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Im SÜDEN, wo sich die Überflüssigen treffen

Überlegungen
von Trinidad González

Erschienen auf www.tdz.de/chile am 29.09.2023
ORGIOLOGIA (2018)

„Orgiología“ in der Regie von Paula Sacur und Ernesto Orellana Gomez | © Maglio Pérez und Jorge Zambrano

Der fünfzigste Jahrestag des Putsches, des Tods von Salvador Allende und des Beginns der Militärdiktatur trifft uns als Gescheiterte an. Im Oktober 2019 ist das Land explodiert um den Mächtigen zu sagen, dass wir es leid waren, die verheerenden Lasten eines Gesellschafts- und Wirtschaftsmodells, das Ungerechtigkeit und Ungleichheit verursacht, zu tragen. Wir kamen wieder zusammen auf den Straßen, in Volksversammlungen, in denen wir Konsepte für ein neues Land entwarfen. Wir wollten mit der von Pinochet hinterlassenen Verfassung aufräumen, aber schließlich siegte die durch die konservativen Sektoren eines von der neoliberalen Logik durchdrungenen Chile geschürte Angst. Das Plebiszit von September 2022 hat uns bestätigt, dass die Demokratie in Chile von denen gegängelt wird, die die kapitalistischen Produktionsmedien kontrollieren und die große Mehrheit der Bevölkerung immer noch Angst vor Veränderung hat. Die Erinnnerung ist umstritten.
            Und während wir dem Schrecken der siebzehn Jahre Diktatur gedenken, die 28459 Personen gefoltert, 2125 ermordet hat und 1102 verschwinden ließ, greift der von einer erstarkten faschistischen Rechten vorangetriebene Negationismus um sich. Wie soll man diese Niederlagen und nicht abgeschlossene Aufarbeitung einordnen? Was für ein Theater für die Zukunft in Hoffnungslosigkeit? Welche künstlerischen Ausdrucksformen, um die Barbarie des weltweiten Neofaschismus zu überleben? Solche Fragen treiben mich immer mehr um. Und überschneiden sich mit meiner kritischen Homosexualität, die mich einer heteronormalisierten kulturellen Ordnung, die sich weder ihrer Privilegien noch ihrer Fehlschläge bewusst ist, zutiefst misstrauen lässt.
            Seit 2015 bin ich dabei, ein mikropolitisches Theater zu schaffen, das ich  „sexodisidente” nenne. Und ich tue es in der verkörperten Überzeugung einer krummen Sexualität, die der heterosexuellen Geradlinigkeit, die die kulturelle Vorstellung beherrscht widerspricht. Ich wünsche mir ein Theater, das die Körper emanzipiert. Das die Normalität sprengt. Ich forsche an einem queeren Theater des Fleisches, der Abnormalen, und inkubiere von der sexuellen Dissidenz infizierte Schreib- und Inszenierungsprozesse. Ein Theater, das die Richtung wechselt und sich vom Süden her betrachtet. Mein Refugium heisst „Teatro SUR”. Denn es geht darum, den vorgegebenen Weg zu verlassen und sich weiter dahin fallen zu lassen, wo sich die Überflüssigen treffen.


Übersetzung: Margit Schmohl
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