Berlinale-Blogger*innen 2021
Pandemie auf und außerhalb der Leinwand
„A River Runs, Turns, Erases, Replaces“ von Shengze Zhu zeigt im Berlinale Forum das von der Pandemie veränderte Wuhan.
Von Camila Gonzatto
Den heutigen Tag habe ich damit begonnen, Nachrichten aus Brasilien zu lesen. Die Pandemie nimmt einmal mehr Ausmaße des Horrors an. Als genügte nicht die Tragödie in Manaus, steht nun das gesamte Land am Rand des Zusammenbruchs. In Porto Alegre, wo ich lange gelebt habe, wurden Container aufgestellt für die Leichen, die Intensivstationen sind zu 100 Prozent belegt. Ich fragte ein paar Freund*innen, ob es ihnen gut geht. Wie soll man über Film schreiben, wenn sich die Wirklichkeit so schrecklich darstellt? Vielleicht auf die einzig mögliche Weise, indem man über Filme spricht, die von der Gegenwart handeln. Ist es nicht auch die Rolle der Kunst, Wirklichkeit zu erarbeiten? Genau das tut die in Chicago ansässige chinesische Filmemacherin Shengze Zhu in A River Runs, Turns, Erases, Replaces (Dt. etwa: Ein Fluss fließt dahin, windet sich, löscht und ersetzt).
Geisterstadt
Der gesamte Film spielt in Wuhan, wo die Regisseurin aufgewachsen ist. Am Anfang sehen wir eine Betonwüste: Es ist März 2020, Lockdown. Eine Überwachungskamera zeigt eine menschenleere Fußgängerzone. Nach und nach verlassen wir das Stadtzentrum und begeben uns an die Ufer des mächtigen Jangtse-Flusses. Ein paar Menschen arbeiten, andere kaufen ein, die Landschaft verändert sich. Während wir die Stadt und ihre Veränderung betrachten, hören wir Stimmen. Es sind Monologe aus Briefen, in denen Personen aus ihrem Alltag erzählen und von ihrem Schmerz, sie richten sich in ihren Briefen an Familienmitglieder, die an Covid verstorben sind. Das Fehlen, von dem die Stimmen sprechen, ist auch in den Bildern präsent. Weite Einstellungen, eine riesige Stadt mit nur wenig Leben.Die Ursprungsidee von Shengze Zhu war es, das Gedächtnis einer Stadt aufzuzeichnen, die sich unter dem Slogan „Wuhan, jeden Tag anders“ beständig verändert. Daraus wurde ein Film über die Notwendigkeit eines ganz anderen Neuanfangs. „Es ist eine Betrachtung des Vergangenen und des Verlorengegangenen, die nicht nur erzählt, was passiert ist, sondern auch aufnimmt, was hätte geschehen können und was noch geschehen kann“, sagt die Regisseurin.
Der Film ist einerseits äußerst schön und zart, andererseits von einer schwer zu beschreibenden Härte. Ich konnte ihn mir nicht bis zum Ende ansehen. Es ist so brutal zu erkennen, wie viel Leben mit jedem einzigen Opfer der Pandemie verloren gegangen ist. Vielleicht gelingt es mir irgendwann später einmal, den Film erneut anzuschauen und zu erfahren, worauf sein Ende verweist. In der Zwischenzeit bleibt uns nur, uns der entsetzlichen Wirklichkeit eines Lebens in der Pandemie zu stellen.