K. Gespräch. Wie hat Kafka uns verwandelt?

K. Kafka, jetzt 2300x1000 © Design: Jakov Jakovljević

Fr, 17.05.2024

18:00 Uhr

Artget Galerie

Rundtisch

DAS (UN)VERSTANDENE genie: REZEPTION VON KAFKAS WERKE 1904-2024

Jelena Kostić-Tomović

Die Vorstellung von Franz Kafka als einem unverstandenen Genie, dessen Werke die literarische Öffentlichkeit erst nach seinem Tod wirklich kennenlernte, ist nicht ganz korrekt. Sowohl deutsche als auch tschechische Literaturkreise kannten und schätzten Kafka bereits zu seinen Lebzeiten. Auf der anderen Seite war Kafkas posthumer Ruhm weder sofort global noch erreichte er sofort die Ausmaße, die er heute hat. Daher ist es interessant, sich heute, 120 Jahre nach der Veröffentlichung von Kafkas erster Geschichte, mit der Rezeption seines Werks in verschiedenen Zeiten und Kontexten auseinanderzusetzen

DIE ZERBRECHLICHKEIT DER EXITENZ EINES QUERDENKERS

Dragan Prole

Der selbstbezogenen Strategie des Tagebuchschreibens verdanken wir wahrscheinlich die Äußerungen, bei denen Kafkas innere existenzielle Spannungen manchmal in rechtliche Terminologie gehüllt an die Oberfläche gelangten. Seltene Notizen mit rechtlichen Assoziationen enthüllten die vermeintliche Gleichgültigkeit des Schriftstellers gegenüber dem Recht. Da sie in der Regel aus intimen Reflexionen über den Alltag entstehen, zeichnen sich diese ungewöhnlichen, unangekündigten und daher wirkungsvolleren Betrachtungen der Rechtswelt durch außergewöhnliche Dramatik aus. Die Figur eines fragilen Daseins, ohne jeglichen zuverlässigen Schutz, wird als Außenseiterexistenz beschrieben, als schwer vorstellbare zivile menschliche Existenz „außerhalb des Gesetzes“. Gefühle der Gefangenschaft, der Einschränkung und der Unfreiheit nehmen darin einen privilegierten Platz ein: „(…) Jetzt sind wir zurückgewichen, ehemalige Schwimmer, jetzige Wanderer, und wir sind verloren. Wir befinden uns außerhalb des Gesetzes, niemand weiß es, und dennoch behandelt uns jeder entsprechend.“ Die Unkenntnis der persönlichen Situation, das völlige Fehlen des Bewusstseins für das Ausmaß der Bedrohung, scheint den führenden existenziellen Eindruck zu verbinden, der den ungewöhnlichen Abstand zwischen Kafkas Rolle als Jurist und Kafka als Schriftsteller kennzeichnet. Konfrontiert mit der Allgegenwärtigkeit des Gerichts, dessen Büros sich in jedem Dachgeschoss befinden, ist Josef K. nicht von seiner Lebenswelt schockiert, die vollständig zum Gerichtssaal geworden ist, sondern von seinem eigenen „Unwissen über rechtliche Angelegenheiten“. Im Vergleich zur normalisierten Totalität des Gerichts erscheinen Überzeugungen über seine spezifische Lokalisierung verloren und naiv. In der Gegenwart ist Unwissen über die Machtverhältnisse äußerst teuer, wie Kafkas Schlüsselbegriff, der in der Lage ist, sich selbst zu totalisieren, überall präsent und wirksam zu sein und gleichzeitig fern und abwesend zu sein.

Kafka UND DAS APOKALYPTISCHE

Petar Jevremović

Unter den Schriftstellern der modernen Zeit ist Kafka der größte Apokalyptiker. Seine Fabulationen sind äußerst ungewöhnlich, verwirrend und tatsächlich kontraintuitiv – oft auch (nicht ohne Humor) beängstigend. Kafkas Welt ist eine Welt apokalyptischer Realität. Das Apokalyptische ist ohne Worte unmöglich. Das Apokalyptische lässt sich nicht auf Worte reduzieren. Apokalyptisches erfordert das Vorhandensein von Bildern. Kafka erschafft meisterhaft Bilder. Er ist geschickt mit Worten. Wie die alten Propheten – er enthüllt.
 
Jelena Kostić Tomović © privatna arhiva Jelena Kostić-Tomović wurde 1973 in Belgrad geboren. Seit 1999 arbeitet sie an der Abteilung für Germanistik an der Philologischen Fakultät Belgrad, wo sie seit 2018 als Professorin tätig ist. Ihre Forshcungsgebiete sind Lexikologie der deutschen Sprache, Textlinguistik und serbisch-deutsche sprachliche und kulturelle Kontakte. Neben ihrer wissenschaftlichen und akademischen arbeit war sie als Übersetzerin und Dolmetscherin tätig. Sie hat zahlreiche Werke von deutschen Dramatikern und Prosaschriftstellern ins Serbische übersetzt, darunter E. Jelinek, P. Handke, B. Brecht, F. Wedekind usw.
 
Dragan Prole © privatna arhiva Dragan Prole, ist Professor an der Abteilung für Philosophie der Philosophischen Fakultät Novi Sad. Bisher hat er 10 Bücher geschireben und mehrere Konferenzbände herausgegeben. Seit 2017 leitet er das Projekt Tradition des Philosophieunterrichts; seit 2021 leitet er das Projekt Das Ethos der frühen serbischen Modernität, das er in der Abteilung für Sozialwissenschaften von Matica srpska durchführt. Er ist Mitglied in mehreren professionellen Verbänden und Ausschüssen für internationale Zeitschriften. Er hat mehr als 140 wissenschaftliche Artikel in den USA, in Deutschland, Österreich, Slowenien, Griechenland, Kroatien, Nordmazedonien und Serbien veröffentlicht. Forschungsgebiete: Ontologie, Phänomenologie, Philosophie der Geschichte, philosophische Anthropologie, Ästhetik, Medienwissenschaft.
 
Petar Jevremović © privatna arhiva Petar Jevremović, Psychologe, arbeitet an der Abteilung für Psychologie der Philosophischen Fakultät Belgrad. In seinen Büchern und Texten behandelt er Psychoanalyse, Philosophie, Theologie, Musik und Literatur.
   
Das Gespräch wird im Rahmen des Festivals K. in Zusammenarbeit mit dem Österreichischen Kulturforum Belgrad, dem Tschechischen Zentrum Belgrad, dem Kulturzentrum Belgrad und EUNIC Serbien durchgeführt. Alle Programme sind kostenlos.
 

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