Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer
In diesem Land der im Kreis vergehenden Zeit, denke ich die Bühne gerne als Raum der Möglichkeiten und Fragen, der sich aus großer Leere heraus in einem ständigen Werden befindet. Das lädt mich dazu ein, immer wieder zur darstellenden Kunst zurückzukehren. Aber was darstellen, wenn die Gewissheit des Todes, die Dunkelheit leerer Augenhöhlen sich so radikal vor uns aufbaut? Wie kann ich der Fiktion wiederbegegnen, wenn die Realität alles überboten hat? Die Geschichte der Realität aber haben wir schon gehört, diese Geschichte haben wir doch selbst erlebt, die haben so viele Dramatiker des Landes schon aufgeschrieben, ich konnte sie auf die Bühne bringen, gekürzt, neu erfunden, anders zusammengesetzt und immer wieder nach neuen Bedeutungen suchend.
Die in Gedenkstätten verwandelten Bühnen schaffen es trotzdem nicht, unseren Toten Ehre zu erweisen, es werden leere Gräber ausgehoben. Sogar das Ausüben eines zweiten Medienberuf ist nicht genug, weil uns die Strategien ausgehen, um die gleichen Bilder immer wieder zu erzählen.
Sollte ich mich weigern, mir neue Mittel auszudenken, bis es Heilung für diese Wunde gibt? Ich weigere mich zu vergessen, ich weigere mich, die Erinnerungen aufzugeben, die jeder Gegenstand und jeder Körper bewahrt, und bin entschlossen, sie immer wieder auf die Bühne zu bringen, bis so etwas nicht wieder geschieht.
Übersetzung Charlotte Roos
_______________
[1] El sueño de la razón produce monstruos (Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer) ist der Titel einer bekannten Goya Radierung. Sie gehört zur Sammlung der Caprichos (Launen/Einfälle) Die Übersetzerin wählt hier die gängigere Übertragung des spanischen Wortes „sueño“ - Schlaf. Es kann aber auch mit Traum übersetzt werden.