Stromatolithen
Glitschige Unterwassermatten als Kohlenstoffspeicher

Cambrian Stromatolites from New York State
Cambrian Stromatolithen im Staat New York State | © James St. John via Wikimedia Commons

Auf den ersten Blick scheint Luisa I. Falcón und Tamiko Thiel wenig zu verbinden. Falcón erforscht als Mikrobielle Ökologin an der Nationalen Autonomen Universität von Mexiko (UNAM) Cyanobakterien (Blaualgen) und Stromatolithen. Thiel lebt als bildende Künstlerin in Deutschland, bearbeitet wichtige Themen wie die Klimawandelfolgen und setzt dabei Augmented Reality (AR) und Apps ein.

Von Gabriela Serrato Marks

Diese glitschigen Unterwassermatten können als Kohlenstoffspeicher dienen, aber nur, wenn sie überleben

Obwohl sie sich noch nie persönlich begegnet sind, arbeiten sie gemeinsam an dem vom Goethe-Institut geförderten Projekt „Seeing the Imperceptible: Visualizing Microbial Communities in Bacalar Stromatolites“. Im Zentrum des Projekts steht die Lagune von Bacalar (Laguna Bacalar), eine schmale, küstennahe Lagune in Quintana Roo, Mexiko.

Ich sprach mit den beiden darüber, wodurch ihr Interesse an glitschigen Algenmatten geweckt wurde, welche Auswirkungen der Ökotourismus hat und was all das mit dem Klimawandel zu tun hat. Das Gespräch wurde im Sinne der Lesefreundlichkeit gekürzt und bearbeitet.

grundlegendes Fachwissen und künstlerische Ideen 

Gabi Serrato Marks: Tamiko, was hat Sie als Künstlerin dazu bewegt, sich in Ihrer Arbeit dem Thema Umwelt zu widmen? Und wie kam es, dass Sie beiden sich zur Zusammenarbeit entschieden haben?

Tamiko Thiel:  Ich möchte drei verschiedene Ideen realisieren – ein 360°-VR-Projekt (Virtual Reality), ein interaktives VR-Projekt und die App, die Luisa und ich gemeinsam umsetzen möchten – weil ich ungefähr seit 2015 viel über den Klimawandel lese, als mir klar wurde, dass es schon sehr bald sehr schlimm werden würde. Ich glaube zwar, dass ich etwas zu den einzelnen Teilen des Klimasystems sagen kann, aber wie hängt das alles zusammen? Ich komme fachlich aus dem Bereich der Naturwissenschaften und Technologie. Wenn ich schon nicht nachvollziehen kann, wie das alles ineinandergreift, dann werden diejenigen, die weniger Fachwissen haben, wahrscheinlich sagen: „Keine Ahnung“.

Luisa I. Falcón: Wir glauben, dass wir durch die Schaffung von Querverbindungen zwischen grundlegendem Fachwissen, künstlerischen Ideen und Anwendungen unserem Ziel wirklich näher kommen können. Wir wollen der Politik deutlich machen, dass die Küstenregionen sehr wichtig für die Bindung und Speicherung von Kohlenstoff sind. In aquatischen Umgebungen spricht man vom blauen Kohlenstoff.
Stromatolite formation on Highborne Cay in the Exumas, The Bahamas.
Stromatoliteformation in Highborne Cay in den Exumas, The Bahamas | © Vincent Poirier - Own work, CC BY-SA 3.0
Können Sie mir noch etwas über die Küstenregionen und die Stromatolithen sagen, die Sie erforschen?

LF: Die Mikrobialithen sind im Grunde die modernere Version der Stromatolithen, die wiederum die ältesten bekannten Fossilien sind. Sie sehen wie kleine Steine aus, sind aber lebendig. Sie bestehen aus Tausenden von Mikroben – und bilden Lebensgemeinschaften, die zu denen mit der weltweit größten Diversität zählen. Wenn wir sie schützen, damit sie gesund und munter bleiben, dann bleibt auch die gesamte mikrobielle Vielfalt innerhalb der Struktur erhalten. Wenn wir uns aber schädlich verhalten, dann werden sie zerstört.

Und was macht sie so wichtig?

LF: Sie haben eine Wiederaufbereitungsfunktion, sie betreiben Photosynthese. Wenn sich im
Pavillon Lake Microbialite Towers
Pavillon Lake Mikrobialithen-Türme. Weitwinkelaufnahme dreier Türme, 70-80 Fuß. | Donnie Reid, NASA Pavilion Lake research project, Public domain, via Wikimedia Commons
Wasser CO2 befindet und die Mikroben Carbonat ausfällen, entziehen sie dem CO2 den Kohlenstoff und speichern ihn im Carbonat.

Im Zusammenhang mit Waldregionen und terrestrischen Ökosystemen ist die Kohlenstoffspeicherung Teil des großen Kohlenstoffkompensationsmarktes. Es gibt also Leute, die durch eine nachhaltige Waldbewirtschaftung tatsächlich einen finanziellen Gewinn erzielen können, abhängig von der Menge des gebundenen Kohlenstoffs. In der aquatischen Umwelt gibt es so etwas aber noch nicht.

Wir müssen [die Politik] einfach in diese Richtung bringen, damit diese aquatischen Ökosysteme als Ökosysteme zur Speicherung von Kohlenstoff anerkannt werden.

Mikrobialithen sind Lebewesen

Was geschieht, wenn Stromatolithen beschädigt werden? Woran erkennt man, dass die Biodiversität sich verändert?

LF: Die Lagune von Bacalar ist 42 Kilometer lang, und wir haben über die gesamte Länge an 20 Stellen Proben entnommen. Dann haben wir sehr umfangreiche Sequenzierungen durchgeführt, um die Biodiversität zu analysieren und dabei festgestellt, dass wir in den Bereichen der Lagune, in denen ein umweltfreundlicher Tourismus praktiziert wird, eine viel höhere mikrobielle Vielfalt vorfinden als in den intensiver erschlossenen Gebieten, wo die Touristen mit den Füßen auf die Formationen treten.

In Bacalar gibt es ein florierendes Gewerbe mit kleinen Booten, die einen umsonst in alle Bereiche der Lagune bringen, was ein massiver Eingriff ist. Wenn die Menschen auf einen Mikrobialithen treten, ist das praktisch das Todesurteil für das Gestein. Das ist so ähnlich wie bei den Korallenriffen. Da die Mikrobialithen aber nicht unter Naturschutz stehen oder sonstigen Schutzstatus genießen, sind sie den Auswirkungen des billigen Tourismus ausgeliefert.

Das ist ein knappes Jahrzehnt lang gut gegangen, aber jetzt steht man vor Umweltproblemen. Ein Teil der Lagune ist grün geworden, verursacht durch die Vermehrung der Cyanobakterien, was eine Folge der ökologischen Vernachlässigung der Uferbereiche ist. Es gibt viele Menschen, die sich Gedanken machen und versuchen, das Richtige zu tun. Aber ich hätte nie gedacht, dass ich in meinem Leben an einem Ort wie Bacalar jemals eine so tiefgreifende Veränderung sehen würde.
Akalki Hotel, Bacalar
Akalki Hotel, Bacalar, Quintana Roo in der Bacalar Lagune | © Roberto Bolaños, CC BY 2.0 , via Wikimedia Commons
Glauben Sie, dass es eine Möglichkeit gibt, dass Tourismus und Umweltschutz koexistieren können?

LF: Ja, das glaube ich. Ein Beispiel: Die Maya-Gemeinschaften, die Ausflüge in das Naturreservat anbieten, nehmen dafür 1000 Dollar [bei 6 Teilnehmenden]. Sie sind das ganze Jahr ausgebucht. Man besucht ein wunderschönes Naturschutzgebiet – sieht wild lebende Tiere, lernt verschiedene Vogelarten kennen. Man weiß, dass man für den Schutz der Umwelt bezahlt. Man kann sich aber schon vorstellen, dass es schwierig ist eine Lösung zu finden, die jedem gefällt.

Was wir versuchen zu erklären, ist, dass die mikrobiellen Lebensgemeinschaften in ihrem Lebensraum auf sauberes Wasser, Zeit und unbeeinträchtigte Strukturen angewiesen sind, um Mineralien ausfällen zu können.
 
“Atmos Sphaerae,” 360° VR work in progress.
„Atmos Sphaerae“, 360°-VR-Arbeit in Arbeit. Screenshot, der das Great Oxygenation Event (vor ca. 2,4 Milliarden Jahren) zeigt, als Cyanobakterien zum ersten Mal auf der Erde freien Sauerstoff produzierten. | © Tamiko Thiel
Warum dann AR und VR als Medien für diese Kunstform nutzen? Kann man so erreichen, dass mehr Menschen ihren Blick für die Sicherheit dieses Ökosystems schärfen?

TT: Ich setze diese Technologien ein, weil ich den Fokus auf unsichtbare Dinge richte. Das können beispielsweise vergessene Geschichten sein oder auch Geschichten, von der nur eine bestimmte ethnische Gruppe weiß. Manchmal geht es dabei um einen bestimmten Ort, über den ein ganz anderes Narrativ verbreitet ist.

LF: Ich bin Mikrobiologin, daher bin ich daran gewöhnt, mir etwas vorzustellen, was man nicht sehen kann. Das sind die meisten Menschen nicht. Das ist etwas, was einem irgendwann klar wird: Die Menschen können nicht verstehen, was sie Ihnen sagen, wenn sie es sich nicht vorstellen können. Und diese Technologie ist eine erweiterte Realität, die über den Wissenshorizont hinausgeht. Einfach fantastisch.

Durch das interaktive Projekt wird den Leuten vielleicht klar, dass die Mikrobialithen Lebewesen sind, die von Mikroben gebildet werden. Ich glaube, dass die Menschen diesem Ökosystem, wenn sie die ökologische Funktion dieser mikrobiellen Gebilde besser verstehen, auch mehr Respekt entgegenbringen werden.

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