Thomas Brussig
Der ironische Erzähler

Premiere der Theaterinszenierung Helden wie wir im Theater Komedie in Prag am 27.11.2009. Jiří Štrébl als Klaus Uhltzscht.
Premiere der Theaterinszenierung Helden wie wir im Theater Komedie in Prag am 27.11.2009. Jiří Štrébl als Klaus Uhltzscht. | Foto: © Pražské komorní divadlo

Als 1995 in Deutschland der Roman Helden wie wir (Volk und Welt, Berlin) des damals unbekannten dreißigjährigen Autors Thomas Brussig erschien, wurde er begeistert aufgenommen und avancierte zum Bestseller. Kritiker begrüßten ihn als Wenderoman, als künstlerische Aussage über den Staat DDR, der schon fünf Jahre lang nicht mehr existierte. Nur einige Kritiker betrachteten ihn nicht als „hohe“ Literatur. Zwanzig Jahre nach der ersten Ausgabe ist klar, dass es ein bahnbrechender Roman war. Er wurde in dreißig Sprachen übersetzt. Tschechisch erschien er im Jahre 2000 und fand sowohl bei den Lesern als auch bei der Kritik ein breites Echo. In Deutschland entstanden eine Theaterinszenierung (1996) und ein gleichnamiger Film (1999).

Der Erzähler, der ad absurdum durch die ideologische Erziehung in der DDR prädestiniert ist und nach der Schule zur ostdeutschen Staatssicherheit geht, ist eine Karikatur der damaligen Macht, ein Held seiner Zeit, der am Schluss den Fall der Mauer bewirkt, wie er voller Größenwahn annimmt. Mit einer absurden Handlung und einer Sprache voller Wortspiele charakterisiert der Autor die Unfähigkeit des Stasi-Helden, die Realität zu verstehen.

Der Roman Helden wie wir wurde auch tschechisch im Theater Komedie in Prag inszeniert (Premiere 2009), wo dieses Monodram in Form der Erzählung eines Zeitzeugen anlässlich des 20. Jahrestages des Falls der Berliner Mauer bis zum Ende der letzten Saison des Prager Kammertheaters im Jahre 2012 gespielt wurde. Der Autor sagt heute über das Stück:

Das war ganz seltsam, etwas zu hören und zu sehen, was ich zwar geschrieben hatte, das ich aber, weil ich die Sprache nicht verstehe, überhaupt nicht als das Eigene erkennen konnte. Was mir außerdem im Gedächtnis blieb, war die Besetzung. Es war nämlich ein Dickerchen, der den Klaus spielte, also eigentlich ein Schwejk, ein tschechischer Archetypus. Ich hatte mir in dieser Rolle eigentlich immer einen dürren, körperlosen, Hyper-Neurotiker vorgestellt, und die Prager Besetzung war der absolute Gegenentwurf dazu, und von dieser Idee war ich total begeistert.

Ein weiteres erfolgreiches Prosawerk Brussigs war die Novelle Am kürzerem Ende der Sonnenallee (Volk und Welt, Berlin 1999). Die Ausgabe in Buchform folgte erst, nachdem Brussig das Drehbuch für den Film Sonnenallee geschrieben hatte, das unter dem Titel Eastie Boys im tschechischen Vertrieb angeführt wurde. Das Buch erschien 2001 in tschechischer Sprache. Es handelt sich um eine lebendige, witzige und unterkühlte Erzählung über eine Clique siebzehnjähriger Jungen und ihre Verwandten und Bekannten, die in Ostberlin in unmittelbarer Nähe zur Mauer leben.

Die Novelle Leben bis Männer (S. Fischer, Frankfurt am Main 2001), der Monolog eines Fußballtrainers, der alles durch das Prisma des Fußballs sieht, wurde ebenfalls als Einakter inszeniert. Tschechisch 2002.

Im Jahre 2004 erscheint der umfangreiche Roman Wie es leuchtet (S. Fischer, Frankfurt am Main). Dabei handelt es sich um ein Panorama des Umbruchjahres deutsch-deutscher Geschichte, als die zwei deutschen Staaten auf ihre Vereinigung zustreben. Die Kollage der Ereignisse beginnt im August 1989 mit der Öffnung der ungarisch-österreichischen Grenze, geht weiter mit der Flucht von DDR-Bürgern über die westdeutsche Botschaft in Prag, den Demonstrationen in Leipzig und weiteren Städten sowie dem Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989. Es folgen die Blendung durch Freiheit und Konsumerrungenschaften, die Wahlen in der DDR, aus denen die konservative CDU als Sieger hervorging, und die Währungsunion im Juli 1990. Die Chronik der historischen Ereignisse wird anhand der Schicksale vieler Gestalten aus verschiedenen Gesellschaftsschichten und Berufen aus Ost und West geschildert, fiktive Gestalten wechseln sich mit echten ab. Das Leben für die Bürger der noch existierenden DDR verändert sich extrem schnell. Doch noch vor der Vereinigung erleben einige Protagonisten am eigenen Leib, dass der Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland nicht nur Positives bringt.

Der Roman, in dem der Autor voll seine faszinierende erzählerische Meisterschaft, seinen Sinn für das Absurde (mit seinen Worten: das Bizarre), das die Zeit spiegelt, ausspielt, komponiert die Schicksale der einzelnen Gestalten in ein Mosaik, das die unterschiedlichsten Facetten der Wende umfasst, er ist zumindest ebenso wesentlich wie der berühmte Roman Helden wie wir. Das Groteske ergibt sich vor allem aus den historischen Ereignissen selbst, die Invention des Autors malt sie in den einzelnen Gestalten gekonnt aus. Vielleicht ist dies der Grund, weshalb Wie es leuchtet keine solche Aufmerksamkeit erweckte. Der Roman wurde nur in zwei Sprachen übersetzt, ins Koreanische und ins Tschechische (2008).

Heute, elf Jahre nach Wie es leuchtet, erschien der bisher letzte Roman von Thomas Brussig mit dem Titel Das gibts in keinem Russenfilm (S. Fischer, Frankfurt am Main 2015). Das Thema ist dasselbe, Ostdeutsche und Westdeutsche, doch das Thema ist, wie es für Brussig typisch ist, wieder ein anderes: alternative Geschichte. Die Hauptfigur und der Erzähler seines eigenen Lebenslaufes ist Thomas Brussig, Schriftsteller. Zum Fall der Mauer im Jahre 1989 und auch zur Vereinigung Deutschlands im Jahre 1990 ist es nicht gekommen. Es existieren weiter zwei deutsche Staaten. In diesem Rahmen, also in einer bis in die Gegenwart existierenden DDR, schildert der Schriftsteller Thomas Brussig sein Schriftsteller- und Privatleben. Im Buch kommen viele zeitgenössische Schriftsteller vor (z. B. Maxim Biller, Ingo Schulze, Günter Grass, Christa Wolf, Volker Braun, Uwe Tellkamp, Peter Schneider, Simon Urban), ebenso Künstler und auch Politiker aus Ost und West. Die biographischen Fakten und das fiktive Leben liegen in einem absoluten Clinch. Die höchste Mystifizierung gelingt dem Autor, als er dem Roman eines anderen Schriftstellers einen anderen Inhalt beimisst – ein reales politisches Ereignis (Roman von Simon Urban Plan D (Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2011, tschechisch 2012) kontra neonazistische Mörder aus der Gruppe Nationalsozialistischer Untergrund). Ich weiß nicht, was Simon Urban dazu sagt, doch Thomas Brussig hat auf die Frage, ob die unterschiedliche politische Vergangenheit die Menschen in Deutschland noch lange charakterisieren wird, geantwortet:

Ich glaube, daß der Realsozialismus für die Deutschen nicht zu dem Dauer-Thema wird, wie der Nationalsozialismus, dessen Verbrechen sich in ganz anderen Dimensionen abgespielt haben und der monströsere Fragestellungen hinterlassen hat. Man kann mit den Symbolen der DDR harmlose Nostalgie-Parties veranstalten (vermutlich auch mit CSSR-Symbolen) oder Werbespots drehen. Mit den Symbolen von Nazideutschland kann man das nicht. Es dreht sich einem immer der Magen um, wenn man das Hakenkreuz sieht.

Thomas Brussig wurde 1965 in Berlin, der Hauptstadt der DDR, geboren, wo er auch aufwuchs und bis heute lebt. Er studierte Dramaturgie an der Filmhochschule in Potsdam-Babelsberg (2000). Unter einem Pseudonym debütierte er mit dem Roman Wasserfarben (Aufbau Verlag, Berlin 1991). Neben den angeführten Werken ist der Autor weiterer kürzerer Prosastücke und erfolgreicher Drehbücher.

In Prag war Thomas Brussig oft, privat und auf Einladung als Schriftsteller. Auf die Frage, was in dem Artikel über ihn vor der Messe Svět knihy 2015, wo er zu Gast sein wird, nicht fehlen dürfe, antwortete er:

Es mag etwas anbiedernd klingen, aber eigentlich fühle ich mich wie ein Tscheche im Körper eines Deutschen. Deutschland ist ein großes und wirtschaftlich so erfolgreiches Land, dadurch bist du als deutscher Schriftsteller immer so was wie Vertreter einer Fast-Großmacht. Als Tscheche kannst du aber spöttelnd am Rande stehen und den großen Ambitionen gelassen beim Scheitern zusehen, und weil dieses Scheitern auch auf dem eigenen (tschechischem) Territorium ausgetragen wird, ist man, ob man will oder nicht, auch unmittelbar verwickelt. In dieser Rolle würde ich mich viel wohler fühlen. Die deutschen Schriftsteller haben natürlich eine große Leserschaft und einen beneidenswert großen Markt, aber die tschechischen Autoren haben die viel interessantere Ausgangsposition.