© Residenz Verlag, Salzburg–Wien, 2020
In Pandemie-Zeiten ist Medizin und Künstliche Intelligenz wohl eine sehr aktuelles Thema. Wenn der Besuch einer Arztpraxis mit Ansteckungsgefahr verbunden ist, greifen wir gerne zuhause auf eine App zurück. Benutzen wir diese, so stellt eine Software – anhand des Fotos vom kranken Körperteil – sofort eine Diagnose und empfiehlt das Medikament.
Aber in welchem Ausmaß ist es wirklich möglich, Künstliche Intelligenz in der Medizin zur Heilung einzusetzen? Kann sie tatsächlich sogar die Ärzt*innen selbst ersetzen? Als Arzt und Mitbetreiber des digitalen Gesundheitsportals „NetDoktor“ weiß der Autor dieses Buches sehr genau, welche Ängste und Erwartungen sich in den Patienten abspielen angesichts der „schönen neuen Welt“ der Gesundheitsversorgung.
Es geht um eine imponierende Perspektive, die sich stets erweitert. Um nur ein Beispiel zu nennen: Leidet jemand an einer seltenen Krankheit, gibt es mit traditionellen Vorgehensweisen wenig Chancen, schnell an die entsprechende Heilmethode zu gelangen, da nicht einmal die erfahrensten Ärzt*innen in der Lage sind, auch nur einen Bruchteil der mehreren Zehntausend Krankheiten zu kennen. Die mit riesigen Datenbanken arbeitenden intelligenten Systeme hingegen können all diese Krankheiten identifizieren. Ihr besonderer Vorteil ist, dass sie nicht ortsgebunden und somit im Prinzip sogar heute schon in der kleinsten Arztpraxis auf dem Land einzurichten sind. Von dort aus können sie sich an die Datenbank des nächstgelegenen Krankenhauses andocken: Ist für die Patient*innen ein eiliger Eingriff erforderlich, so werden sie im OP-Saal von Ärzt*innen und Helfer*innen erwartet, die sich bereits auf sie eingestellt haben.
Wo sich Ärzt*innen früher anhand von Abtasten orientierten, kommen heute moderne bildgebende Verfahren zum Einsatz, die die Funktionsweise menschlicher Organe innerhalb von Sekunden und ohne jeglichen Schmerz oder Unannehmlichkeiten aufdecken. Mithilfe dieser Verfahren lassen sich Krankheiten früher entdecken und dadurch wachsen die Chancen auf Heilung. Auf dem Gebiet der Diagnostik können die Mediziner*innen nicht mehr auf die Hilfe der immer besser entwickelten Software-Systeme verzichten.
Weltweit wird in der Medizin die Anwendung von Therapie-Möglichkeiten angestrebt, die genau an die individuellen Bedürfnisse einzelner Patient*innen angepasst sind. Auch die Einrichtung von Heilmethoden, bei denen mehrere Tausend physiologische Daten und ihre fortwährende Veränderung erfasst und überwacht werden sollen, ist nur computergestützt vorstellbar. Smartwatches, die über den Gesundheitszustand wachen, winzige Geräte zur Messung von Blutdruck und Blutzucker sind Bestandteile unseres Alltags geworden. Durch die Entwicklung der Robotik werden künstliche Organe implantiert, die viel leistungsfähiger sind als die natürlichen. Und man kann Nanoroboter durch die Blutbahn ans Ziel schicken, damit sie, dort angekommen, kranke Zellen reparieren.
Die medizinische Technik kann sich noch so atemberaubend entwickeln – die Geräte werden die menschliche Präsenz niemals überflüssig machen. Die Ärzt*innen sind nämlich nicht nur diejenigen, die die Gesundheitsdaten zusammentragen und die optimale Therapie finden, sie sind zugleich auch mitfühlende und mitdenkende Menschen und mit ihrer ermutigenden Einwirkung selbst ein wichtiger Bestandteil des Heilungsprozesses. Die künstliche Intelligenz kann den Menschen nicht ersetzen, sie kann seine Tätigkeit nur unterstützen und wirkungsvoller machen.
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