat man damals eigentlich noch nicht geredet. Es gab die Detroit Techno Compilation auf 10 Records, aber gefühlt war das zunächst ein lokales Sub-Genre von House. Es gab keinen Plattenladen, der das angeboten hat. Die Platten, die es zu kaufen gab, sind vielleicht eher aus Versehen dort gelandet. Es gibt einige Anekdoten, wo Leute große Chicago Klassiker in der Ramschkiste gefunden haben, weil niemand gecheckt hat, was das ist.
Wie hast du den Laden mit Platten aufgefüllt?
Das Meiste hat man per Fax-Liste nach Namen oder Label auf Verdacht bestellt. Es gab ja kein Internet, und zum Reinhören haben manche Vertriebe einem die Musik am Telefon vorgespielt. Das haben wir auch bei unseren frühen Mailorder-Kunden so gemacht. Als wir aufgemacht haben, waren wir zunächst kein Techno Laden, sondern auf dem Schild stand „Hard Wax - Black Music An- und Verkauf“. Wir hatten eine Menge gebrauchte, viele seltene Soul- und Funkplatten und eine kleine Hip-Hop Abteilung. Dazu Reggae und Dub und eine ziemlich kleine House Abteilung. Das war sehr überschaubar. NuGroove war zum Beispiel in der ganz frühen Zeit so ein Label, was alle wollten. Der Importeur hat dann vielleicht zwei Kopien aus den USA gekriegt. Irgendwann hat sich das eingespielt. Dann war klar, dass wir die bekommen. Der Importeur war froh, dass er die gleich wieder los war. Und wir waren super happy. So lief das eine Weile.
an der Musik dranbleiben
Wer hat dir dabei geholfen?Eine wichtige Verkettung von Umständen war, dass ich in der Oranienbar Ende 1985 Boris Dolinski kennengelernt hatte, heute Berghain Resident DJ Boris. Irgendwann hieß es: Abschiedsparty von Boris! Boris geht nach New York - und er war dann einfach weg. Im Frühjahr 1990 stand er dann plötzlich im Laden, ich glaube mit Reinhardt vom Kumpelnest. Es stellte sich raus, dass Boris nach New York gegangen war, weil er davor schon mal die „Paradise Garage“ besucht hatte und gemerkt hat, das ist sein Ding und er will dort leben. Das war in den Jahren sein Lebensinhalt: Unter der Woche gejobbt, Platten gekauft und am Wochenende in die Clubs. Das heißt, er hatte eine unglaubliche Kenntnis, nicht nur von den einzelnen Sachen, die auch in Deutschland bekannt wurden, sondern wirklich detailliert und tief. Er kannte nicht nur die Musik, sondern auch viel von dem ganzen Kontext. Es war dann ein no-brainer, dass er bei uns arbeiten muss, ich glaube er ist quasi gleich dageblieben. Das war für uns ein großer Glücksfall und für ihn natürlich auch, weil er, zurück in Berlin, an der Musik dranbleiben und sein Wissen einbringen konnte.
Kannst du das noch ein bisschen konkretisieren: Was genau war dieses besondere Wissen?
Er kannte praktisch jedes Label und jede Platte. Und da war sofort der Gedanke, dass sein Wissen und auch sein Umgangsenglisch helfen könnten, Kontakte zu knüpfen um selber direkt aus USA zu importieren. Ich hatte nur mein etwas eingerostetes, steifes Schulenglisch und eine Minute Telefonat in die USA hat drei Mark 96 gekostet. Da hat man nicht einfach mal so ein paar Nummern durchprobiert und geguckt, ob da jemand rangeht, der mit einem kleinen Plattenladen in Deutschland reden will. Es wurden dann schnell vierstellige monatliche Telefonrechnungen. Aber mit Boris war es viel besser, als wenn ich es alleine versucht hätte. Tagsüber waren wir immer im Laden und nachts haben wir gemeinsam geguckt, was an dem Tag an interessanten Sachen reingekommen ist. Wenn da eine Telefon- oder Faxnummer draufstand, haben wir einfach versucht, Labels oder Vertriebe zu kontaktieren.
der UPS Mann kommt um vier
Wann hast du gemerkt, dass sich Hard Wax zu einem Hotspot für House/Techno entwickelt hat?Es wurde schnell klar, dass House für uns am interessantesten war. Erstens weil es in Echtzeit passierte, zweitens weil kein anderer Laden in Berlin sich darum gekümmert hat und drittens, weil es ganz überwiegend auf kleinen US-Labels stattfand, die oft keinen richtigen Vertrieb hatten und für die der Direktimport dann ein Quantensprung war. Es kamen viele Sachen zusammen. Wir haben Ende 1989 aufgemacht und etwa ein halbes Jahr vorher vorbereitet. Dass der Mauerfall in der Form passiert, hätte sich ja niemand vorstellen können. Die Leute aus dem Osten, die in den Laden und dann in die Clubs kamen, waren gefühlt im Schnitt fünf Jahre jünger als die aus dem Westen. Das war eine Generation, die sehr aufmerksam die Radiosendungen von Monika Dietl gehört hat. Die Leute im Westen waren schon ein paar Jahre feiererprobt. Alle haben irgendwas studiert, aber waren hauptsächlich nachtaktiv. Es gab also unterschiedliche Energien oder Kompetenzen, die die Leute mitgebracht haben. Und natürlich wurden durch den Mauerfall diese neuen Locations verfügbar…
…die ja auch alle in der Nähe von Kreuzberg lagen.
Genau. Diese ganzen ersten Clubs wie Tresor, Planet oder Walfisch waren ja alle quasi wie Perlen auf der Schnur entlang des ehemaligen Mauerstreifens aufgereiht. Ganz viel vom Publikum auf der Westseite wohnte in Kreuzberg, und dort war auch der Hard Wax Laden.
Es gibt diesen Mythos, dass es in allen Plattenläden eine Hierarchie gibt und dass die Leute die besten Platten für sich selber behalten. Wie war das bei euch?
Ich habe immer versucht, das möglichst wenig so zu betreiben. Aber es ist natürlich teilweise richtig. Wir hatten von zwei Importeuren gekauft, und zwar immer dienstags und freitags, also vier Importlieferungen mit Neuheiten. Die waren immer heiß, wir hatten die Sachen ja selber noch nicht gehört, oder nur kurz am Telefon. Das heißt, das waren die wichtigen Tage für die Leute, die wirklich fanatisch auf neue House Platten waren. Der erste harte Kern war DJ Rok, Tanith und Jonzon, die hatten auch schon aufgelegt bevor es Hard Wax gab und dann ab 91 den Tresor musikalisch stark mitgeprägt. Die wussten, der UPS Mann kommt um vier. Aber die waren trotzdem immer schon um zwölf da, weil es ja sein könnte, dass der UPS Mann mal früher kommt. Man will natürlich auf gar keinen Fall was verpassen oder vielleicht in der gefühlten Rangfolge einen Platz nach hinten rutschen, wenn nur eine Kopie da ist. Ich habe immer versucht, niemandem eine Sonderbehandlung zu geben, weil er oder sie irgendeinen Status hat. Aber natürlich hat man sich das Anrecht irgendwann verdient, wenn man zeigt, dass es einem so wichtig ist. Auch wenn es für Leute, die in der zweiten Reihe standen oder eine halbe Stunde später gekommen sind frustrierend war. Besonders durchsetzungsstark war da DJ Rok. Der hat dann etwas später auch ein paar Jahre im Laden gearbeitet.
Mark Ernestus
Mark Ernestus ist der Gründer des legendären Plattenladens Hard Wax, der 1989 den Grundstein für die elektronische Clubmusikszene Berlins legte. Er spielte eine Schlüsselrolle bei der Etablierung des Berlin-Detroit-Nexus und begann gemeinsam mit Moritz von Oswald gemeinsam unter den Namen Basic Channel und Maurizio Musik zu machen. Sie gelten als die Erfinder des Dub Techno. Unter dem Namen Rhythm & Sound forschte das Duo weiter nach Verbindungspunkten von Techno und Reggae. Mit Dubplates & Mastering gründete Ernestus ein Studio für Vinyl-Mastering und -schnitt.